Ende 2018 waren laut Statistischem Bundesamt in Deutschland rund 45 Millionen Menschen erwerbstätig. Im gleichen Jahr waren rund 33,6 Millionen Personen in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) pflichtversichert, bauten also dort ihre Rentenanwartschaften auf. Rund zwölf Millionen Personen waren also erwerbstätig, aber entweder gar nicht oder nicht in der GRV versichert. Diese Zahlen sind zwar nicht ganz deckungsgleich, es fehlen zum Beispiel Personen, die freiwillig Beiträge an die GRV zahlen, während bei den Erwerbstätigen auch Rentenbezieherinnen mitgezählt werden. Im Großen und Ganzen macht die Zahl aber klar: Rund zwölf Millionen Erwerbstätige sind gar nicht oder in anderen Systemen als der GRV abgesichert: Beamte, die allermeisten Selbstständigen, Abgeordnete, Richterinnen und Minijobber, die sich von der Rentenversicherung haben befreien lassen, dürften die größten Gruppen sein.
Dabei zeigen viele Untersuchungen: Wenn man die Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung umbaut, in die alle – eben auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige – mit ihrem Erwerbseinkommen einzahlen, könnte die GRV auf deutlich stabilere Füße gestellt werden. Erwerbseinkommen heißt, dass zum Beispiel Mieteinnahmen und Zinseinkünfte nicht mit einfließen, schließlich soll die Rente ja im Alter ausbleibendes Einkommen ersetzen, Mieteinnahmen bleiben aber im Alter nicht aus. Je nach Ausgestaltung und Zeitpunkt der Umstellung würde der Beitragssatz bis ins Jahr 2040 gegenüber aktuellen Berechnungen sinken, das Rentenniveau würde deutlich steigen. Schon allein die Einführung der Versicherungspflicht in der GRV für neue Selbstständige würde den Beitragssatz zur Rentenversicherung um 0,6 Prozentpunkte senken und gleichzeitig das Rentenniveau um 0,7 Prozentpunkte erhöhen. Einen ähnlichen Effekt dürfte die Aufnahme aller neuen Beamten in die Gesetzliche Rentenversicherung haben.
Vielleicht am wichtigsten, aber zahlenmäßig nicht ausschlaggebend: Im ersten Schritt hin zu einer Erwerbstätigenversicherung wollen wir dafür sorgen, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in der GRV pflichtversichert sind. Das hat zum einen den symbolischen Grund, dass die Abgeordneten es sind, die über die weitere Entwicklung der Rentenversicherung entscheiden, zum anderen aber den ganz klaren Grund, dass Schluss sein muss mit Sonderregelungen für verschiedene Berufsgruppen. Über kurz oder lang sollen alle in die GRV aufgenommen werden. Das ist ein recht langwieriger Prozess, es müssen viele Übergangsregelungen getroffen werden. Bestehende Ansprüche zum Beispiel aus den Versorgungswerken von Rechtsanwälten oder Architekten müssen ebenso erhalten bleiben wie die erworbenen Pensionsansprüche von Beamten, das gilt wohl auch für die zu erwartenden Pensionen von jetzt bereits vereidigten Beamten.
Gleichzeitig, und das macht es noch ein bisschen aufwendiger, soll mit der Einführung der Erwerbstätigenversicherung die Beitragsbemessungsgrenze schrittweise angehoben werden. Aktuell ist es so, dass in der GRV Versicherte Beiträge nur bis zu einem Jahresbrutto von 85.200 Euro (alte Länder, 2021) zahlen, alles darüber hinaus ist beitragsfrei. Auf der anderen Seite können die Renten auch nicht höher steigen, als diese Beitragsbemessungsgrenze zulässt, theoretisch sind aktuell maximal 3.154 Euro monatliche Rente aus der GRV möglich. Faktisch wird diese Rentenhöhe jedoch kaum erreicht, dazu müsste der entsprechende Rentner über einen Zeitraum von 45 Jahren jedes Jahr das doppelte gesellschaftliche Durchschnittseinkommen (2020: 85.200 Euro) verdient haben.
DIE LINKE will auch höhere Einkommen mit in die Finanzierung der GRV einbeziehen und etwas mehr zu deren Finanzierung beitragen als Menschen mit durchschnittlichem oder niedrigem Einkommen. Gleichzeitig ist aber zu verhindern, dass zum Beispiel Einkommensmillionäre eminent hohe Renten beziehen.
Dazu planen wir zwei Dinge:
- Deutliche Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze
Im Moment werden nur sozialversicherungspflichtige Einkommen bis zum Doppelten des durchschnittlichen Arbeitsentgelts bei der Rentenversicherung berücksichtigt, das sind für das Jahr 2021 die schon oben genannten 85.200 Euro (im Osten 80.400 Euro). Diese Grenze wollen wir in den nächsten Jahren schrittweise deutlich anheben, so dass sie schließlich beim Doppelten des heutigen Wertes liegen (nach aktuellen Zahlen für 2021: 170.400 Euro, im Osten 160.800 Euro – diese Zahlen dürften sich aber bis dahin erhöhen). Alle Erwerbseinkommen bis zu dieser Grenze sind dann beitragspflichtig in der GRV. - Abflachen sehr hoher Rentenansprüche
Weil Menschen mit sehr hohen Einkommen deutlich leichter zusätzliche Altersvorsorge finanzieren können als Menschen mit niedrigen oder mittleren Einkommen, wollen wir die Rentenansprüche sehr hoher Einkommen abflachen. Mit Einführung der Erwerbstätigenversicherung schaffen wir eine neue Linie, die Beitragsäquivalenzgrenze. Diese Grenze dürfte etwa in der Höhe der heutigen Beitragsbemessungsgrenze liegen (85.200 Euro West, 80.400 Euro Ost). Rentenanwartschaften, die sich aus Beiträgen auf Einkommen oberhalb dieser Grenze ergeben, werden degressiv abgeflacht. Bis zum Einkommen in dieser Höhe ergibt jeder Euro Rentenversicherungsbeitrag einen gleichbleibenden Rentenanspruch. Darüber hinaus gehende, überschießende Beiträge führen zu schrittweise sinkenden zusätzlichen Rentenanwartschaften.
Beiträge aus hohen Einkommen über der Äquivalenzgrenze tragen also mit dazu bei, das Rentensystem insgesamt zu stabilisieren und die Renten von Personen mit niedrigem Einkommen auf einer den Lebensstandard sichernden Höhe zu halten.
Dieses Reformvorhaben ist ein langwieriger Prozess ist, der nicht mit einem einzelnen Gesetz abgeschlossen werden kann. Die Erwerbstätigenversicherung muss vielmehr über einen längeren Zeitraum realisiert werden, in dem für die neu miteinzubeziehenden Gruppen Übergänge gesichert werden und erworbene Anwartschaften geschützt bleiben (Vertrauensschutz). Doppelte Belastungen und Rechtsunsicherheiten können so vermieden werden.
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