Bild: Ruben Neugebauer/Campact
Wie viele Bürgerinnen und Bürger in Europa warnen wir seit Monaten vor der Gefahr, dass mit den Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) zentrale demokratische Rechte unter die Räder kommen. Ebenso lange wird dies von der Bundesregierung und EU-Kommission mit blumigen Worten bestritten und Kritiker gern als „hysterisch“ (Wirtschaftsminister Gabriel) lächerlich gemacht.
Wer sich lächerlich macht, lässt sich einfach überprüfen. Der Entwurf des CETA-Vertragstextes liegt seit über einem Jahr vor. Darin kann nachgelesen werden, wie sich die Vertragspartner etwa die engere Zusammenarbeit zwischen der EU und Kanada, die „regulatorische Kooperation“, vorstellen: etwa den Zuschnitt und die Aufgaben des CETA-Hauptausschusses sowie themenbezogene Unterausschüsse, in denen Bürokraten und Vertreter von Regulierungsinstitutionen sitzen sollen.
Nach Unterzeichnung des CETA-Abkommens durch das europäische Parlament und die nationalen Parlamenten soll der Vertrag laufend verändert werden können. Das Abkommen soll sich entwickeln und leben („living agreement“). Aber wird diese Entwicklung auch künftig durch Parlamente begleitet und die Veränderungen dort diskutiert, beschlossen und politisch legitimiert?
Um diese demokratische Schlüsselfrage zu prüfen, haben wir der Bundesregierung 21 Fragen gestellt, die sich konkret auf den Entwurf des CETA-Vertragstextes beziehen. Der Text ist in Absprache mit Vertretern der Bundesregierung verhandelt worden, wird von ihr unterstützt und soll in wenigen Monaten durch den Bundestag gebracht werden. Jede verantwortungsvolle Regierung müsste also längst juristisch eindeutig geklärt haben, welche demokratischen Rechte nach Vertragsabschluss überhaupt noch gelten und wie Parlamentsrechte gewahrt werden.
Nichts sehen. Nichts wissen. Nichts sagen.
Wie so oft duckt sich aber die Bundesregierung bei den Antworten auf unliebsame Fragen ab. Inhaltsleere Sprechblasen gepaart mit falschen oder kaum belastbaren Aussagen lassen darauf schließen, dass beim Thema Freihandelsabkommen die Regierung die Bürger weiter systematisch hinter die Fichte führen will. Wie der Entwurf des CETA-Vertragstextes schwarz auf weiß belegt, sind die Abkommen so konstruiert, dass sie sich demokratisch legitimierter Entscheidungen nach einmal erfolgter Ratifikation entziehen können. Es ist damit nur eine Frage der Zeit, wann der zuständige Wirtschaftsminister Gabriel mit seiner Strategie - Augen zu und durch - vor die Wand läuft. Seine Untätigkeit ist zudem fahrlässig und gegenüber der Bevölkerung verantwortungslos.
Kurzauswertung der Kleinen Anfrage 18/5882
Die Antwort auf Frage 6 ist entscheidend. Sie wird „falsch“ beantwortet:
Die von der Bundesregierung vertretene Behauptung, der CETA-Hauptausschuss hätte nur begrenzte Befugnisse („keinerlei Befugnisse, völkerrechtlich verbindliche Entscheidungen zu treffen über eine Änderung der Anhänge, Anlagen, Protokolle und Anmerkungen“) ist falsch, was die EU-Kommission bereits bestätigte und selbst Minister Gabriel in einem offenen Brief an die Verbraucherorganisation foodwatch am 25. August 2015 eingestanden hat.
Insbesondere findet sich im CETA-Vertragstext Entwurf auf Seite 456 Article X.03 (Decision Making) unter Punkt 3, dass der geplante CETA-Hauptausschuss EMPFEHLUNGEN („recommandations“) abgibt und ENTSCHEIDUNGEN („decisions“) treffen kann.
In Kombination mit Kapitel 34 [Final Provisions; Articel X.02 Amendments (Absatz 2)] im vorliegenden Vertragstext (S. 496) ergibt sich hieraus die vertragliche festgelegte Legitimation des zu etablierenden CETA-Hauptausschusses zur Änderung der Anhänge, Anlagen, Protokolle und Anmerkungen OHNE eine wie auch immer geartete Notwendigkeit im Nachgang eine Ratifikation durch das Europäische Parlament und/oder nationale Parlamente einzuholen.
Ansonsten hätte Absatz 2 im CETA-Vertragstext auch gar nicht eigenständig formuliert werden müssen. Die dort kodifizierten Definitionen sollen verhindern, dass bei jeder Veränderung des ratifizierten Vertrages erneut jeweils ein Ratifikationsprozess beginnen muss. Dies widerspräche dem politisch gewollten Ansatz eines „living agreements“. Die damit verbundene Einschränkung parlamentarischer Rechte müsste allerdings klar von der Bundesregierung benannt werden. Stattdessen verdeutlicht die Antwort auf Frage 6, dass sie dies bewusst verschleiert.
Antworten auf Frage 16 und 17
Der Verweis auf das Vorsorgeprinzip im Hinblick auf das SPS-Abkommen der WTO ist falsch. Dort ist das „Vorsorgeprinzip“ nicht völkerrechtlich verbindlich aufgenommen und definiert und damit auch nicht Basis der Entscheidungsfindung innerhalb der WTO. Dort wird allein auf „wissenschaftlich basierte“ Zulassungs- und Prüfungsverfahren abgestellt, was andere Schutz- und Vorsorgeaspekte beinhaltet als das EU weit geltenden „Vorsorgeprinzip“ beim Verbraucher- und Umweltschutz.
Auch diesen signifikanten Unterschied und die geltenden Definition im SPS-Abkommen der WTO sollte die Bundesregierung als WTO-Mitglied der ersten Stunden kennen. Zumal genau deshalb die EU bereits in WTO-Streitfällen auf „verlorenem“ Posten stand und mit ihrem Verweis und Bezug auf das in der EU geltenden Vorsorgeprinzip mehrfach gescheitert ist.
Folglich hätte die Bundesregierung die stärkere Verankerung des Vorsorgeprinzips im CETA-Vertragstext längst klar einfordern müssen. So bleibt der ständige Verweis auf die Gültigkeit des Vorsorgeprinzips reines Lippenbekenntnis ohne effektiver vertragliche Bindung.
Die Behauptung der Bundesregierung, dass das Niveau des Verbraucher- und Umweltschutz in der EU nicht sinken würde und das Vorsorgeprinzip weiter uneingeschränkt nach Abschluss der Freihandelsabkommen mit Kanada gültig sei, ist damit im Kern unhaltbar.
Antwort auf Frage 20
Die angebliche enge Einbindung der Zivilgesellschaft und Sozialpartner stimmt in dieser Pauschalität nicht und ergibt sich auch nicht aus der erneut falschen Interpretation (Antwort 6) der angeführten Kapiteln des CETA-Vertragstextes zur Organisation der künftigen regulatorischen Kooperation.
linksfraktion.de, 17. September 2015