Der Sitzungssaal der Fraktion DIE LINKE bot kaum ausreichend Platz für die vielen Besucher. Rund 180 Interessierte kamen, als die Abgeordneten Heike Hänsel, Annette Groth und Niema Movassat am Montagnachmittag die entwicklungspolitischen Leitlinien der Fraktion vorstellten. Die Abgeordneten formulierten darin den Anspruch, die internationale Politik zu verändern – weg von Besserwisserei und einer Entwicklungszusammenarbeit, die politischer Einflussnahme und wirtschaftlichen Zielen dient, hin zu einer solidarischen Zusammenarbeit. Dabei will die Linksfraktion gesellschaftliche Alternativen, die in Ländern des Südens bereits erprobt werden, aufgreifen.
Von Alexander King
Mit dem gewachsenen Selbstbewusstsein links regierter Länder in Lateinamerika wachsen auch die Spielräume für neue internationale Beziehungen. Das wurde bereits im ersten Panel deutlich. Der Botschafter von Ecuador, Jorge Jurado, stellte darin die alternativen Wege vor, auf denen sein Land – unter dem radikalen Bruch mit neoliberalen Konzepten – aus der Krise gefunden hat. Eine deutliche Empfehlung auch an die krisengeschüttelte EU. Die ambivalente Rolle Chinas und der anderen BRICS-Staaten hinsichtlich einer möglichen neuen Weltwirtschaftsordnung wurde zwischen Jurado, dem chinesischen Botschaftsrat, Zeng Fanhua, und Heiner Flassbeck (ehem. UNCTAD-Chefökonom) durchaus kontrovers debattiert. Einvernehmen bestand darüber, dass die Zeit westlicher Überheblichkeit und vorgefertigter Freund-Feind-Schemata vorbei sein muss.
Auf dem zweiten Panel hoben der indische Aktivist Shankar Gopalakrishnan und Florian Moritz vom Deutschen Gewerkschaftsbund – bei aller Unterschiedlichkeit – hervor: Die Lohnabhängigen in allen Ländern müssen ihre Kämpfe gemeinsam führen, denn sie kämpfen gegen dieselben Gegner: internationale Konzerne, z.B. Textilfirmen, die in Südasien die Näherinnen und in Deutschland die Verkäuferinnen ausbeuten, und die EU-Institutionen, die, wie gegenwärtig in Griechenland, Privatisierung und Liberalisierung zum Schaden der Menschen durchsetzen. Die bedrückende Situation in Griechenland und den sozialen Protest schilderte Georgios Chondros von der griechischen Linkspartei Syriza. Die Konferenzteilnehmer spendeten für die griechische Initiative „Solidarität für alle“, die praktische Hilfe mit politischer Aktivierung verbindet.
Kann Entwicklungszusammenarbeit (EZ) etwas anderes sein, als die Kehrseite von Ausbeutung und Kolonialismus? Diese Frage löste auf dem dritten Panel eine engagierte Diskussion aus. Der kenianische Autor Firoze Manji, bekannter EZ-Kritiker, argumentierte, die EZ diene in erster Linie der Marktvorbereitung für internationales Kapital. Kerstin Sack, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac, ergänzte, Ziel der EZ sei immer auch politische Einflussnahme. Deshalb wendeten sich lateinamerikanische Länder zunehmend davon ab. So verwies die bolivianische Regierung erst kürzlich die US-Entwicklungsagentur USAID des Landes. Auch die nichtstaatliche Zusammenarbeit wurde, insbesondere aus dem Publikum heraus, kritisch hinterfragt, die Entpolitisierung sozialer Kämpfe durch Nichtregierungsorganisationen beklagt.
Bernd Bornhorst von MISEREOR, Vize-Vorsitzender des entwicklungspolitischen Dachverbands VENRO, hielt dagegen: Nach seinem Verständnis muss die Zusammenarbeit im nichtstaatlichen Bereich immer Solidaritätsarbeit sein, die dazu beiträgt, Menschen zu stärken, die gegen Unterdrückung und Ausbeutung, gegen die Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen aufbegehren. Eine so verstandene Zusammenarbeit stelle auch die Machtfrage.
In Abwesenheit grüßten Jean Ziegler, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, und Aminata Traoré, Koordinatorin für ein anderes Mali, die Teilnehmer der Konferenz – hier Aminatas Grußbotschaft (YouTube). Traoré erhob dabei die Stimme gegen die militärische Intervention in ihrem Land. Ziegler warb für eine „Radikal-Reform der gegenwärtig herrschenden kannibalischen Wirtschaftsordnung der Welt“. Grußwort
Die Fraktion DIE LINKE hat ihre Vorstellungen von einer solidarischen internationalen Zusammenarbeit in ihren Leitlinien formuliert. Auf der Konferenz hat sie außerdem in einem 10-Punkte-Programm erste Schritte in diese Richtung vorgestellt:
Für eine gerechte und solidarische Welt
Jetzt schon gemeinsam die ersten Schritte gehen!
Die Fraktion DIE LINKE schlägt 10 erste Schritte vor, die die Entwicklungszusammenarbeit vom Kopf auf die Füße stellen. Fehlentwicklungen der letzten Jahre wollen wir rückgängig machen und neue Wege gehen – hin zu einer solidarischen internationalen Zusammenarbeit.
1. Wir wollen den Etat des BMZ in der 18. Wahlperiode schrittweise auf 13 Mrd. Euro anheben und mindestens im selben Umfang den Etat des Verteidigungsministeriums, insbesondere in der Rüstungsbeschaffung, abschmelzen.
2. Wir setzen uns für die Einrichtung eines Kompensationsfonds bei den Vereinten Nationen für koloniale Ausbeutung und Klimawandel ein.
3. Die Entwicklungszusammenarbeit und die GIZ müssen entmilitarisiert werden. Die Kooperationsvereinbarung der GIZ mit der Bundeswehr muss aufgelöst und in den Gesellschafterverträgen der Durchführungsorganisationen Zivilklauseln verankert werden, die diese auf die rein zivile Zusammenarbeit festlegen.
4. Wir setzen uns für die Auflösung der Kooperationsabkommen des BMZ mit privaten Stiftungen und Konzernen ein.
5. Weiterhin müssen zur Befreiung der Entwicklungszusammenarbeit von Profitinteressen die entwicklungspolitischen Resultate von Projekten der öffentlich-privaten Partnerschaft kritisch überprüft und die Förderung rasch zurückfahren werden.
6. Wir wollen im Rahmen der Europäischen Union den Export neoliberaler Politik verhindern und daher die Verhandlungen der EU-Kommission über Freihandels- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen stoppen und uns dafür einsetzen, dass neue Mandate erarbeitet und bereits abgeschlossene Abkommen hinsichtlich ihrer handelspolitischen Festlegungen neu verhandelt werden.
7. Wir setzen uns für die weltweite Geltung von ArbeitnehmerInnenrechten ein und wollen ein Unternehmensstrafrecht in Deutschland einführen, das es ermöglicht, Konzerne für Menschenrechtsverletzungen im Süden zu belangen, und für Betroffene aus den Ländern des Südens die Möglichkeit schaffen, gegen Konzerne auch an deren Heimatstandorten zu klagen, wenn sie durch diese ihre Menschenrechte verletzt sehen.
8. Zur Sicherung der weltweiten Ernährungssouveränität wollen wir den Import von Kraft- und Brennstoffen aus Biomasse aus den Ländern des Südens in die EU verbieten.
9. Zudem setzen wir uns für ein Verbot von Nahrungsmittelspekulationen ein und fordern auf dem Weg dahin Derivatkontrakte zu standardisieren, Positionsobergrenzen für einzelne Händler und die Gesamtmenge an Kontrakten je Rohstoff einzuführen und den außerbörslichen Handel mit Agrarrohstoffderivaten zu verbieten.
10. Die Inlandsarbeit der Nichtregierungsorganisationen muss unabhängig sein, daher fordern wir, sämtliche Gängelung der Nichtregierungsorganisationen in der Darstellung ihrer Arbeit und in der entwicklungspolitischen Bildung durch die Bundesregierung zurückzunehmen.
linksfraktion.de, 11. Juni 2013