Die Regierung will das Arbeitszeitgesetz aufweichen. Bis zu 13 Stunden Arbeit am Stück wären dann möglich. Ein Angriff auf Gesundheit und Schutz der Beschäftigten – gegen den Willen der Mehrheit.
Um das Land wettbewerbsfähig zu machen, müssen wir mehr und länger arbeiten – das ist das Mantra, das Friedrich Merz und seine Regierung unablässig wiederholen. Doch welches „wir“ ist hier gemeint? Die 872.000 reichen Privatiers in Deutschland, die entspannt in den Tag hineinleben können, sind es nicht. Die Forderung gilt der großen Mehrheit der Lohnabhängigen, die in vielen Branchen schon jetzt am Limit sind. Es ist eine von vielen Maßnahmen, die alle auf dasselbe hinauslaufen: Längere Arbeitszeiten, weniger Schutz, niedrigere Lohnkosten – und damit höhere Profite.
Angriff mit Ansage
Der Plan ist klar: Die Regierung will die tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden aus dem Arbeitszeitgesetz streichen. Das ist im Koalitionsvertrag bereits vereinbart. Gedeckelt wäre dann nur noch die wöchentliche Höchstarbeitszeit (von 48 oder in Ausnahmen 60 Stunden) – Arbeitstage von mehr als zehn Stunden wären regulär möglich. Der Achtstundentag, eine der größten Errungenschaften der Arbeiter:innenbewegung, wäre Geschichte. Für Anne Zerr, MdB der Linksfraktion und Mitglied im Ausschuss Arbeit und Soziales, ein fataler Schritt: „Das ist ein Angriff auf den Arbeitsschutz der Beschäftigten und eine Einladung an die Arbeitgeber, Arbeitszeiten auf 13-Stunden-Tage auszudehnen. Wer diesen Irrsinn ermöglichen will, hat nichts aus den letzten Jahrzehnten steigender Arbeitsbelastung und Burnout-Zahlen gelernt.“
Politik gegen die Mehrheit
Das Vorhaben widerspricht dem Willen einer großen Mehrheit. Laut aktuellen Umfragen möchten drei von vier Beschäftigten nicht mehr als acht Stunden am Tag arbeiten. 84 Prozent mit 40- oder 48-Stunden-Wochen wünschen sich eine kürzere Arbeitszeit, 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Zwei Drittel sind nicht der Meinung, dass Mehrarbeit notwendig ist, um den Wohlstand zu erhalten. Doch die Regierung zeigt sich kompromisslos. Der Sozialdialog mit Gewerkschaften und Arbeitgebern endete am 15. Oktober ohne Ergebnis. Die DGB-Gewerkschaften weigerten sich, dem Druck von Regierung und Arbeitgebern nachzugeben.
Flexibilität – aber nur für die Chefs
Die Regierung begründet das Vorhaben mit dem Flexibilitätsbedürfnis von Beschäftigten wie Unternehmen. Doch das ist nicht nachvollziehbar. Nur sieben Prozent der Beschäftigten wünschen sich längere Arbeitszeiten, darunter viele Teilzeikräfte. Schon jetzt lassen das Arbeitszeitgesetz und viele Tarifverträge mehr als genug Spielraum für Flexibilität. Sie ermöglichen 10-Stunden-Tage, Arbeit auf Abruf, kürzere Ruhezeiten und eine Sechs-Tage-Woche. Wer länger arbeiten will, kann das in der Regel bereits tun. Diese Ausnahmen zur Regel zu machen, entspricht allein dem Wunsch der Arbeitgeber, flexibel auf die Arbeitskräfte zuzugreifen. Den Preis zahlen die Beschäftigten mit ihrer Freizeit und Lebensqualität – vor allem die rund 50 Prozent ohne Tarifvertrag. Sie verlieren mit der Achtstundenregelung eines der wenigen Schutzrechte gegen die totale Entgrenzung ihrer Arbeitstage.
Beschäftigte am Limit
Wer behauptet, dass die Deutschen länger arbeiten müssen, um ihren Wohlstand zu sichern, der schiebt die Wirtschaftsflaute den arbeitenden Menschen in die Schuhe. In Wahrheit ist die Gesamtanzahl der jährlichen Arbeitsstunden in Deutschland mit 61,37 Milliarden relativ hoch. Dazu kommen 1,2 Milliarden Überstunden, über die Hälfte davon unbezahlt – umgerechnet mehr als 750.000 Vollzeitstellen. Das zeigt: Die Menschen arbeiten bereits viel, unzählige sogar zu viel.
Zudem ächzen die Beschäftigten unter dem Druck einer rapiden Verdichtung der Arbeit: Immer mehr Dinge sollen in immer kürzerer Zeit von immer weniger Menschen erledigt werden. Körperliche und psychische Überlastungen nehmen zu. 61 Prozent der Beschäftigten fürchten ein Burnout. 42 Prozent können sich nicht vorstellen, ihren Job bis zur Rente durchzuhalten. Längere Arbeitstage verschärfen das Problem – und sind ein handfestes Gesundheitsrisiko: Nach acht Stunden steigt nachweislich die Fehlerquote am Arbeitsplatz und die Zahl der Unfälle drastisch an.
„Viele Menschen arbeiten bis an ihre körperlichen und psychischen Grenzen. Statt ihnen noch längere Tage aufzubürden, braucht es endlich kürzere Arbeitszeiten, verlässliche Dienstpläne und eine flächendeckende Arbeitszeiterfassung“, so Anne Zerr. Daher fordert die Die Linke als ersten Schritt eine Verkürzung der Wochenhöchstarbeitszeit auf 40 Stunden, das Recht auf Nichterreichbarkeit und eine Anti-Stress-Verordnung.
Kurioserweise stellt die Regierung eine „bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ durch die Reform in Aussicht – dabei zerstören gerade überlange Arbeitszeiten einen planbaren Alltag und verschärfen Engpässe in der Kinderbetreuung. Wenn dauernde Verfügbarkeit erwartet wird, dann sind Eltern und Pflegende die Leidtragenden, darunter überwiegend Frauen. Ihnen drohen berufliche Nachteile. Auf lange Sicht werden sie bei Löhnen und Renten noch stärker benachteiligt.
Ihre oder unsere Zeit?
Die Regierung verfolgt eine Politik, die den Arbeitgebern mehr Kontrolle über unsere Zeit und Lebensgestaltung gibt. Beschäftigte müssen ihren Alltag immer stärker an den Erfordernissen des Betriebs und des Marktes ausrichten. Ein solche maximale Flexibilität im Sinne der Arbeitgeber macht die Zeitsouveränität der Beschäftigten zunichte.
Für ein gutes Leben und auch für eine funktionierende Demokratie brauchen Menschen aber mehr Zeit. Anne Zerr betont, dass es am Ende eine Verteilungsfrage ist: Wohlstand sei nicht einfach am BIP abzulesen, sondern an der gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Die Produktivitätsgewinne müssten daher den arbeitenden Menschen und der Allgemeinheit zugute kommen. Dafür brauche es eine mutige Politik der Arbeitszeitverkürzung, bei vollem Lohn- und Personalausgleich.