Ob Castor oder Stuttgart 21 – eine Mehrheit findet Proteste gerechtfertigt
Von Steffen Twardowski
Umfragen zeigen, dass sowohl die Proteste gegen die Atompolitik der Bundesregierung als auch das Milliardenprojekt Stuttgart 21 auf breites Verständnis stoßen. Warum die Steuerzahler allein für die Kosten des Castor-Polizeieinsatzes aufkommen müssen, leuchtet hingegen nur wenigen ein.
Als am Dienstagvormittag kurz vor zehn Uhr der letzte von elf Castor-Behältern das Zwischenlager in Gorleben erreichte, ging der jüngste Atommülltransport mit einem Tag Verspätung zu Ende. Demonstranten hielten das Plakat mit dem rot durchgestrichenen Schriftzug »Gorleben 21« in die Höhe und stellten damit eine Verbindung zum umstrittenen Bahnprojekt in Stuttgart her.
Laufzeitverlängerung wird abgelehnt
Die Bevölkerung hat für die Proteste gegen den Bahnhofsbau und die Castor-Blockaden etwa gleich viel Verständnis, wie mehrere Umfragen von TNS Emnid aus den vergangenen Wochen zeigen: Jeweils etwa zwei Drittel halten die Aktionen der Gegner für gerechtfertigt. Unter den Parteianhängern zeigen vor allem die Wähler der Oppositionsparteien Sympathien für diese Aktionen.
Wenn es um die aktuelle Diskussion um die inzwischen beschlossene Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke geht, kommt dieses Bild keineswegs überraschend, denn auch dem Atomdeal stimmten Anfang September nur 37 Prozent zu. Gefragt, welche Arbeit die Regierung bei der Lösung der Energieprobleme leistet, schnitt sie in dieser Woche nur bei 36 Prozent gut ab. Alle Ergebnisse zeigen, dass die Regierung in dieser Frage gerade so die eigenen Anhänger überzeugen kann, aber bei der Bevölkerung insgesamt keinen Zuspruch findet.
Vor allem wird ihr angekreidet, dass sie den Atomdeal mit den Energiekonzernen geschlossen hat, ohne zuvor die seit Langem strittige Frage des sicheren Endlagers zu klären. Nur einer von zehn Befragten teilt hier die Sichtweise des Kabinetts Merkel/Westerwelle. Auch 82 Prozent der Unions- und zwei Drittel der FDP-Wähler sagen, dass die Regierung hier hätte handeln müssen. Folgerichtig meinen auch insgesamt 86 Prozent, die Energiekonzerne sollten künftig die Kosten für Polizeieinsätze wie am vergangenen Wochenende im Wendland mindestens teilweise übernehmen. Immerhin dürften die Kosten für den jüngsten Castortransport bei etwa 50 Millionen Euro liegen, die bisher allein der Staat trägt.
Große Unzufriedenheit mit der Politik
Doch es ist fraglich, ob die Bundesregierung aus den Auseinandersetzungen im Wendland und in Stuttgart die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Bisher scheint sie mit Härte und Pfefferspray die Bürger ihre Staatsmacht spüren lassen und so ihre Entscheidungen durchsetzen zu wollen. Bereits Anfang Oktober antworteten auf eine entsprechende Frage immerhin 60 Prozent, dass die Demonstrationen in Stuttgart Ausdruck einer weiterreichenden Unzufriedenheit mit der Politik allgemein sind. Falls die Koalition aus den Protesten gegen Stuttgart 21 und »Gorleben 21« nicht lernt, könnte sie in kurzer Zeit noch mehr an Vertrauen in der Bevölkerung verlieren.
Neues Deutschland, 13. November 2010