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Käuflichkeit entgegentreten – für eine unbestechliche Forschung und demokratische Hochschulen

Archiv Linksfraktion - Positionspapier,

Die neoliberale Zurichtung des Wissenschaftssystems während der vergangenen Jahrzehnte hat zu dramatischen Folgen in der deutschen Wissenschaftslandschaft und insbesondere an den Hochschulen geführt. Der Wissenschaftsbereich wurde marktförmig umgestaltet. Dies hatte seine weitreichende Ent-Demokratisierung und die Verletzung wissenschaftlicher Integrität zur Folge. Es ist die Aufgabe der Politik Wissenschaftsfreiheit zu schützen und die Unbestechlichkeit der Wissenschaft als eine Grundvoraussetzung von Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft herzustellen.

Die neoliberale Zurichtung des Wissenschaftssystems während der vergangenen Jahrzehnte hat zu dramatischen Folgen in der deutschen Wissenschaftslandschaft und insbesondere an den Hochschulen geführt. Der Wissenschaftsbereich wurde marktförmig umgestaltet. Dies hatte seine weitreichende Ent-Demokratisierung und die Verletzung wissenschaftlicher Integrität zur Folge. 

Hochschulen sind unterfinanziert und abhängig von Dritt- und Projektmitteln. Einzelne finanzstarke Akteure konnten ihren Einfluss auf die Forschung ausbauen und behindern oft das Gebot zur Schaffung von Transparenz hinsichtlich der Verwendung von Geldern oder Forschungsergebnissen. Es ist unverantwortlich, dass der Internet-Gigant Facebook ein Institut für künstliche Intelligenz an der TU München gründet, über die Auszahlung von Forschungsgeldern aber nach eigenem Gusto bestimmt. Es ist gefährlich, wenn Banken oder die Eigentümerstiftung von LIDL Wirtschaftsprofessuren stiften und damit den wirtschaftsethischen Blick auf die Wirtschaft trüben können. Unverantwortlich ist, wenn die Auto-Lobby über Forschungsaufträge an öffentlichen Hochschulen die Schädlichkeit von Stickoxiden in Zweifel zieht, wie an der RWTH Aachen geschehen.

Der Wettbewerbsdruck, der aus der chronischen Unterfinanzierung der Wissenschaftslandschaft resultiert, hat zu einer Stärkung Management-ähnlicher Strukturen in der Hochschulleitung geführt. Gleichzeitig schränkte er die demokratische Mitbestimmung anderer akademischer Statusgruppen ein. Die Arbeitsverhältnisse der Wissenschaftler*innen wurden durch die Abhängigkeit von Projektmitteln massiv prekarisiert und die Zugangsbarrieren zum Wissenschaftssystem haben sich nochmals verschärft.

Es ist die Aufgabe der Politik Wissenschaftsfreiheit zu schützen und die Unbestechlichkeit der Wissenschaft als eine Grundvoraussetzung von Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft herzustellen. Während die Ausbreitung des neuartigen Virus verdeutlicht, wie wichtig eine unabhängige und faktenbasierte Wissenschaft ist, breiten sich gleichzeitig immer mehr Falschmeldungen und Desinformationen über die neue Medien und soziale Netzwerke aus. Lange bestehende Ressentiments fließen in Verschwörungsideologien zusammen, Wissenschaftsskepsis steigert sich bis zur Wissenschaftsfeindlichkeit und Angriffen auf Wissenschaftler*innen.

Diese Vorbehalte sind nicht so neu wie das Virus. Sie können weltweit seit dem Erstarken rechtsextremer und rechtspopulistischer Bewegungen in den letzten Jahren beobachtet werden. Den Rechten hilft die wachsende Wissenschaftsskepsis. Ihnen ist aber nicht an einem inklusiven und solidarischen Gemeinwohl gelegen, sondern sie wollen demokratische Institutionen vorführen, lächerlich machen und schwächen. Dies umfasst auch die Wissenschaft. Dabei instrumentalisiert die rechte Hetze und Polemik existierende Missstände und Probleme des Wissenschaftssystems.
 

Die Linksfraktion fordert:

DIE LINKE. im Bundestag will Rahmenbedingungen schaffen, in denen das Vertrauen in die Wissenschaft nicht durch den Einfluss finanziell mächtiger Interessen leidet, in denen Wissenschaftler*innen entlastet und die Wissenschaftslandschaft und Hochschulen umfassend demokratisiert werden.

1. Wir wollen die Grundfinanzierung der Hochschulen auf solide Füße stellen und einen Dritt- und Projektmittelunabhängigen Lehr- und Forschungsbetrieb ermöglichen. Bund und Länder sollen die Grundfinanzierung der Hochschulen gemeinsam mindestens um die Höhe der gegenwärtig vergebenen öffentlichen Drittmittel anheben.

2. Wir wollen die Karrierewege und Personalstrukturen im Wissenschaftsbereich transformieren. Neben der Professur sollen neue Personalkategorien geschaffen werden, die Wissenschaftler*innen verlässliche Berufsperspektiven bieten. Gemäß dem Prinzip »Dauerstellen für Daueraufgaben« fordern wir die Entfristung der Mitarbeiter*innen des akademischen Mittelbaus und Entfristungsoptionen für Professorenlaufbahnen (»Tenure-Track«) auszubauen. Dass neue Stellen dabei zu 50 % von Frauen besetzt werden sollen, ist eine Selbstverständlichkeit.

  1. Wir wollen die Integrität und verantwortungsvolles Handeln in der Wissenschaft durch zielgerichtete Maßnahmen stärken, um die Transparenz im Wissenschaftssystem zu erhöhen. Es soll rechtlich verankert werden, Kooperations- und Stiftungsverträge mit Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen offenzulegen, um wissenschaftliche Autonomie zu sichern.

  2. Wir wollen das Wissenschaftssystem von innen und außen demokratisieren und Zugangsbarrieren senken, die unterrepräsentierte Gruppen vom Zugang zum Wissenschaftssystem ausschließen und bislang verhindern, dass Hochschulen und Forschungseinrichtung ein Abbild unserer Gesellschaft sind. Hierfür wollen wir u. a. das BAföG zu einem bedarfsdeckenden Instrument ausbauen, um deutlich mehr Menschen als bisher zu erreichen – Frauenquoten sind auf allen Karrierestufen verbindlich zu verankern. Die Statusgruppen an den Hochschulen sollen gleichberechtigt über die strategische Ausrichtung ihrer Fachbereiche, der Hochschulen und die Verwendung ihrer Mittel entscheiden. Zusätzlich dazu wollen wir partizipative Verfahren stärken, um interessierte Menschen und gesellschaftliche Akteur*innen von Anfang an zu einem Teil des Forschungsprozesses zu machen.
     

Was die Bundesregierung vorhat:

Seit Jahren besteht das Problem, dass der Bund sich nur ungenügend an der Ausfinanzierung der Hochschulen beteiligt. Auch der »Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken«, den die Bundesregierung Anfang dieses Jahres auf den Weg gebracht hat, ändert wenig an den bestehenden Problemen. Zwar bringt der Bund sich wieder stärker in die Hochschulfinanzierung ein (den Hochschulen stehen ab 2021 3.76 Mrd. € und ab 2024 4.1 Mrd. € jährlich zu), die strukturellen Defizite in der Wissenschaftslandschaft werden aber nicht behoben.

Weiterhin fehlt es am Willen, die Grundfinanzierung der Hochschulen zu erhöhen, um die Abhängigkeit der Forschung von Drittmitteln zu begrenzen. Der Bund vergibt bislang auch die Chance, die unsoziale Befristungspraxis in der Wissenschaft substanziell zu verändern und reicht die Verantwortung in Form von Selbstverpflichtungen an die Länder weiter. Die Lehrbedingungen werden sich wahrscheinlich sogar verschlechtern, da die Fördersummen für die Lehre im Vergleich zum ausgelaufenen Vorläuferpaket um ein Viertel gekürzt werden, obwohl die Studierendenzahlen seit Jahren steigen. In Summe bleiben die Abhängigkeiten in der Forschungsfinanzierung genauso bestehen wie die prekären Berufsperspektiven der meisten Wissenschaftler*innen, die unterfinanzierte Lehre wird sich weiter von der Forschung entkoppeln.

Obwohl im aktuellen Konjunktur- und Zukunftspaket der Bundesregierung zur Überwindung der Corona-Krise auch umfangreiche Mittel in die Bereiche Forschung und Bildung fließen, nimmt sich das Paket nicht der strukturellen Probleme an, die bereits weit vor der Krise bestanden und sich durch sie verschärfen. Das Paket ist im Kern die Fortsetzung der altbekannten Strategie, die das Gefälle in der deutschen Wissenschaftslandschaft massiv verschärft hat. Erneut wird die Zusammenarbeit der Wissenschaft mit Unternehmen forciert. Gestärkt werden wenige Standorte und Fächergruppen, die wirtschaftlich verwertbare Spitzenforschung garantieren sollen, aber nicht für den Erhalt der Vielfalt der Fächer und die Breite der Wissenschaftslandschaft stehen. Im Zukunftspaket werden hier und heute diejenigen vergessen, die die Zukunft der Wissenschaft gestal- ten sollen. Wissenschaftler*innen, Forschende und Studierende, die selbst in einigen Jahren das wissenschaftliche Personal bilden werden, tauchen nicht auf. Alles in allem verstetigen sich damit zu Gunsten weniger Leuchtfeuer die Defizite und grundsätzlichen Schieflagen in der Wissenschaftslandschaft in Deutschland, die DIE LINKE seit Jahren kritisiert.
 

Hintergründe:

Die Probleme sind lange bekannt. Die Wissenschaftslandschaft ist neoliberal umgestaltet worden, die Fixierung auf den Wettbewerb und das Ziel einer unternehmerisch agierenden Hochschule kam einer kapitalistischen Landnahme gleich. Es geht um struk- turelle Missstände: Mittlerweile stammen rund 28 % aller Einnahmen der Hochschulen aus Drittmitteln – in der Forschung sind es sogar fast 50 % – Bund und Länder kommen nicht einmal mehr für die Hälfte der Grundfinanzierung der Hochschulen auf (die rest- lichen Mittel stammen in erster Linie aus der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Hochschulen). Demgegenüber steigt der Einfluss privater Wirtschaftsakteure etwa durch die Stiftung von Lehrstühlen oder ganz direkt.

Am Uniklinikum Aachen wurde im Auftrag des Lobbyverbandes der Autoindustrie EUGT (Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor) mit Versuchen am Menschen untersucht, wie gefährlich die in Fahrzeugabgasen enthaltenen Stickoxide tatsächlich sind. Nicht nur werden Studienteilnehmer forschungsethisch nicht zu rechtfertigenden gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, sondern nach dem Muster der amerikanischen Tabak- oder Nahrungsmittelindustrie entstehen auf diese Weise Studien, die die Erkenntnis über die schädlichen Effekte vieler Industrien auf Mensch und Umwelt untergraben. Der umstrittene Internet-Gigant Facebook Inc. koppelt seine Unterstützungen für ein Institut für künstliche Intelligenz an der TU München an die Person des Institutsleiters und stellt vereinbarte Zahlungen unter Vorbehalt. Dies ist eine Einladung, Forschungsergebnisse im Sinne des Geldgebers zu produzieren. Mit Google hat ein weiteres Unternehmen aus dem Silicon Valley, das mehrfach Datenschutzrechte gebrochen hat, durch undurchsichtige Finanzierung eines Instituts zur Erforschung der Auswirkungen des Internets auf das Leben des Menschen. Hier entstehen ebenso grundsätzliche ethische Fragen, wie da, wo große Wirtschafts- und Finanzakteure wirtschaftswissenschaftliche Professuren stiften und damit potentiell Einfluss auf die Grundlagenforschung und die Lehre, nehmen. Stiftungsprofessuren von Banken, etwa an der Goethe-Universität Frankfurt und der TU Berlin, zuletzt die Stiftung von 20 Wirtschaftsprofessuren an der TU München durch die Dieter-Schwarz-Stiftung, der Haupteigentümerin der Handelsketten LIDL und Kaufland zeigen, dass diese Praxis weit verbreitet ist. Problemlos ließen sich weitere Beispiele aus diesen und anderen Branchen, wie der Energie- oder Wasserwirtschaft finden. Es ist an der Zeit, den Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Forschungslandschaft zu begrenzen.

Der Wettbewerbsdruck in der Wissenschaft hat die Abhängigkeit von Projektmitteln oft mit nur kurzer Laufzeit enorm erhöht, langfristige Planungen in der Wissenschaft sind vielerorts unmöglich. Leitungs- und Führungsgremien der Wissenschaftseinrichtungen nutzen diesen Missstand vielfach als Argument, die Beschäftigungsverhältnisse zu prekarisieren. Heute ist der »wissenschaftliche Nachwuchs« an deutschen Hochschulen zu 93 % mur befristet beschäftigt (BUWIN 2017, S. 126). Die Folge sind enorme Zumutungen auf die Karriere- und Familienplanung der Wissenschaftler*innen und die Attraktivität der Wissenschaft als Arbeitsplatz zur Folge. Die befristeten Stellen verstärken die Abhängigkeiten der Wissenschaftler*innen von Drittmittelgebern und der Professor*innenschaft. Mögliche Folgen sind soziale Konformität gegenüber Vorgesetzten bis hin zur drohenden Forschungsmanipulation (Wissenschaftsrat: Empfehlungen zu wissenschaftlicher Integrität, 2015, S. 25/26).

Die marktförmige Umgestaltung des Wissenschaftssystems hat dramatische Auswirkungen auf das gegenseitige Verständnis von Wissenschaft und Gesellschaft. Wird das Hochschul- und Wissenschaftssystem als sprichwörtlicher »Elfenbeinturm«, als exklusiver und nur schwer zugänglicher Raum, erlebt, schwindet das Verständnis für wissenschaftliche Prozesse. Die Bereitschaft, »der Wissenschaft« zuzuhören und Glauben zu schenken, sinkt. Entsteht der Eindruck der Käuflichkeit von Wissenschaft, dann ist die Wissenschaft insgesamt diskreditiert. Längst ist es überfällig, diesen Entwicklungen, die das Vertrauen in Wissenschaft und Demokratie gefährden, etwas entgegenzusetzen. Das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Wissenschaft muss gestärkt und der Einfluss wirtschaftlich mächtiger Interessen zurückgedrängt werden.

Verantwortlich Nicole Gohlke, wissenschafts- und hochschulpolitische Sprecherin