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Armes, reiches Deutschland

erschienen in Clara, Ausgabe 16,

Die unteren Einkommen sinken, die Vermögen der Reichen wachsen – eine jahrzehntelange Politik der Umverteilung hat die soziale Spaltung auf?Rekordwerte getrieben.

Hungersnot in Deutschland? Was absurd klingt, ist für Millionen Menschen Realität. Sie sind auf Lebensmittelspenden angewiesen. Gemeinnützige Vereine verteilen in vielen Kommunen kostenlos Essen und Getränke. Mehr als 860 dieser »Tafeln« gibt es mittlerweile in Deutschland – Tendenz steigend!

Am oberen Ende der Einkommenspyramide häufen indes einige wenige Spitzenverdiener unvorstellbare Reichtümer an. Der reichste Deutsche, Karl Albrecht, konnte sein Vermögen laut Forbes Magazine auf rund 23,5 Milliarden (das heißt 23.500 Millionen) Dollar steigern. Albrecht ist Mitbegründer der Aldi-Supermärkte. Er macht sein Geld mit denen, die noch nicht zur Tafel gehen müssen. Ähnlich geht es Anton Schlecker, Chef der gleichnamigen Drogeriemarktkette, der mit geschätzten 3,2 Milliarden Dollar immer noch Platz 25 unter den reichsten Deutschen einnimmt. Schlecker macht regelmäßig Schlagzeilen, weil in seinem Unternehmen Betriebsräte schikaniert und Löhne gedrückt werden – von nichts kommt nichts, könnte man sagen.

Die Lebensmittel-Milliardäre Albrecht und Schlecker einerseits und die Empfängerinnen und Empfänger von Lebensmittelhilfe andererseits – dieser Gegensatz steht beispielhaft für die zunehmende Ungleichverteilung hierzulande. Betrachtet man das gesamte Einkommen der Deutschen, zeigt sich, dass der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Zeit von 2000 bis 2008 von 72 auf 65 Prozent gesunken ist, während der Anteil der Gewinn- und Vermögenseinkommen von 28 auf 35 Prozent zulegte. Das heißt: Das gesamte Wirtschaftswachstum in diesem Zeitraum floss zu zwei Dritteln in die Taschen von wenigen Vermögensbesitzern. Die zahlenmäßig weit größere Gruppe der abhängig Beschäftigten wurde mit nur einem Drittel des Zuwachses am Bruttoinlandsprodukt abgespeist.

Ungleichheit wächst auf allen Ebenen

Insgesamt ist der durchschnittliche Reallohn pro Arbeitnehmer von 2001 bis 2008 nahezu konstant geblieben. In diesem Zeitraum wuchs die Gruppe der Niedriglohn-Bezieher allerdings um rund ein Drittel auf 6,55 Millionen Personen. Mittlerweile sind in Deutschland laut statistischem Bundesamt 15 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht, weil ihr Einkommen weniger als 913 Euro im ?Monat beträgt. Zum Vergleich: In Frankreich lag die Armutsgefährdungsquote bei 13 Prozent, in Österreich, Dänemark und Schweden bei jeweils 12 Prozent. Auf der anderen Seite der Einkommensskala konnten die Vorstände der 30 größten deutschen Aktiengesellschaften von 2001 bis 2008 ihre jeweils millionenschwere Vergütung fast verdoppeln.

Während die Reichen immer reicher und die Armen immer zahlreicher werden, schrumpft die Mittelschicht: Nur noch rund die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger verdient zwischen 70 und 150 Prozent des mittleren Einkommens (Median), das im betreffenden Zeitraum netto zwischen 1.300 und 1.400 Euro monatlich lag. Der Anteil der Personen, die weniger als die Hälfte des mittleren Einkommens verdienen, wuchs dagegen zwischen 1996 und 2006 von 7,3 auf 11,4 Prozent. Auf der anderen Seite stieg der Anteil derjenigen, die das Doppelte des mittleren Einkommens oder mehr verdienen ebenfalls – zwischen 1996 und 2006 von 6,4 auf?9,2 Prozent.

Diese Polarisierung der Einkommen geht einher mit einer wachsenden Ungleichheit bei den Vermögen. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) verfügte das reichste Zehntel der Bevölkerung im Jahr 2007 über 61,1 Prozent des privaten Vermögens –?3,2 Prozentpunkte mehr als 2002. Allein auf das reichste Hundertstel der Bevölkerung entfällt fast ein Viertel, die untersten 70 Prozent der Bevölkerung teilten sich im Jahr 2007 dagegen weniger als neun Prozent des Vermögens – 1,5 Prozentpunkte weniger als fünf Jahre zuvor.

Verschärft werden die Unterschiede durch den wachsenden Gegensatz von privatem Reichtum und öffentlicher Armut. Denn Privatisierungen und die leeren Kassen bei Bund, Ländern und Gemeinden treffen in erster Linie ärmere Menschen und Normalverdiener: Der Rolls-Royce-Besitzer mit Chauffeur ist nicht auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Wer eine stattliche Privatbibliothek besitzt, muss nichts in der Stadtbücherei ausleihen. Dem Eigentümer einer Villa mit Swimmingpool ist es egal, ob eine Stadt wie zum Beispiel Wuppertal im laufenden Jahr fünf Schwimmbäder schließen muss.

Armut und Reichtum –?Ergebnis bewusster Politik

Die wachsende Ungleichheit ist nicht vom Himmel gefallen. Und sie ist keine zwangsläufige Folge der Globalisierung. Sie ist vielmehr Ergebnis bewusster politischer Entscheidungen. Seit Jahrzehnten betreiben Bundesregierungen jeglicher Couleur Umverteilung von unten nach oben und rechtfertigen dies wahlweise mit einer angeblich notwendigen Stärkung des Wirtschaftsstandortes oder einer »Entlastung der Leistungsträger«: SPD und GRÜNE senkten den Spitzensteuersatz von ursprünglich 53 auf nur noch 42 Prozent und die Steuer auf Konzerngewinne auf 25 Prozent. Die große Koalition setzte diesen Kurs fort. Sie entlastete die Unternehmen mit ihrer Unternehmensteuerreform um viele Milliarden Euro jährlich. Gleichzeitig erhöhten SPD und Union die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. Auch die Schwarz-Gelbe Bundesregierung ist bislang vor allem durch Steuergeschenke an Hoteliers und durch Klientelpolitik zu Gunsten von Besserverdienenden aufgefallen.

Sinken die Einnahmen und steigen die Haushaltsdefizite, wird anschließend regelmäßig verkündet, dass massive Ausgabenkürzungen unvermeidlich sind. Entsprechend sank der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 48 Prozent im Jahr 1999 auf 43,5 Prozent 2008. Während von den Steuersenkungen natürlich vor allem Wohlhabende und Spitzenverdiener profitieren, treffen die Kürzungen vor allem die Geringverdienenden und Arbeitslosen, die auf öffentliche Angebote und oft auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.

Und nicht nur steuerpolitisch wurde umverteilt. Mit dem Dogma der Wettbewerbsfähigkeit sollten auch die Arbeitskosten sinken, also die Löhne und die Sozialversicherungsbeiträge (die sogenannten Lohnnebenkosten). Die Folge: sprudelnde Gewinne für die einen, mickrige Renten, Abbau sozialer Sicherungssysteme und Druck auf die Lohneinkommen für die anderen.
Der Weg in die absolute Ungleichheit muss endlich gestoppt werden. Die Schere zwischen Arm und Reich muss sich wieder schließen. Dass mehr Gerechtigkeit möglich ist, zeigen nicht zuletzt die skandinavischen Staaten. Dazu braucht es nur ein bisschen Mut und gute politische Ideen. Armut und Hunger im reichen Deutschland? Null Toleranz für diesen Skandal!


Gute Ideen für eine gerechtere Verteilung

DIE LINKE fordert:
Mindestlohn von zehn Euro
Stärkung der Gewerkschaften
Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 500 Euro
perspektivisch die Einführung einer?bedarfsdeckenden und sanktionsfreien Mindestsicherung
Rückkehr zu einer lebensstandard- sichernden gesetzlichen Rente Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 53 %
Abbau von Steuervergünstigungen, die nur Reichen nutzen
eine deutliche Erhöhung der Steuern?auf Unternehmens- und Vermögenseinkommen
(Millionärssteuer u. a.) gute Arbeit statt Minijobs?und ausufernder Leiharbeit
die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen?durch ein Investitionsprogramm, eine?Stärkung der Binnennachfrage und?den Ausbau des öffentlichen Dienstes