Mit einer Kampagne will DIE LINKE auf die unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnisse von vielen Millionen Menschen aufmerksam machen – und sie verbessern.
Ein Samstagvormittag im Januar in einem Tagungsraum des Gewerkschaftshauses der IG Metall in Bochum. Rund 60 Mitglieder von DIE LINKE haben sich zu einem ganztägigen Seminar eingefunden, um die neue Kampagne "Das muss drin sein!" vorzubereiten. Sascha Wagner aus Dinslaken und Resul Polat aus Essen sind zwei von ihnen. Sie wollen über die Ziele der Kampagne diskutieren und erste Aktionen planen. Den Titel der Kampagne finden beide gut. "Wir kämpfen für Selbstverständlichkeiten in einem so reichen Land: für einen guten Arbeitsplatz, ein auskömmliches Einkommen, eine bezahlbare Wohnung und funktionierende Krankenhäuser", sagt der 34-jährige Wagner. Die Kampagne soll am diesjährigen Tag der Arbeit, am 1. Mai 2015, in ganz Deutschland starten und auf die Probleme derjenigen Menschen aufmerksam machen, die die herrschende Politik meist ignoriert: Menschen, die wegen befristeter Arbeitsverhältnisse ihre Zukunft nicht planen können, die wegen Mietwucher umziehen mussten, die vom Jobcenter drangsaliert werden ohne Perspektive auf einen guten Arbeitsplatz. Menschen, die mit Schmerzen aus dem Krankenhaus entlassen werden, nachdem kaum jemand Zeit für sie hatte. Menschen, deren Kinder in Armut aufwachsen und für deren Erziehung kein Elterngeld gezahlt wird. Die in unfreiwilliger Teilzeit von einem schlecht bezahlten Job zum nächsten hetzen und nur mit Angst an ihr Alter denken können. Außerdem soll die Kampagne ermutigen, selbst politisch aktiv zu werden und gemeinsam für Verbesserungen der Lebens- und Arbeitssituation zu kämpfen. Und in der Bevölkerung sollen Mehrheiten für die zentralen Forderungen gewonnen werden. Auch die Bundestagsfraktion DIE LINKE ist mit an Bord. Nach einer zweitägigen Klausurtagung am 19. und 20. Januar 2015 in Berlin sagte Gregor Gysi: "Wir wollen die Kampagne gegen prekäre Beschäftigung parlamentarisch untersetzen." Es gehe darum, Leiharbeit, Werkverträge und befristete Beschäftigungsverhältnisse zurückzudrängen. Man kämpfe für "gleiche Löhne für gleiche und gleichwerte Arbeit in Ost und West und für Männer und Frauen", erklärte der Fraktionsvorsitzende und kündigte zahlreiche parlamentarische Initiativen an. Zwar gingen noch nie so viele Menschen einer Erwerbsarbeit nach wie im Moment. Doch für diesen zweifelhaften Rekord zahlen die Beschäftigten hierzulande einen hohen Preis: Unsichere, befristete und schlecht bezahlte Jobs sind auf dem Vormarsch. Nie zuvor gab es so viele Minijobs, nie so viel Teilzeitarbeit. Fast ein Viertel der Beschäftigten muss im Niedriglohnsektor arbeiten. Hinzu kommt, dass rund 3,5 Millionen Menschen erwerbslos sind. Ein Großteil von ihnen muss Sozialleistungen beantragen – und sich dem Regime der Jobcenter unterwerfen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch Leiharbeit und Werkverträge boomen weiterhin. Von Unternehmen werden sie eingesetzt, um die Löhne zu drücken und die Stammbelegschaften gefügig zu machen. Die Zahl der Solo-Selbständigen hat drastisch zugenommen, von 1,3 Millionen im Jahr 1998 auf 2,3 Millionen im Jahr 2008. Negativ betroffen von dieser Entwicklung sind besonders Frauen. Ihr Anteil bei Minijobs, erzwungener Teilzeitarbeit, bei befristeten Arbeitsverträgen und Solo-Selbständigkeit ist besonders hoch. Auch bei der Diskussion im Bochumer Gewerkschaftshaus geht es bald darum, wie man im Rahmen der Kampagne die Benachteiligung von Frauen thematisieren könne. Resul Polat hat ein paar Ideen: In seiner Heimatstadt Essen könne der Kampagnenstart verknüpft werden mit der Unterstützung der Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst. "Grundsätzlich müssen wir die Themen aufgreifen, die die Menschen vor Ort beschäftigen", sagt er. So sei in den Universitätsstädten der Kampf gegen steigende Mieten möglicherweise wichtiger. "Entscheidend ist, dass viele mitmachen. Dann erreichen wir auch viele Bürgerinnen und Bürger", sagt der 23-Jährige. So wie in Bochum finden in Nürnberg, Rostock, Frankfurt am Main, Potsdam, Hannover, Dresden und vielen weiteren Städten Seminare und Workshops statt, bei denen Mitglieder und Sympathisanten von DIE LINKE über die Inhalte der Kampagne debattieren, Zeitpläne diskutieren und Aktionsformen besprechen. In Berlin produzieren derweil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Partei DIE LINKE Materialien, die bei bundesweiten Aktionen benutzt werden können. Sie recherchieren Fakten, gestalten Präsentationen für Schulungen, konzipieren Veranstaltungen, schreiben und redigieren Flugblätter und Broschüren. Gearbeitet wird zudem an den Slogans für Plakate, Postkarten und Aufkleber. Eine Homepage wurde eingerichtet, auf der gelungene Beispiele zum Nachmachen animieren, aktuelle Informationen ausgetauscht und Erfahrungen geteilt werden können. Auch in den sozialen Netzwerken wird die Kampagne begleitet. Dafür werden neben Fotos, Plakaten und Buttons auch kurze Videofilme hergestellt. Neben der medienwirksamen Auftaktveranstaltung zum 1. Mai sind bundesweite Aktionswochen geplant, an denen sich DIE LINKE in Nord und Süd, in Ost und West beteiligen wird. Zudem soll es Veranstaltungsreihen zu ausgewählten Aspekten der Kampagne geben. Als Sascha Wagner und Resul Polat am Samstagabend den Tagungsraum verlassen, wirken sie zufrieden und zuversichtlich. "Wir sind bereit, loszulegen", sagt Wagner. In Essen wollen Polat und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter mit Aktionen zugunsten der Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen starten. "Es geht um höhere Löhne und mehr Anerkennung für diese Beschäftigten", sagt Polat. In anderen Städten richten sich die Proteste zu Beginn der Kampagne gegen die stetig steigenden Mieten. Woanders sind öffentlichkeitswirksame Straßenaktionen geplant, bei denen mit Krankenhausbetten auf Pflegenotstand und Personalmangel in Krankenhäusern aufmerksam gemacht wird. Höhere Löhne, bezahlbare Mieten und gute Versorgung im Krankheitsfall – das muss mindestens drin sein.