Zum Hauptinhalt springen

Der Euro brennt– Europa in Gefahr

erschienen in Clara, Ausgabe 16,

Mit der Agenda 2010 bekamen Konzerne eine Streitaxt zur Eroberung ?ausländischer Märkte. Die Eurozone wird nur überleben, wenn Deutschland einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel vollzieht. von Michael Schlecht

Freitag, 21. Mai 2010, zum zweiten Mal innerhalb von zwei Sitzungswochen wird im Eilverfahren ein Rettungspaket durch den Bundestag gepeitscht. Nachdem am 7. Mai bereits Notkredite von 22 Milliarden für Griechenland beschlossen waren, stimmte die Regierungskoalition jetzt Krediten in Höhe von knapp 150 Milliarden Euro zu. Dies ist der deutsche Anteil an einem europäischen Paket, das insgesamt 750 Milliarden Euro umfasst. Kanzlerin Merkel ist die Getriebene. Unter dem Druck der Spekulanten ließ sie Vorbehalte unter den Tisch fallen, mit denen sie noch vor wenigen Wochen eine rechtzeitige Hilfe für Griechenland verhindert hatte. Klar ist: Der Euro muss gerettet werden. Seit 65 Jahren haben wir Frieden in Mitteleuropa. In den 70 Jahren zuvor wüteten drei mörderische Kriege. Trotz aller Schattenseiten der Europäischen Union: Es steht viel auf dem Spiel! Mit den »Rettungsaktionen« der Regierung droht jedoch die Verschärfung der Krise. Deshalb lehnt die Fraktion DIE LINKE die beschlossenen Gesetze ab.
Griechen, Portugiesen und Spaniern wird ein bleierner Rettungsring übergeworfen, ein atemberaubender Sozialabbau zugemutet. Vor allem auf Druck der Kanzlerin, der ihr den zweifelhaften Ruf der »eisernen Merkel« eingebracht hat.

Bleierne Rettungsringe für Griechenland

In Griechenland müssen zusätzlich zu den bereits geplanten Kürzungen – vor allem im sozialen Bereich – in den nächsten drei Jahren rund 30 Milliarden Euro eingespart werden. Auf Deutschland umgerechnet entspräche das 300 Milliarden Euro. Griechenland wird somit tiefer in die Rezession gedrückt. Die Schulden werden explodieren, nicht sinken. Regierungsamtlich wird mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von vier Prozent in 2010 gerechnet. Bankökonomen befürchten jedoch ein Minus von zehn Prozent.
Die spanische Regierung will 15 Milliarden bis 2011 streichen. Die Löhne im öffentlichen Dienst sollen um fünf Prozent gekürzt und 2011 eingefroren werden.13 000 Stellen fallen beim Staat weg. Die 2007 eingeführte »Babyprämie« von 2.500 Euro, die dem Geburtenrückgang in Spanien entgegenwirken sollte, wird gestrichen. Und in Deutschland bereitet die Regierung ebenfalls Streichlisten vor. Kürzungen von 50 bis 60 Milliarden Euro bis 2016 allein im Bundeshaushalt drohen. Hinzu kommen Einschnitte bei den Ländern, Kommunen und in der Sozialversicherung.

Mit den Rettungspaketen werden die tieferen Ursachen für die Krise – die Außenhandelsungleichgewichte und die Verschuldung der Staaten – nicht angegangen. Deutsche Unternehmer haben in den letzten zehn Jahren immer mehr exportiert, als Deutschland importiert hat. Insgesamt beläuft sich der Außenhandelsüberschuss seit 2000 auf 1,4 Billionen Euro. Dieser Überschuss ist nur möglich, wenn in anderen Länder Defizite, also Schulden gemacht werden. In Europa sind dies vor allem die Südländer. Das griechische Außenhandelsdefizit beläuft sich seit 2000 auf 300 Milliarden Euro, das spanische auf 650 Milliarden und das portugiesische auf 180 Milliarden Euro. Selbst Frankreich hat für 280 Milliarden Euro mehr importiert als exportiert. Dies führt zu einer Verschuldung, die sich mittelbar auch in Gestalt von wachsenden Staatsdefiziten auswirkt. Die Triebfeder für diese Entwicklung liegt vor allem im deutschen Lohndumping. Reale Lohnsenkungen gab es im letzten Jahrzehnt in der EU nur in Deutschland. Wären die Löhne seit 2000 der Produktivität gefolgt, wären sie in Deutschland preisbereinigt um zehn Prozent höher – so wie in Frankreich.

Die Niedriglohnentwicklung hat hierzulande einen Namen: Agenda 2010 mit Befristungen von Arbeitsverträgen, Lohndrückerei, Minijobs und Hartz IV. So wurde nicht nur der Sozialstaat mit Füßen getreten, sondern die Unternehmer erhielten auch eine Streitaxt zur Eroberung ausländischer Märkte. Die Agenda 2010 ist nicht nur ein sozialpolitischer Skandal. Sie hat zudem massive negative Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik. Deshalb ist die Losung »Die Agenda 2010 muss weg!« so aktuell wie nie.

Die Krise wird angeheizt

Die Eurozone wird nur überleben, wenn Deutschland einen grundlegenden wirtschaftspolitischen Kurswechsel vollzieht. Dies erfordert die Stärkung der Binnenwirtschaft. Das heißt deutlich höhere Löhne, ein Ende des Lohndumpings. Deutschland braucht den gesetzlichen Mindestlohn von? 10 Euro und die Erhöhung des Arbeitslosengelds II auf 500 Euro. Außerdem muss die Binnennachfrage durch ein Zukunftsprogramm für Bildung, Verkehr sowie den ökologischen Umbau von 100 Milliarden Euro jährlich gestärkt werden.  In den südlichen Krisenländern ist die Verschuldung wegen der Außenhandelsdefizite besonders stark angestiegen. Allerdings wuchs sie auch in den anderen Industriestaaten: In Deutschland stiegen die Schulden seit 2008 um 180 Milliarden Euro. Davon gehen alleine 100 Milliarden Euro auf das Konto der Bankenrettung. Hinzu kommen die Konjunkturprogramme und der Einbruch bei den Steuereinnahmen. Alles wird auf Pump finanziert. Insgesamt gaben die Staaten in der Europäischen Union bislang 1,7 Billionen für die Krisenbekämpfung aus. Damit stiegen ihre Staatsschulden in den letzten beiden Jahren um 20 Prozent auf fast neun Billionen Euro Gesamtverschuldung. Dies führt zu immer höheren Zinsbelastungen. In manchen Ländern sind sie so hoch, dass Zweifel aufkommen, wie lange sie noch zu bewältigen sind. Länder, die außerdem noch eine schwache Wirtschaftsentwicklung aufweisen, geraten dann schnell ins Visier von Spekulanten, die auf eine Staatspleite zocken. Wie Wölfe stürzen sie sich zunächst auf die wirtschaftlich Schwächsten. Deshalb steht vor allem Griechenland in der Schusslinie. Aber auch die anderen Defizitländer wie Portugal und Spanien. Spekulanten attackieren letztlich die gesamte Euro-Zone. Und heizen die Krise erst richtig an.

Deshalb muss ihnen das Handwerk gelegt werden. DIE?LINKE fordert vor allem ein Verbot der Credit Default Swaps (CDS) und der Leerverkäufe – die »Massenvernichtungswaffen«, mit denen Spekulanten auf Staatsbankrotte wetten. DIE LINKE fordert bereits seit 2008, dass die Profiteure die Kosten der Krise bezahlen sollen. In allen Ländern. Gerade in Deutschland und in Griechenland drücken sich die Begüterten vorm Steuernzahlen. Zudem sind die Steuersätze zu niedrig und lassen zu viele Schlupflöcher offen. Lieber spart man Steuerbeamte und -fahnder ein, anstatt sie auf die Reichen anzusetzen. Gäbe es in Deutschland eine Besteuerung der Reichen gemäß dem Steuerkonzept der LINKEN, würde das Mehreinnahmen von? 160 Milliarden Euro jährlich bringen. Müssten in Griechenland Multimilliardäre wie Onassis, Latsis und andere Reiche angemessene Steuern bezahlen, gäbe es keine drohende Zahlungsunfähigkeit.

Aber selbst eine massive Besteuerung der vermögenden Eliten wird wohl nicht reichen, die weitere Staatsverschuldung, die drohende Zahlungsunfähigkeit, aber auch massiven Sozialabbau und die Strangulierung der wirtschaftlichen Entwicklung zu verhindern. Perpektivisch ist ohne eine Teilentschuldung der Euro-Staaten eine wirkliche Bewältigung der Krise nicht denkbar. Und die Vergesellschaftung der Privatbanken, ihre Überführung in öffentliche Kontrolle wird immer notwendiger. So kann man das Zocken am besten stoppen und die ergatterten Profite sozialisieren.