Am 7. Mai wird Beate Klarsfeld unsere Fraktion besuchen. Ihr Leben lang war sie auf der Jagd nach untergetauchten NS-Verbrechern. Sie will Gerechtigkeit, nicht Rache und setzte dafür ihr Leben aufs Spiel.
Einer der Gründe für Ihren Besuch ist die Aufführung des Films »Die Hetzjagd«. Was ist das für ein Gefühl das eigene Leben auf der Leinwand zu sehen?Es ist nicht der erste Film über mich. Die ABC-Television hatte schon vor 25 Jahren »The Beate Klarsfeld Story« mit Farrah Fawcett produziert. Solange ich die Filme nicht kenne, bin ich nervös, denn man weiß nie, ob sie unserem Engagement in der Verfolgung der NS-Verbrecher und der Erinnerung an die Opfer gerecht werden. Glücklicherweise ist auch der Film »Die Hetzjagd« sehr gut gelungen, und meine Rolle war realistisch.
Ihre Strategie war stets, mit »einer illegalen Aktion auf den größeren Skandal aufmerksam zu machen«. Warum?
Die Strategie der illegalen Aktionen war für uns unumgänglich. Wir wollten den Deutschen Bundestag und Bundesrat zwingen, ein Gesetz zu verabschieden,
das es ermöglichte, NS-Verbrecher, die in Frankreich ihre Verbrechen begangen hatten, in Deutschland zu verurteilen. Die Mehrheit der Abgeordneten von
CDU/CSU und FDP verweigerten die Ratifizierung des Vertrages. Wir mussten gewaltsam handeln, aber gleichzeitig Takt beweisen. Mit unseren gewaltsamen Aktionen brachen wir Tabus. Wir übernahmen aber die Verantwortung für unsere Taten und wurden ins Gefängnis gesperrt, während die NS-Täter weiterhin Straffreiheit genießen konnten.
Sie haben immer Wert darauf gelegt, politisch unabhängig zu bleiben, brauchten aber für Ihre Aktionen Unterstützung. Geht das zusammen?
Man darf Bündnisse schließen. Sicherlich sind die Feinde unserer Feinde keine Freunde, können aber als Verbündete fungieren. Als mein Mann im Oktober
1967 nach Ost-Berlin reiste, sagte er dem Politbüro unumwunden: »Ich habe mich als Freiwilliger im Juni 1967 in Israel engagiert. Sie haben keine Sympathie für das Land, aber wir haben eines gemeinsam: Sie und wir wollen gegen einen ehemaligen Leiter der Hitler-Propaganda, den heutigen Bundeskanzler Kiesinger, eine Kampagne führen und seinen Rücktritt fordern.« Dann unterstützte die SED unsere Kampagne in den Medien. Im Jahre 1970, nach der Wahlniederlage Kiesingers, bin ich in Warschau festgenommen worden, weil ich hier öffentlich gegen den Antisemitismus des damaligen Innenministers General Moczar demonstrierte und Anfang 1971 dann in Prag. Diesmal richtete sich meine Aktion gegen die Re-Stalinisierung im Land. Die Beziehungen waren abgebrochen.
Sie sagen, als Deutsche habe man historisch-moralische Verpflichtungen. Was entgegnen Sie Landsleuten, die glauben, die Schuld sei abgetragen?
Ich sage ihnen, sie wollen der Wahrheit nicht ins Auge sehen. In den 60iger Jahren war ich überzeugt, dass man das schlechte Bild von Deutschland nur mit Gesten auslöschen kann. Die Kiesinger-Ohrfeige war so eine Tat. Der Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal im Warschauer Ghetto geht in die gleiche Richtung. Die Tatsache, dass deutsche Politiker und die Bevölkerung nun einwilligen, wenn auch mit Schwierigkeiten, die Nazi-Verbrechen materiell und finanziell wiedergutzumachen, zeigt, dass sich das Deutschlandbild verändert.
Sie sind international eine hoch geehrte Frau. Für Deutschland waren Sie immer der Stachel im Fleisch der »Vergangenheitsbewältigung«. Warten Sie noch auf eine Anerkennung?
Nach der Ohrfeige sagte mein Mann Serge zu mir: »Du wirst niemals etwas Bedeutenderes tun, aber du musst warten bist du ganz alt bist, ehe Deutschland dir hierfür Anerkennung zollt. Nun gut, ich warte, bin aber noch immer überzeugt,dass ich damals Recht hatte, wahrscheinlich zu früh für die Masse der deutschen Bürger, die die Ohrfeige genauso schmerzte wie den Kanzler.
Das Gespräch führte Marion Heinrich