Schauspielerin Walfriede Schmitt über Kunst und Kneipe, Frauen und Politik
»Lesen gegen das Vergessen« – mit dieser öffentlichen Veranstaltung auf dem Berliner Bebelplatz wird?immer im Mai an die Bücherverbrennung 1933 erinnert. Durch die Nazis landete damals das geschriebene Wort, der Geist, der Verstand auf dem Scheiterhaufen. Wenn man zum ersten Mal bei so einer Veranstaltung auftritt, ?wofür möchte man sensibilisieren?
Meine Idee war, von Ringelnatz »Ich hab’ dich so lieb, ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken« vorzutragen. Das ist eines meiner Lieblingsgedichte. Ich dachte, mach’ was Schönes. Dann habe ich mich doch anders entschieden und etwas Aggressives gewählt. Etwas, das in diese Welt passt. Ich habe »Die Hymne an die Bankiers« von Erich Kästner genommen. Denn es geht darum, dass möglichst viele Menschen begreifen, was sich aktuell eigentlich abspielt, was mit ihnen gemacht wird, was sie werden aushalten müssen. Und ich will nicht, dass sie dumm in die Falle laufen.
Sie glauben an die Wirkung von Literatur, Theater, Kunst überhaupt? Sie glauben, dass Menschen dadurch hellhöriger werden?
Davon bin ich überzeugt. Mein Leben ist bestimmt worden durch Theater, Kino, Literatur. Ich bin damit erzogen worden. ?Ich weiß noch ganz genau, dass ich durch ein Buch, das war ein englischer Historienroman, auf das Wort Toleranz gestoßen ?bin. In diesem Roman stand: »Ich bin nicht einverstanden, was du sagst, aber ich werde bis zum Tode dein Recht verteidigen, es zu sagen.« Da habe ich viel drüber nachgedacht. Später waren es dann Christa Wolf, Volker Braun, Heiner Müller. Was haben die mich auf die Sprünge gebracht. Sie haben mir die Zeit erklärt.
Gehen wir 20 Jahre zurück. ?Der 3.Dezember 1989 ist ohne Walfriede Schmitt gar nicht zu denken. Die Volksbühne in Berlin ist randvoll ?mit Frauen. Am Ende des Tages steht ?der »Unabhängige Frauenverband«. ?Ein bunter Schmetterling für kurze Zeit. Dann ist alles vorbei, oder?
Ich sehe das immer noch als eine unglaubliche Kraft an, was sich damals innerhalb von zwei oder drei Wochen in dieser Wendezeit abgespielt hat. Nachts habe ich Ina Merkel angerufen, ihr gesagt, wir brauchen ein politisches Programm.
Ina Merkel, Theater- und Kulturwissenschaftlerin, auch Mitgründerin des Unabhängigen Frauenverbandes?
Genau. Die hatte auch schon eins in der Schublade. Und wir hatten trotz allem so viel Humor. Da stand »Hexen, Hexen an die Besen, sonst ist unser Land gewesen«. An diesem 3. Dezember hatten ?wir ein Stück Zukunft in der Hand. Einen kurzen Moment, aber der war so kraftvoll. Es ging immer darum, wie wollen wir diese Welt haben?
Eine schöne Erinnerung?
Ich kann mich nicht erinnern, dass andere Institutionen oder Bürgerrechtler die Sache so angepackt haben. So nach vorne gedacht! Es war einer der schönsten Momente meines Lebens. Ich war sehr aufgeregt, ich hab’ wieder angefangen zu rauchen. Es war eine Atmosphäre, wo du sagst, wenn die Welt immer so wäre, das wäre einfach genial. Weil wirklich an einem Strang gezogen wurde.
Aber eben nur einen kurzen Augenblick lang?
Die Idee war ja, die gesamte Frauenbewegung unter einem Dachverband ?zu vereinen. Aber dieser Gedanke der Einigkeit, des Zusammenhaltens und das Weglassen von Animositäten, das hat sich nicht rumgesprochen. Das ist eben die Enttäuschung, dass immer wieder die Profilsucht dazwischen kommt.
Bei Walfriede Schmitt gibt es offensichtlich keine halben Sachen. War das auch 1994, so als Sie nach 22 Jahren die Berliner Volksbühne verließen? Das war doch Theaterfamilie?
Es war so vieles, was mir fremd war. Castorf, Kresnik, Schlingensief, tolle Künstler. Aber das war nicht mehr meine Spielweise. Diese Heftigkeit des Theaters. Es ging ja pausenlos weiter. Ich hatte ein neunjähriges Kind zu Hause und keine Zeit, irgendetwas zu verarbeiten. Ich war nahe dran, krank zu werden. Und dann hab’ ich gedacht, ich muss jetzt hier mal weg.
Und wohin?
Ich bekam das Angebot, die Schwester Klara in der Fernsehserie »Für alle Fälle Stefanie« zu spielen. Damals war mein Theater, meine Volksbühne, gerade Theater des Jahres geworden. Mir war das schon peinlich, also dieser Rückschritt, wenn der Rollentext heißt: »Kommen Sie mal schnell, Herr Doktor.«
Aber Sie haben sich dafür entschieden?
Ich sah einfach keine andere Möglichkeit. So spannend, so schön die Volksbühne auch gewesen ist. Und so herausfordernd. Wenn du einmal mit Castorf gearbeitet hast, kommst du an bestimmten Dingen nicht mehr vorbei. Dann wurde ich »Klara« und blieb dabei. Natürlich gehöre ich nun nirgendwo mehr dazu. Ich bin ein einzeln stehender Mensch.
Aber eine Schauspielerin braucht doch die Bühne, das Publikum, den Applaus?
Ich hab’ immer gesagt, der Film ist der Vater und Theater ist die Mutter. Darum habe ich ja auch diese vielen unterschiedlichen Sa?chen gemacht. Also, mit Conny Bauer »Alice im Wunderland«, »Jazz–Lyrik–Prosa«, dann dieses Einzelprogramm »Love and Blues« konzipiert und die Samuel-Beckett-Aufführung. Das Einpersonenstück im Theater unterm Dach in Berlin. Und bisher hat mir das Schicksal ja immer wieder geholfen. Inzwischen bin ich bei der Komödie gelandet. Ich weiß noch nicht, ob mir ?das besonders gefällt. Aber so habe ich immer Mal wieder die Gelegenheit, mich dem Publikum zu stellen und meinen Applaus zu kriegen.
Applaus bekommen Sie jetzt auch als Romandebütantin. »Gott ist zu langsam« heißt ihr Buch. Da treffen sich witzig-anrührende Typen bei »Werner«, in der alten Kneipe um die Ecke. Es fließt viel Bier, viel Kräuter und viel Leben. Beim Lesen lacht man viel, aber die Dinge des Lebens sind nicht nur komisch?
Nee, die Geschichten sind auch tragisch und absurd, wie das Leben eben. Am besten gefällt mir, wie die Leute in dem Buch mit der Wende umgehen. So ohne Jammern, ?so leicht, so ohne Freiheitsdruck.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen?
Ich habe einfach drauflosgeschrieben. Denn es ärgert mich schon, wie die sogenannten einfachen Menschen in dieser Gesellschaft wegkatapultiert werden. Also, die mit den schwarzen Fingernägeln und Schwielen an den Händen. Das sind die, die Werte schaffen. Ich hab’ sehr viel in meinem Leben mit solchen Menschen verbracht. Sie beobachtet, ich kenne ihren Witz, ihre Bodenhaftung. Die Kneipe steht hier als »Wassertropfen Welt«. Pralles Leben hier und eben nicht in der Münchner Schickeria.
Vor 20 Jahren gab es für Wally Schmitt diesen kurzen Augenblick Zukunft in der Hand. Ist er weg?
Ja! Er ist nur noch Erinnerung. Es ist wie mit dem Glück, das kannst du auch nicht immer haben. Aber hast du es einmal erlebt, das ist kostbar. Im Moment sehe ich die immer gleichen Prozesse. Darum wünsche ich mir von der LINKEN, dass sie sich nicht mit ?sich selbst beschäftigt, sondern an ihre Verantwortung für die Menschen denkt. ?An das sogenannte Volk, das klare Nachrichten braucht. Ich wünsche mir von der LINKEN eigentlich so ein Blatt wie den Berliner Kurier. Nur besser und links, das den Menschen ganz einfach erklärt, wie sie soziale Gerechtigkeit, Frieden und Abrüstung hinkriegen will. Wer und was dagegen steht und warum.
Das Gespräch führte Gisela Zimmer