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Ermöglichen statt Bevormunden!

erschienen in Querblick, Ausgabe 18,

Von Gut-Menschen, Mangelernährung und Hartz IV.

 

Die Gesundheit der Menschen zu fördern ist eine wichtige und gute Aufgabe. Diesem Satz werden die Meisten sicher zustimmen. Was gesundes Leben ausmacht, darüber gibt es allerdings sehr verschiedene Vorstellungen. Meine wurden im Alter von vier Jahren beim »Mutter und Kind«-Turnen geprägt. Das Sing- und Bewegungslied »Die Bewegung an der frischen Luft, Juchee – ersetzt den Arzt und auch den Fliedertee« verfolgt mich als Ohrwurm bis heute. Für andere sind es der tägliche Apfel oder das abendliche Glas Rotwein. Gerade bei Gesundheitsförderung und Prävention gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie sich die Menschen verhalten sollten, um gesund zu bleiben. Oftmals sind es sogar Vorstellungen, wie sich die Menschen verhalten müssen, um nicht krank zu werden.

Wer sich falsch verhält, ist dabei von vornherein ausgemacht. Armen Menschen wird gerne die Neigung zugeschrieben, sich vor dem Fernseher von Chips, Pommes und Schokoriegeln zu ernähren. Solche Vorstellungen gipfeln in Forderungen, wie sie der Präsident des Lehrerverbandes, Josef Kraus, in diesem Sommer erhob. Im Gespräch mit einer bekannten Boulevardzeitung forderte er neben regelmäßigen Gewichtskontrollen durch Schulärzte auch Sanktionen: »Wenn Mitteilungen an die Eltern übergewichtiger Kinder in den Wind geschlagen werden, muss das Jugendamt informiert und in letzter Instanz Kindergeld und HartzIV gekürzt werden.«

Die Logik dieses autoritären Denkens beschreibt die Pädagogik-Professorin Lotte Rose: »Es gibt auf der einen Seite die ›Gut-Menschen‹, die wissen, welche Ernährungsweise gut ist und es gibt auf der anderen Seite die Menschen, die dieses nicht wissen und deshalb lernen müssen. Die Position der ›Gut-Menschen‹ legitimiert wiederum zu Sanktionen.«

Auch gut gemeinte Fürsorge folgt oft der gleichen Logik, dass sozial benachteiligten Menschen das richtige, gesunde Handeln beigebracht werden müsse. Das Forschungsprojekt »Gesundheit beginnt in der Familie« des Deutschen Jugendinstituts (DJI) kam zu einem ganz anderen Ergebnis. Interviews mit Frauen, die von Hartz IV leben, zeigten, dass diese nicht mangelndes Wissen oder Gleichgültigkeit daran hindern gesund zu leben. Es ist vielmehr »der stressige Alltag mit den Kindern, der Mangel an Alternativen zur Bedürfnisbefriedigung in einer extrem konsumorientierten Gesellschaft«, so Elisabeth Helming, Referentin am DJI.

Es sind in erster Linie miese Lebensbedingungen, die verhindern, dass Menschen gesund leben können. Studien belegen, dass Menschen mit einem niedrigen Einkommen und Bildungsniveau oder unsicherer beruflicher Position in der Regel früher sterben und häufiger von Krankheiten und Beschwerden betroffen sind. Eingeschränkte Ressourcen lassen den »Luxus« der ausreichenden Sorge für sich selbst oftmals nicht zu. Der Nationalen Verzehrstudie der Bundesregierung zufolge, sind Menschen aus unteren ökonomischen Schichten zwei- bis dreimal häufiger von Mangelernährung betroffen, als der Bevölkerungsdurchschnitt.

DIE LINKE. im Bundestag setzt sich daher nicht nur für ein längst überfälliges Präventionsgesetz ein. Aus einem Fachgespräch zur Gesundheitsförderung zogen die Expertinnen und Experten den Schluss, dass wir dringend eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik brauchen. Das erfordert vor allem eine andere Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik.

Eine weitere Herausforderung ist das sogenannte »Präventionsdilemma«: Unterstützungsangebote kommen bei den Menschen, die sie besonders brauchen, nicht an. Emanzipatorische Gesundheitsförderung muss daher konsequent von den Motiven, Rechten und Stärken der Menschen ausgehen und Voraussetzungen zur Selbstbestimmung fördern. Diesen Anspruch in umzusetzen, ist sicher nicht einfach. Es gibt aber positive Beispiele, wie die Ferienkochgruppe einer ambulanten Kinder- und Jugendhilfe. Die Kinder bastelten zunächst Collagen zum Thema »Was esse ich gerne«. Kartoffeln 
waren bei allen dabei. Sie verabredeten daraufhin gemeinsam, Kartoffeln mit Quark und Salat zuzubereiten. Die anfängliche Sorge der Betreuerinnen, dass die Kinder sich nur für Fast-Food entscheiden würden, war völlig unbegründet.


Von Jutta Kühl