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»Jobcenter mitverantwortlich für Zwangsräumungen«

erschienen in Klar, Ausgabe 36,

Der renommierte Stadtforscher Andrej Holm über staatliches Versagen angesichts wachsender Wohnungsnot.

 

 

Stimmt der Eindruck, dass es in Großstädten und in kleineren Universitätsstädten sehr schwierig ist, mit einem durchschnittlich gefüllten Geldbeutel eine Wohnung zu finden?   Andrej Holm: Ja, steigende Mieten und Verdrängungsdruck beobachten wir vor allem in solchen Städten. Dort nutzen Vermieter die erhöhte Nachfrage aus. Vor allem Haushalte mit geringem Einkommen bleiben dabei auf der Strecke.   Immer häufiger hört man von Zwangsräumungen. Sie haben unlängst an einer der ersten wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema am Beispiel Berlin mitgewirkt. Was haben Sie rausgefunden?   Wo hohe Neuvermietungsmieten oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen locken, setzen Vermieter Räumungsklagen selbst dann durch, wenn die Sozialämter Mietschuldenübernahmen anbieten. Da andererseits für viele Mietrückstände die strengen Auflagen der Hartz-Gesetze zu den Kosten der Unterkunft und die repressive Praxis der Jobcenter verantwortlich sind, sprechen wir von staatlicher Koproduktion der Wohnungsnot. Das staatliche Hilfssystem ist überfordert: Unzureichende Unterbringung in Notunterkünften wird zur Regel und zum Dauerzustand.   Nur ein Problem in Berlin?   Nein, das ist über Berlin hinaus verallgemeinerbar. Das staatliche Hilfssystem kann in Städten mit hohem Verwertungsdruck die Wohnungsnot nicht wirklich verhindern.   Der soziale Wohnungsbau wurde seit den späten 1980ern bundesweit stark zurückgefahren. Warum?   Der Rückzug wurde mit allgemeinen Sparzwängen begründet. Es herrschte zudem die Überzeugung, der Markt werde es schon richten. Wohnungspolitik in der Bundesrepublik versteht sich traditionell als zeitweise Korrektur des Marktes und hat die Logik der Gewinnmaximierung nie infrage gestellt. Angesichts der schnell steigenden Mieten und des gravierenden Versorgungsproblems im Wohnbereich setzen einzelne Bundesländer und Städte nun wieder verstärkt auf die Förderprogramme.   Wird das die derzeitige Wohnungsnot lindern?   Angesichts der begrenzten Fördervolumen ist das nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Es gibt keine Stadt, in der die neu geförderten Sozialwohnungen die Abgänge aus früheren Förderprogrammen übersteigen. Obwohl wieder mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau gesteckt wird, sinkt die Zahl der Sozialwohnungen weiter.   Sie halten nicht viel von der sogenannten Mietpreisbremse der Bundesregierung, die seit Anfang Juni gilt. Warum?   Die Mietpreisbremse hat zu viele Ausnahmen, etwa bei Modernisierungen oder Neubauten. Zudem soll sie knapp oberhalb der Durchschnittsmieten wirken und dient so vor allem den Mittelschichten.   Was würde Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen wirklich helfen?   Mehr Förderprogramme, kommunaler Wohnungsbau und dauerhafte Belegungsbindungen.   Interview führte Ralf Hutter