Die Menschen in Gaza brauchen dringend Hilfe, um überleben zu können.?Die Blockade muss sofort beendet werden. von Wolfgang Gehrcke
Der Überfall israelischer Spezialkräfte auf die Schiffe des Hilfskonvois für Gaza entsetzte mich. Auf Befehl ihrer Regierung entern israelische Soldaten die Flottille mitten in der Nacht. Es wird geschossen, Menschen werden verletzt und sterben an Bord. Das Ganze geschieht in internationalen Gewässern, wie es endlich auch die Regierung Israels zugeben musste – 72 Seemeilen vor der willkürlichen Blockadelinie. Gewalttätig, sinnlos und abstoßend. Auf alten Hass wurde wieder neuer Hass getürmt.
Welche Gefühle lösen diese Bilder in Gaza aus oder im Westjordanland? In Syrien oder im Libanon? Dort sind die Erfahrungen der Kriege noch besonders lebendig. Gaza ist mit 1,5 Millionen Einwohnern eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Der Angriff Israels auf Gaza im Jahre 2008 hatte schreckliche Folgen. 1400 Tote, darunter mehr als 300 Kinder und Jugendliche, eine zerstörte Infrastruktur und traumatisierte Menschen. Das Gebiet war und ist abgeriegelt und wurde aus der Luft, von See und vom Land her beschossen. Niemand konnte dem entfliehen.
Abgeriegelt ist Gaza auch heute noch. Hilfstransporte auch der UNO erreichen die Region selten. Die UNO fordert, die Blockade aufzuheben. Doch diese Resolutionen des Weltsicherheitsrates missachtet Israel. Es wird einsam um dieses Land, das so viele Freunde hat und noch mehr haben könnte. Die Zahl der Verbündeten, die abrücken von dieser Politik, nimmt zu, selbst die USA. Erstmalig seit sehr langer Zeit haben die Vereinigten Staaten kein Veto gegen eine Resolution eingelegt, die Israels Handeln verurteilt. Wie lebensfremd ist eine Regierung, die das nicht in Rechnung stellt, es nicht wahrhaben will?
Israelische Freunde erzählen mir von Diskussionen unter rechten Siedlern: Warum nicht alle Schiffe gleich versenkt worden wären? Die fast körperlichen Auseinandersetzungen in der Knesseth, dem israelischen Parlament, mit einer Abgeordneten, die diesen Hilfskonvoi begleitet hatte, zeigen die aufgeheizte Stimmung in der »Wagenburg« an. Dies alles kann nur mehr Menschen den Terroristen in die Arme treiben. Israel macht, auch wenn es das Gegenteil erreichen will, mit dieser Politik den Terrorismus stark.
Sicherheit durch Zusammenarbeit
Bei Avi Primor, dem ehemaligen Botschafter Israels in Deutschland, lese ich die Kritik an der israelischen Regierungspolitik: Israel sei zu einem »kalten Monster« geworden, »das seine Interessen der Moral vorgezogen« hat. Warum, so fragen sich immer mehr Menschen, handelt Israel so beharrlich und fortdauernd gegen die eigenen Interessen? Ausgleich statt Gewalt, Sicherheit durch Zusammenarbeit, Völkerrecht statt Willkür, gemeinsame Sicherheit durch Entmilitarisierung – das könnten Ansatzpunkte einer neuen Nahostpolitik sein.
Friedensvorschläge liegen auf dem Tisch, die den Rahmen für eine künftige Zwei-Staaten-Vereinbarung bilden könnten. Es gibt die Genfer Initiative, die Road Map des Nahost-Quartetts, die Vorschläge der Arabischen Liga. Ein Abkommen mit Syrien, das die Besetzung der Golan-Höhen beendet und israelische Sicherheitsinteressen berücksichtigt, war schon fast ausgehandelt. Gescheitert sind diese Pläne an der Haltung der verschiedenen israelischen Regierungen. Richard Falk, der Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrates beschreibt die möglichen Grundlagen: »Fortschritt in Richtung Frieden wird es geben, wenn die Geltung von internationalem Recht und der Menschenrechte den Kern des Friedensprozesses bilden.« Das genau ist die Politik der LINKEN im Bundestag und in der Gesellschaft.
Von unseren politischen Konkurrenten wird behauptet, wir wären einseitig. Das ist Unsinn. Wir stehen auf der Seite der Menschen – in Israel und in Palästina. Einseitig sind wir höchstens, wenn es um die Frage Krieg oder Frieden geht. Wir sind immer für Frieden, gegen Krieg und Gewalt. Wir wollen nicht, dass auf israelische Städte Raketen abgefeuert und Anschläge verübt werden. Und wir wollen auch nicht, dass Gaza blockiert, bombardiert wird, dass die Besatzung palästinensischer Gebiete fortdauert. Frieden und Sicherheit für Israel und für Palästina gibt es, wenn Israel seine Besatzungspolitik aufgibt, wenn wirklich verhandelt wird und wenn, wie von der UNO beschlossen, zwei Staaten gleichberechtigt nebeneinander bestehen.
Abkehr von bisheriger Nahostpolitik
An Bord des Hilfskonvois für Gaza waren unsere Kolleginnen und Kollegen Annette Groth, Inge Höger und Prof. Norman Paech, gemeinsam mit vielen anderen Friedensaktivistinnen und Friedensaktivisten aus Deutschland und Europa. Ich bin überaus froh, dass sie unversehrt zurückgekommen sind. Auch unter dem Eindruck dieser Ereignisse haben wir dem Bundestag erneut einen Antrag vorgelegt, der die Bundesregierung auffordert, sich gegenüber der israelischen Regierung für die sofortige Aufhebung der Blockade des Gazastreifens einzusetzen. Darauf kommt es jetzt besonders an.
DIE?LINKE streitet im und außerhalb des Parlaments für den Frieden. Wir wollen nicht, dass Deutschland weiterhin Waffen in Spannungsgebiete, auch nicht in den Nahen Osten liefert. Wir verurteilen, dass Deutschland Drohnen (unbemannte Flugkörper) in Israel einkauft. Diese Drohnen sollen in Afghanistan eingesetzt werden. Piloten der Bundeswehr trainieren in der israelischen Armee, diese Waffen zu steuern. Wer weiß, wofür. Waffen liefern und Waffen kaufen ist keine Hilfe, sondern das Gegenteil von Solidarität. DIE?LINKE hilft politisch, indem wir für Frieden und Sicherheit streiten, praktisch, indem wir Menschen in Israel, Palästina und Deutschland zusammenbringen. Ohne die Überwindung von Angst und Misstrauen kann der Frieden nicht gedeihen.
Prof. Jeff Halper, 2009 mit dem Immanuel-Kant-Weltbürger-Preis ausgezeichnet, berichtet über seinen Versuch und seine Motive, mit einem kleinen Fischerboot an den israelischen Kriegsschiffen vorbei die völkerrechtswidrige Blockade zu durchbrechen: »Unsere gefährliche Überfahrt war der Akt einer Politik der Beschämung. So bezeichnet man den Versuch, Regierungen durch öffentliches Anprangern dazu zu bewegen, ihren eigentlichen Aufgaben nachzukommen.« Die eigentliche Aufgabe, der alle Regierungen unseres Landes, egal welcher Couleur, bisher nicht nachgekommen sind, heißt: Kategorisch für den Frieden und nur für den Frieden.
Augenzeugen berichten:
Zwei Mitglieder unserer Fraktion, ?Inge Höger und Annette Groth, sowie Prof. Norman Paech, bis 2009 Abgeordneter der Fraktion DIE?LINKE, beteiligten sich an einer internationalen Hilfsaktion von Free Gaza Movement. Mit Schiffen sollte die israelische Blockade von Gaza durchbrochen werden, um der palästinensischen Bevölkerung Hilfsgüter zu bringen. ?Die Schiffe wurden in internationalen Gewässern von der israelischen Armee gekapert, die Hilfsgüter beschlag?nahmt. Bei der Aktion starben mehrere Aktivisten durch das israelische Militär.
»Wir wollten ein weltweites Zeichen setzen und auf die Blockade des Gaza-Streifens aufmerksam machen und darauf, dass keine Hilfsgüter zum Wiederaufbau durchgelassen werden«, sagt die Abrüstungsexpertin der Fraktion Inge Höger.
»Es ist eine Farce, wenn die israelische Regierung behauptet, es gäbe keine humanitäre Katastrophe im Gazastreifen«, sagt Annette Groth, Menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.
»Wir waren eine Delegation aus dreißig Nationen, darunter Parlamentsabgeordnete, Friedensnobelpreisträgerinnen und Schriftsteller. Wir hatten damit gerechnet, dass ?die Israelis unser Boot abdrängen, umleiten, aber nicht, dass das israelische Militär uns so brutal überfällt«, sagt Prof.Norman Paech, Völkerrechtler.