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Problemkind Bildung

erschienen in Clara, Ausgabe 16,

Es geht um viel mehr als nur ums Geld. Das Bildungssystem in Deutschland ?kann nicht mehr leisten, was es leisten müsste. von Rosemarie Hein

»Es geht um die Kinder!«, tönt es in allen Parteien. Und wenn es dann wirklich darum geht, bessere Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern zu schaffen, wird sehr schnell die Schuldenbremse gezogen –?so wie das Roland Koch, Hessens scheidender Ministerpräsident, jüngst empfahl. Wie so oft bleiben die Jüngsten im parteipolitischen Gezänk auf der Strecke. Das will DIE LINKE ändern, weil Kinder dringend bessere Lernbedingungen und optimale Betreuung in Kindertagesstätten brauchen. Statt eine echte Schulreform auf den Weg zu bringen, jonglieren die Regierungsparteien mit Zahlen hin und her. Sie starten ständig Hilfsprogramme für benachteiligte Kinder, statt die Ursachen der Probleme zu beseitigen. Dabei wird selbst das Naheliegende vergessen.

So fehlen für den Rechtsanspruch auf frühkindliche Betreuung nicht nur zwischen 300 000 und 500 000 Krippenplätze, je nachdem, welcher Bedarfsprognose man glaubt, sondern auch das notwendige pädagogische Personal, dessen Ausbildung noch nicht einmal in Angriff genommen wurde. Selbst wenn man lediglich das Ausbauziel der Bundesregierung für die Bereitstellung von Kinderbetreuungsplätzen betrachtet, müssen bis 2013 noch 64 000 Erzieherinnen und Erzieher neu ausgebildet werden. Eigentlich brauchte man außerdem zusätzliches Personal, um die Gruppengrößen zu reduzieren, um mehr Ganztagsplätze anzubieten und um den Erziehern mehr Zeit für Elternarbeit, Vor- und Nachbereitung und die notwendige Weiterbildung zu gewähren. Zudem ist in den neuen Bundesländern inzwischen etwa die Hälfte des pädagogischen Personals älter als 50 Jahre und steht demnach in absehbarer Zeit nicht mehr zur Verfügung. Alles das ist nicht bedacht. Wenn nichts getan wird, gibt es zwar Kinderkrippen, aber kaum ausgebildete Erzieher.

Ganz ähnlich sieht es beim Personal in den Schulen aus. Im Durchschnitt sind bundesweit jede zweite Lehrerin und jeder zweite Lehrer älter als 50 Jahre. Gleichzeitig sind Studierende für ein Lehramt heute fast überall skeptisch, ob sie nach erfolgreicher erster Staatsprüfung eine Stelle im Vorbereitungsdienst erhalten und danach in den Schuldienst übernommen werden. In Bayern denkt man laut darüber nach, die tausend versprochenen Lehrerstellen wegen der Finanzkrise doch nicht zu besetzen. Darum verwundert es nicht, dass trotz der Verabredungen in der Kultusministerkonferenz die Zahl der Studienanfänger, die Lehrerin oder Lehrer werden wollen, wieder zurückgegangen ist.

Wenn nichts getan wird, können die Stellen für Lehrkräfte in den Ländern künftig überall nicht mehr besetzt werden. Fachkräftemangel droht also auch hier. Man kann sich aber nicht aussuchen, wie viele Kinder die Schule besuchen. Die Schulpflicht gilt – zum Glück – für alle. Was dann in der Not bliebe, um die Schulpflicht abzusichern, wäre ebenso übersichtlich wie fatal: Man kann die Klassenstärke vergrößern oder die Unterrichtsstundenzahl senken. Oder aber die Lehrerinnen und Lehrer müssten mehr Unterricht pro Woche erteilen. Alles das sind untaugliche Mittel, wenn die Bildungsqualität verbessert werden soll, und das ist bitter nötig. Eigentlich brauchte man dafür – also für kleinere Lerngruppen, für mehr Ganztagsschulen, für bessere Unterrichtsversorgung und ein reicheres Unterrichtsangebot in den Schulen – noch viel mehr Personal. Aber das rückt in weite Ferne, wenn nicht gehandelt wird, und die Leidtragenden sind mehrere Generationen von Kindern und Jugendlichen.
Darum fordert DIE LINKE – Ländersache hin oder her –, dass der Bund seiner Gesamtverantwortung gerecht wird und ein Fachkräfteprogramm »Bildung und Erziehung« auflegt, damit in kurzer Zeit mehr Erzieherinnen und Erzieher und mehr Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden. Kommunen, Länder und der Bund haben eine gemeinsame Verantwortung. Die fordern wir ein.