90.000 Demonstrantinnen und Demonstranten kamen am 23. April nach Hannover, um gegen die geplanten Abkommen TTIP und CETA zu demonstrieren
»Stopp TTIP! Stopp CETA!«, schallt es laut über den Opernplatz in Hannover an diesem sonnigen Samstag Ende April. Die Menschen – 90 000 werden es an diesem Tag noch – stehen dicht gedrängt, haben Fahnen, Transparente, Trommeln und fantasievolle Kostüme dabei. Sie sind in die niedersächsische Landeshauptstadt gekommen, um gegen die Freihandelsabkommen TTIP, TISA und CETA zu protestieren, die die Europäische Union mit den USA und Kanada abschließen will. Für den nächsten Tag hat sich US-Präsident Barack Obama angekündigt, um gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Hannover-Messe zu eröffnen und dabei für TTIP zu werben.
Barack Obama hat es eilig. Im November wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Seine Nachfolger, ob auf Seiten der Demokraten oder Republikaner, sind bisher erklärtermaßen keine Freunde des Abkommens. Will Obama TTIP noch mit auf seine Verdienstliste setzen, muss er seine europäischen Partner langsam drängen.
Und das tut er. Michael Froman, der Handelsbeauftragte der USA, wird nicht müde, in Interviews zu wiederholen, wie wichtig TTIP für eine gute transatlantische Zusammenarbeit sei. Wie groß der Druck der US-Seite auf die EU-Verhandlungspartner ist, zeigen die TTIP-Dokumente, die Greenpeace Anfang Mai veröffentlichte – ein wahrer Coup, weigerten sich doch EU und Bundesregierung bisher standhaft, Einblicke in die streng geheimen Verhandlungen zu gewähren.
Warum die US-amerikanische Seite auf Geheimhaltung pocht, erklärt Lori Wallach, die für die Verbraucherschutzorganisation »Public Citizen« als Handelsexpertin tätig ist, in ihrer Rede in Hannover. Schon 1993 habe sich das Geheimhaltungsprinzip bei den Verhandlungen zum Abkommen NAFTA etabliert. Handelsinteressen stünden im Vordergrund, nicht Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitnehmerrechte. Diese Abkommen würden, öffentlich verhandelt, niemals durchs Parlament kommen.
Zentraler Punkt der Abkommen und Hauptkritikpunkt der Demonstranten sind die sogenannten Investitionsschutzklauseln und privaten Schiedsgerichte, die Rechtsstaat und Demokratie aushebeln. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, bringt es auf den Punkt: »Es geht ganz grundsätzlich bei diesem TTIP – und deswegen sind wir heute hier – um die Frage: Wer soll hier eigentlich das Sagen haben in Deutschland und in Europa?« Es gehe um den Widerstand gegen die Herrschaft von multinationalen Konzernen über unsere Rechte als Demokraten.
Das ist eine der stärksten Triebfedern, die Menschen aus sozialen Bewegungen, Agrarverbänden, Gewerkschaften und Parteien gemeinsam auf die Straße bringt: So kommt Schneider zu dem Schluss: »Wir müssen uns stemmen – gemeinsam! – gegen die Ökonomisierung des Sozialen in Deutschland und in der Welt.« Sein Aufruf erntet donnernden Applaus.
DIE LINKE. im Bundestag ist mit einem eigenen Wagen Bestandteil des langen Demonstrationszugs, der sich durch Hannover bewegt. Vom Wagen aus stellen die niedersächsischen Abgeordneten der LINKEN Herbert Behrens, Diether Dehm, Jutta Krellmann und Pia Zimmermann klar, wofür sie sich im Bundestag stark machen. DIE LINKE stehe klar an der Seite der Landwirte und der ökologischen Bewegung, sagt Herbert Behrens. Gewerkschafterin Jutta Krellmann kämpft für Arbeitnehmerrechte, die sie wegen fehlender Standards in den USA in Gefahr sieht, und Pia Zimmermann zeigt die Gefahr auf, die Investitionsschutzklauseln für den Sozial- und Gesundheitsbereich darstellen.
Weithin sichtbar prangt an der Demonstrationsroute das Plakat der Bundestagsfraktion mit dem sich küssenden Paar Obama-Merkel: Der Slogan »Solidarität, nicht TTIP & CETA, ist die Zärtlichkeit der Völker« trifft ins Schwarze.
Nicht einmal ein Fünftel der Menschen in Deutschland sprechen sich noch für TTIP aus. 90 000 Menschen sind in Hannover auf der Straße. »Und die werden die Stimmung in diesem Land gegen dieses Freibeuterabkommen weiter ändern«, ist sich Diether Dehm sicher: »Die Mehrheit wird immer größer werden, bis dieses TTIP gefallen ist.«
Nicole-Babett Heroven