War die Anhebung des Rentenalters bereits vorher sozial- und arbeitsmarktpolitisch unverantwortlich, ist sie in der Krise grob fahrlässig geworden.
Deutschland im April 2009. Die Krise hat den Arbeitsmarkt im Griff. Seit Dezember ist die Zahl der Arbeitslosen um eine halbe Million gestiegen. Die Industrie meldet katastrophale Auftragseinbrüche. In Betrieben ist massenhaft Kurzarbeit angesagt. Eine Gruppe wird der Einbruch am Arbeitsmarkt besonders treffen: die Älteren. Sie haben es besonders schwer, wieder einen Job zu bekommen. Denn mehr als die Hälfte der Betriebe in Deutschland stellt keine über 50-Jährigen ein. Für die Betroffenen ist Arbeitslosigkeit oft gleichbedeutend mit Langzeitarbeitslosigkeit oder der erzwungenen Frühverrentung mit hohen Abschlägen.Heinz Hillmann war früher Maschinenschlosser bei einem Zulieferer der Autoindustrie. Als er 55 Jahre alt war, ging sein Betrieb Pleite. Zunächst bezog er Arbeitslosengeld. Nach 18 Monaten rutschte er in Hartz IV ab. Sein Erspartes musste er weitgehend aufbrauchen, die private Lebensversicherung auflösen. Vom Jobcenter bekam er kaum Unterstützung. Über 100 Bewerbungen hat er geschrieben. Nur Absagen! Seit 2006 lebt er von Hartz IV und erwirbt dabei einen zusätzlichen Rentenanspruch von 2,19 Euro im Monat. Mit 63 kann er frühestens in Rente gehen, bei Abschlägen von 8,4 Prozent. Würde für ihn die Rente ab 67 schon voll gelten, wären es sogar 14,4 Prozent.
Beispiele wie dieses gibt es hunderttausende. Von Menschen, die nicht bis zur Rente arbeiten können, weil ihnen keiner mehr Arbeit gibt, weil sie körperlich verbraucht sind, weil sie den wachsenden Anforderungen der Arbeitswelt nicht mehr gerecht werden können. Die Zahlen sprechen Bände: Die Arbeitslosigkeit Älterer liegt fast doppelt so hoch wie die jüngerer Erwerbstätiger. Die Chancen auf Wiederbeschäftigung sind katastrophal. Nur knapp zwölf Prozent der 50- bis 64-Jährigen gelingt es wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen. Selbst diejenigen, die noch Arbeit haben, können sie häufig nicht bis zum regulären Rentenalter ausüben. Das tatsächliche Renteneintrittsalter liegt mit gut 63 Jahren weit von der jetzt geltenden Altersgrenze von 65 Jahren entfernt. Nur eine verschwindende Minderheit erreicht die Rente aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Lediglich jeder 20ste Mann und jede 33ste Frau arbeitet mit 64 Jahren noch in einem solchen Arbeitsverhältnis. Und bereits heute geht mehr als die Hälfte der Beschäftigten mit Abschlägen in Rente.
Diese alarmierenden Fakten waren bereits allesamt bekannt, als die Rente ab 67 von der großen Koalition im Frühjahr 2007 beschlossen wurde. Die Rente ab 67 war damals schon sozial- und arbeitsmarktpolitisch unverantwortlich. In der Krise ist sie grob fahrlässig geworden. Bereits damals haben bis zu drei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze für Ältere gefehlt. Wenn diese Arbeitsplätze aber nicht vorhanden sind und die Beschäftigten nicht länger arbeiten können, bedeutet die Anhebung des Rentenalters Kürzungen durch höhere Abschläge, Arbeitslosigkeit und Armut im Alter. Für Klaus Ernst, Leiter des Arbeitskreises Gesundheit und Soziales, ist die Rente ab 67 deshalb auch eine
»brutale Kürzungspolitik«, die verhindert werden muss.
Die Krise wird die Chancen Älterer am Arbeitsmarkt enorm verschlechtern. Sie werden aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt, während die Jüngeren keinen Zugang finden. In dieser Situation bedeutet die Rente ab 67 zusätzlichen sozialen Sprengstoff.
DIE LINKE hat bereits im Gesetzgebungsverfahren gegen die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre gekämpft und sich in der Folgezeit zusammen mit Gewerkschaften und Sozialverbänden für ihre Rücknahme eingesetzt. Vor dem Hintergrund der zunehmend spürbar werdenden Auswirkungen der Krise erneuerte sie im März ihre Forderung mit einem Antrag im Bundestag.