Mehr als 769 000 Frauen und Männer müssen in Deutschland im alter arbeiten gehen. Wenn nichts passiert, droht bald massenhafte Altersarmut.
Ute Eichhorn ist 70 Jahre alt. Sie hat trotz Rente nie aufgehört zu arbeiten. „Konnte ich gar nicht“, sagt die diplomierte Pharmazieingenieurin. Nur 737 Euro monatlich hat sie zur Verfügung – für Wohnkosten, Strom, Telefon, Versicherungen, Lebensmittel und all die anderen Dinge des Alltags. Dabei schaut Ute Eichhorn auf ein mehr als vierzigjähriges Arbeitsleben zurück. Angefangen als Apothekenhelferin studierte sie Pharmazie, bekam zwischendurch zwei Kinder, arbeitete weiter, teilweise verkürzt und stemmte nach ihrer Scheidung den Unterhalt für sich und die Kinder allein. Ute Eichhorn muss bei ihrer Rente gleich zwei Kürzungen hinnehmen. Noch in der DDR geschieden, erhielt sie keinen Versorgungsausgleich und die damals versprochene Rentenaufbesserung für Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die nur geringe Gehälter bezogen, wurde nach der deutschen Vereinigung nicht eingelöst. Und so geht Ute Eichhorn weiter arbeiten. Zwei Tage die Woche in ihrem alten Job in einer Berliner Apotheke. Dafür fährt sie von Birkenwerder in die Hauptstadt. Die Berliner Wohnung musste sie längst aufgeben, sie ist zu teuer.
Deutschlandweit arbeiten insgesamt 769 000 Frauen und Männer im Alter ab 65. Einenormer Anstieg. Auch die Zahlder Grundsicherungsempfängerwuchs seit 2003 um 71,7 Prozent. Matthias Birkwald, Rentenexperteder Bundestagsfraktion DIE LINKE, sagt: „Ruhestand war gestern, malochen bis zum Tode heißt heute das Schicksal von immer mehr Rentnern.“
Die Ursachen für miese Renten sind Arbeitslosigkeit, Leiharbeit, befristete Verträge, schlechte Bezahlung, dazu das gekürzte Leistungsniveau der Rente. Wer früherin Rente geht, muss hohe Abschläge in Kauf nehmen. Hinzu kommt jetzt noch die Rente erst ab 67. Nach dem Willen der Regierung tritt sie nächste Jahr in Kraft. Dabei sind schon jetzt kaum Ältere in Vollzeit und sozialversicherungspflichtigen Jobs beschäftigt. Im Jahr 2009 waren es bei den 64-jährigenFrauen gerade mal 4,3 Prozent, bei den gleichaltrigen Männern knapp über 11 Prozent. Auch verliert die Rente permanent an Kaufkraft. Wer 1995 als langjährig Versicherter in den Ruhestand ging, hatte durchschnittlich nocheine preisbereinigte Rente vonr und 1000 Euro zur Verfügung. 2010 waren es für gleiche Versicherungszeitennur noch knapp 850 Euro.
„Dann bin ich mit meinen 900 Euro netto ja noch gut dran“, sagt die 66-jährige Hannelore Gießmann aus Königswusterhausen. Allerdings verschwindet gut die Hälfte davon fü̈r monatliche Fixkosten. Dass ihre Rente am Ende des Arbeitslebens so mäßig ausfällt, überraschte und enttäuschte sie. Abitur, Ausbildung zur Laborantin für Geologie und Mineralogie, Ingenieurökonomiestudium und erwerbstätig ohne Unterbrechung. Bis zum 63. Lebensjahr. Dann ging sie in Rente, um die krebskranke Mutter zu pflegen. Sie lebt sparsam, sagt die brünette Frau, und Dinge wie mal ins Theater, eine Reise oder den Friseur, das erarbeitet sie sich. Mit regelmäßigen Gelegenheitsjobs. Einer davon: Inventurarbeiten in großen Ladenketten.