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Foto: Rico Prauss

Aufrüstung frisst den Sozialstaat

Rede von Dietmar Bartsch,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Minister! Andreas Mattfeldt hat gerade von offener Aussprache, von klaren Worten gesprochen. Das will ich auch sehr gerne aufnehmen. Ich will am Anfang mal deutlich klarstellen: Von der linken Seite des Hauses, von uns, will sich niemand Putin unterwerfen.

(Beifall bei Abgeordneten der Linken – Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verhaltener Applaus, Herr Bartsch!)

Zu der These „Wer diesem Etat nicht zustimmt, ist ein Putin-Knecht“ kann ich nur sagen: Das ist wirklich absurd.

(Zuruf des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU])

Da haben wir eine ganz klare Position, und die bleibt auch.

Aber dieser Haushalt zeigt ja im Kern das, was der Kanzler gewollt hat – der Verteidigungsminister vermutlich auch –: „Whatever it takes“, was immer es kostet. Das gilt nur für die Aufrüstung der Bundeswehr. Das ist vielleicht ein Problem. Wenn die Priorität Nummer eins dieser Koalition wirklich Aufrüstung ist, das ist für mich ein Problem. Es sind gigantische Kosten – 86 Milliarden Euro; das ist schon mehrfach gesagt worden. Ich erinnere noch mal daran: Vor der Wahl hieß es: Keine neuen Schulden. – Was ist denn jetzt damit? Vor der Wahl hieß es: Keine Ausnahme von der Schuldenbremse. – Aber bei einem Etat geht das komischerweise. Das ist doch nicht normal.

Ich will mal daran erinnern: Der Bundestag hat nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine schon mal 100 Milliarden Euro Sondervermögen zur Verfügung gestellt. Was ist denn eigentlich daraus geworden?

Selbstverständlich. Aber die Uhr bitte anhalten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Dr. Bartsch, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben ja gerade zu Beginn Ihrer Rede gesagt, dass Sie als Linksfraktion sich Putin nicht unterwerfen wollen. Jetzt möchte ich Sie aber etwas fragen. Letzte Woche haben Sie ja in dieses Haus einen Antrag eingebracht, in dem Sie fordern, die Wehrpflicht – auch im Spannungs- und Verteidigungsfall – komplett aus dem Grundgesetz zu streichen. Sie stellen sich ja auch in der Debatte nicht der Frage, wie wir die Bundeswehr sowohl materiell als auch personell gut ausrüsten können. Wie wollen Sie sich eigentlich gegen jene verteidigen, die uns ihre Unfreiheit aufzwingen wollen, die uns unsere Freiheit nehmen wollen, die uns die Möglichkeit nehmen wollen, so wie wir leben möchten, leben zu können – in Frieden, in Freiheit –, zu lieben, wen wir möchten, mit Pressefreiheit und all dem, was uns diese Demokratie, dieses Grundgesetz gibt, wenn Sie sich nicht der Frage stellen, wie wir die Bundeswehr materiell und personell ordentlich ausrüsten?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Das will ich Ihnen sagen: Es ist völliger Unsinn, dass wir uns dieser Frage nicht stellen. Selbstverständlich stellen wir uns dieser Frage. Und ich sage auch ganz klar: Die Bundeswehr muss angemessen ausgestattet werden, ohne Wenn und Aber. Niemand sagt was anderes. Nur, was jetzt passiert, ist absurd.

Und zur Wehrpflicht nur folgende Bemerkungen:

Erstens haben wir keine Wehrpflicht.

(Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Grundgesetz! Steht drin! Lesen, Herr Bartsch! Lesen!)

Zweitens. Wer hat sie abgeschafft? Wir doch nicht. Wir haben sie doch nicht abgeschafft. Die haben andere abgeschafft.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie kennen die eigenen Anträge nicht!)

Drittens. Die Voraussetzungen für Wehrpflicht sind null gegeben. Wir haben weder die Ausbilder, noch haben wir die Kasernen. Wir haben das alles überhaupt nicht.

(Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Spricht ja keiner dafür, aber die Wehrpflicht im Spannungsfall gibt es nun mal!)

Und eine Wehrpflicht gibt es im Übrigen nicht. Gucken Sie sich mal den Antrag an! Da steht was ganz anderes drin, nämlich Freiwilligkeit.

(Falko Droßmann [SPD]: Im Spannungsfall!)

Ich sage es noch einmal: Wir haben die nicht abgeschafft. Diese Wehrpflicht, wie Sie sie vielleicht wollen,

(Falko Droßmann [SPD]: Im Spannungsfall! Im Verteidigungsfall!)

die wird es niemals geben.

Wer bei diesem Haushalt meint, nur wer zustimmt, findet das alles ganz toll, der unterwirft sich. Wir wollen uns Putin nicht unterwerfen. Wir sind mit der Ukraine solidarisch; wir wollen das auch.

(Dr. Sebastian Schäfer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir keine Waffen liefern, sind wir solidarisch?)

Ich war mehrfach da, habe sogar Materialien abgegeben und war auch bei der ukrainischen Armee. Mir muss niemand was darüber erzählen. Die Behauptung „Putin-Freunde“ äußern Sie gerne, aber das ist völlig absurd, kann ich Ihnen nur sagen.

(Beifall bei der Linken)

Denn wir verteidigen die Freiheit in unserem Land, aber auch die Gerechtigkeit. Mit diesem Etat wird genau das nicht gemacht. Aber dazu komme ich gleich.

Ist ja ganz schön gemein. – Ich will auch noch mal an eins erinnern. Es ist noch gar nicht so lange her – die Älteren erinnern sich –, seit im Bundestag gesagt wurde: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt. – Wer sich da nur vorsichtig kritisch geäußert hat, der wurde beinahe aus dem Bundestag vertrieben. Auf einmal redet kein Mensch mehr darüber. Wo sind denn unsere Verteidiger am Hindukusch? Das ist doch absurd. Das ist Strategie nach Krisenlage.

(Zuruf von der SPD: Was denn sonst?)

Was gilt denn eigentlich morgen? Das kann nicht sein. Solide ist das zumindest nicht.

Ich will im Übrigen auch noch mal auf die 100 Milliarden Euro Schulden zurückkommen. Was ist denn nun mit den 100 Milliarden Euro Sondervermögen? 50 Prozent sind an Rheinmetall gegangen, einen Konzern, der jetzt locker mal einen Teil der Lürssen Werft kaufen kann. Das ist das Ergebnis der 100 Milliarden Euro Sondervermögen, die wir gehabt haben.

Meine Damen und Herren, eins ist doch augenfällig, und darauf ist hingewiesen worden: Es verzögert sich, wie immer in den letzten Jahrzehnten, nahezu alles, und es wird auch ständig teurer. Das zeigt doch: Geld ist wahrhaftig nicht alles. Die Milliarden sind nicht alles, solange das Management eine Katastrophe ist; da sind wir uns ja sogar einig. Wenn Missmanagement und Rüstungsfilz regieren, dann wird kein Sondervermögen der Welt ausreichen, dann bleiben die Rüstungsfragen ein Fass ohne Boden für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der Linken)

Ich habe es ja gehört: „Die Beschaffung muss verbessert werden!“ – einverstanden. „Kein kopfloses Geldausgeben!“ – völlig richtig. Andi Schwarz sagt: „Es muss verlässlich sein vonseiten der Industrie“ – alles korrekt. Aber jetzt gucken wir doch mal die Wahrheit an. Es ist gerade publik geworden, dass das Flugabwehrsystem Skyranger 12 bis 16 Monate später kommt. Die neuen Leopard-Panzer und luftlandefähige Fahrzeuge waren für dieses Jahr angekündigt und kommen nicht. Das ist doch so. Von den 13 Projekten des ersten Sondervermögens verzögern sich 11. Damit können wir doch nicht einverstanden sein. Wir sind das Parlament, und wir müssen da deutlich Kritik äußern. Es äußern im Übrigen auch andere Kritik.

Statt dieses „Whatever it takes“ sollte das Beschaffungswesen wirklich von Grund auf neu aufgestellt werden. Denn wir machen doch eins: Wir gefährden am Ende des Tages den sozialen Zusammenhalt. Der Bundesrechnungshof spricht davon, dass es „dauerhaft einen […] unbegrenzten, schuldenbasierten Spielraum zur Finanzierung der Bundeswehr“ gebe. Diese Rechnung macht der Bundesrechnungshof auf, nicht Die Linke. Das kann doch wirklich nicht so bleiben. Rüstung muss am Ende des Tages wie alles aus dem Kernhaushalt finanziert werden. Woraus denn sonst? Wo kommen wir denn da hin, wenn das nicht mehr eine Aufgabe des Kernhaushalts ist?

Dann wird einem erzählt, wir lebten über die Verhältnisse, oder die Grünen sagen jetzt, wir wollten das nicht unterstützen. Nein, das Problem ist: Keine Alleinerziehende, kein Rentner, niemand von denen lebt über die Verhältnisse. Aber bei Rüstung, da leben wir über unsere Verhältnisse.

(Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)

Die zerfrisst gerade den Sozialstaat. Gucken Sie sich doch die Ergebnisse an, die wir haben! Die Demokratie ist auch in unserem Land gefährdet. Das ist die Wahrheit.

Dieser Etat ist intransparent, dieser Etat ist maßlos, dieser Etat legt die Axt an den Sozialstaat.

(Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Unsinn!)

Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. Deswegen lehnen wir diesen Etat ab. Das hat nichts mit Putin-Freundlichkeit zu tun

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein! Überhaupt nicht! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)

und auch nichts mit Schwäche, lieber Andi Schwarz.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linken – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Dietmar Bartschinski!)