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AWACS-Entsendung bedeutet noch mehr zivile Opfer!

Archiv Linksfraktion - Rede von Jan van Aken,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Manchmal glaube ich wirklich, ich bin hier im falschen Film.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das glaube ich auch! - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das geht mir immer so, wenn einer von der Linken redet! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hier läuft gar kein Film!)


Es soll gleich darüber abgestimmt werden, dass noch mal 300 deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt werden. Es wird gleich hier darüber entschieden, dass der Afghanistan-Einsatz weiter verschärft wird,
(Elke Hoff (FDP): Mit AWACS?)
und Sie streiten sich hier wie die Kesselflicker um die Frage, ob das nun in einer Woche oder in zwei Wochen entschieden werden soll. Sie werfen sich hier Wahlkampf vor und reden von Gradlinigkeit und Bündnistreue. Aber keiner von Ihnen redet davon, worum es geht: Es geht hier um Krieg, um die Ausweitung des Krieges in Afghanistan, und den finden wir falsch.
(Beifall bei der LINKEN - Elke Hoff (FDP): Blödsinn!)


Herr Westerwelle hat sich vor zwei Tagen hier sogar dazu hinreißen lassen zu sagen, der Einsatz der AWACS-Flugzeuge in Afghanistan dient auch der Sicherung der zivilen Luftfahrtwege nach Südostasien. Das ist doch kompletter Blödsinn. Es geht nicht darum, dass die Lufthansa-Maschine von Frankfurt sicher in Hongkong ankommt. Das tut sie seit zehn Jahren, während der Krieg dort läuft.
Es geht doch einzig und allein um eine Ausweitung des Krieges. Das steht ja auch schwarz auf weiß in dem Antrag der Bundesregierung drin. Da steht nämlich drin, dass die Daten aus den AWACS-Aufklärungsmaschinen an die militärischen Flugzeuge und Hubschrauber in Afghanistan weitergegeben werden. Das benutzen sie nicht nur, um von A nach B zu fliegen, sondern das benutzen sie natürlich auch, um ihre Bombenangriffe, ihre Fliegerangriffe gezielter zu koordinieren.
Was diese Bombenangriffe heißen, das wissen wir hier in Deutschland spätestens seit Kunduz.
(Zuruf von der CDU/CSU: Volksverhetzung!)
Das wissen wir seit anderthalb Jahren, als damals über 100 unschuldige Zivilistinnen und Zivilisten durch einen Bombenangriff getötet worden sind. Jetzt glaube niemand, das sei ein Einzelfall. Darüber wird hier in Deutschland kaum noch berichtet. Aber solche Bombenangriffe finden regelmäßig statt, mit vielen, vielen zivilen Toten.


Gerade erst vor drei Wochen wurden ganz im Osten von Afghanistan, in der Provinz Kunar, neun Kinder beim Holzsammeln durch einen Bombenangriff getötet. Das passiert natürlich bei Luftangriffen besonders häufig. Ich selber habe damals die Videos gesehen, die aus den Flugzeugen heraus aufgenommen worden sind. Da sieht man nur kleine schwarze Punkte, die da unten herumlaufen. Da kann kein Pilot sagen, ob das nun Taliban oder kleine Kinder beim Holzsammeln sind. Es gibt gerade bei Luftangriffen besonders viele Tote. Das ändert sich auch mit den AWACS-Aufklärungsflugzeugen nicht. Dadurch kriegen Sie keine besseren Bilder. Dadurch kriegen Sie aber eine größere Dichte an solchen Bombenangriffen. Das wird sich ausweiten, und das finden wir falsch.
(Beifall bei der LINKEN)


Ein zweites Beispiel. Mitte Februar sind wiederum in der Provinz Kunar 65 Zivilistinnen und Zivilisten bei einem Bombenangriff getötet worden. Die Dorfbewohner waren geflüchtet, als sie das Dröhnen der Flugzeuge und der Hubschrauber hörten, und haben sich in einem Unterstand versammelt. Dort sind sie mit Raketen- und Bombenabwürfen gezielt getötet worden. Das passiert regelmäßig in Afghanistan und hat dazu geführt hier müssen Sie jetzt einmal zuhören , dass Präsident Karzai vor zwei Wochen, am 12. März 2011, vor NATO-Offizieren gesagt hat: Ich bitte die NATO und die USA in aller Demut darum, ihre Operationen in unserem Land zu beenden.


Herr Steinmeier, ich frage Sie jetzt einmal: Wissen Sie, dass Herr Karzai, Ihr Bündnispartner Karzai, vor zwei Wochen gesagt hat, diese Operationen müssen beendet werden? Wenn Sie es wissen: Wie können Sie dann jetzt, zwei Wochen später, zustimmen, dass diese Operationen ausgeweitet werden? Das ist unlogisch. Sie sind doch auf Einladung von Karzai da. Da er jetzt die Beendigung dieser Operationen fordert, dürfen Sie diesem Mandat nicht zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Kompletter Quatsch!)
Es ist ein Hohn und wirklich auch eine Missachtung der Menschen in Afghanistan, dass sich Herr Westerwelle vor zwei Tagen hierhin gestellt und gesagt hat: Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge ist militärisch notwendig, weil er die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung erhöht. Das Gegenteil ist der Fall. Schauen Sie sich nur einmal die Zahlen der Vereinten Nationen an: Im letzten Jahr hat es wieder 2 777 zivile Opfer bei Gefechten in Afghanistan gegeben. Ich betone: Das sind Zahlen der Vereinten Nationen.
(Elke Hoff (FDP): Wie viele haben denn die Terroristen und die Aufständischen verursacht? Erzählen Sie hier doch keinen Quatsch!)
Das ist wieder eine Steigerung, nämlich um 15 Prozent, gegenüber dem Jahre 2009. Das beweist doch nur, dass es richtig war, dass wir von Anfang an gesagt haben: Je mehr Soldaten Sie nach Afghanistan schicken, desto mehr Tote, Leid und Zerstörung gibt es dort.
(Elke Hoff (FDP): Das kann man sich ja nicht anhören!)


Ich finde, Sie verharmlosen, was diese Flugzeuge tun. Das gilt für Libyen genauso wie für Afghanistan. Man tut immer so, als ob da ein paar Flugzeuge kreisen. Auch in Deutschland haben viele Menschen bei der Einrichtung der Flugverbotszone in Libyen gedacht: Na ja, ein paar NATO-Flugzeuge sorgen dafür, dass die Flugzeuge von Gaddafi nicht mehr aufsteigen können. Nein, es geht um flächendeckendes Bombardement. Deswegen ist es richtig, dass Deutschland da nicht mitmacht.
Niemand soll jetzt aber glauben, dass CDU/CSU und FDP zu Friedensengeln mutiert sind; denn Sie tauschen hier einen Krieg gegen den anderen Krieg, Herr Westerwelle. Sie tauschen den Libyen-Krieg gegen den Afghanistan-Krieg, und das geht so nicht. Wir müssen beide Kriege ablehnen.
(Beifall bei der LINKEN)


Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege van Aken, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hoff?


Jan van Aken (DIE LINKE):
Aber gerne. Das ist die erste Zwischenfrage, die mir gestellt wird.


Elke Hoff (FDP):
Herr van Aken, wären Sie so fair und so freundlich, dem Plenum mitzuteilen, wie viele tote Zivilisten auf das Konto von Taliban gehen? Wenn Sie hier schon eine Relation herstellen: Wären Sie auch so freundlich, mitzuteilen so zynisch sich das anhört , wer mehr zivile Tote verursacht: Taliban oder ISAF?
(Nicole Gohlke (DIE LINKE): Absurde Frage!)


Jan van Aken (DIE LINKE):
In den letzten vier Jahren gab es nach UNO-Angaben über 8 000 zivile Opfer. Davon gehen im Schnitt der letzten Jahre ungefähr zwei Drittel auf das Konto der Taliban oder den Aufständischen, ein Drittel geht auf das der Alliierten. Ich sage Ihnen: Wenn Sie diesen Krieg beenden, dann gibt es auf beiden Seiten keine Toten mehr. Das ist doch die richtige Argumentation.
(Beifall bei der LINKEN Volker Kauder (CDU/CSU): So ein Quatsch! Florian Hahn (CDU/CSU): Das ist zynisch! Sie verhöhnen die Opfer der Taliban! Christian Ahrendt (FDP): Zugabe! Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Frauenbewegung lässt grüßen! Frauen sind auch Menschen, Herr van Aken!))


Jetzt noch einmal zur Erinnerung:
(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie sind jetzt am besten ruhig!)
Im Januar haben Sie alle von der Kriegskoalition aus SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP hier über den Abzug geredet. Ich konnte das Wort „Abzugsperspektive“ schon gar nicht mehr hören. Irgendwie hat sich in Deutschland dann der Eindruck verfestigt, dass alle für den Abzug sind. Jetzt, nur drei Monate später, schicken Sie noch einmal 300 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan. Das beweist doch, dass Sie überhaupt kein Interesse an einem Abzug haben.
(Christian Ahrendt (FDP): Sie erzählen die Unwahrheit! Das ist die Unwahrheit!)
Ich sage Ihnen: Wenn es irgendwann einmal Frieden in Afghanistan geben soll, wenn nicht wieder zehnjährige Kinder beim Holzsammeln bombardiert werden sollen, dann müssen Sie dieses AWACS-Mandat heute ablehnen und endlich einmal auf das hören, was Ihr Bündnispartner Karzai dieses Mal gesagt hat. Stellen Sie Ihre Operation ein, ziehen Sie die deutschen Soldaten zurück, und beenden Sie den Krieg in Afghanistan!
(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr irgendwohin auf der Welt exportieren sollte. Auch damit könnten wir heute anfangen.
Ich bedanke mich bei Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)