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Chatkontrolle nicht aufschieben, sondern stoppen!

von Donata Vogtschmidt,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mal wieder recht unfassbar mit Ihnen: Die Bundesregierung versucht im Stillen, eine EU-weite digitale Massenüberwachung zu etablieren.

(Dr. Konrad Körner [CDU/CSU]: Das ist der Sprech der AfD! Schämen Sie sich nicht? – Gegenruf des Abg. Fabian Jacobi [AfD]: Warum denn? Sie kann auch mal was Richtiges sagen!)

Bilder vom Strandurlaub, intime Inhalte zwischen guten Freundinnen und Freunden, vertrauliche Inhalte gegenüber Ärztinnen und Ärzten können schnell zum potenziellen Kriminalfall werden, weil die KI das schlicht recht schlecht unterscheiden kann. Das einzig Gute daran wäre aktuell eigentlich, dass dadurch auch Ihre nett gemeinten Dickpics betroffen wären, liebe Kollegen.

(Beifall bei der Linken)

Wonach eigentlich wirklich gescannt wird, ist nicht eindeutig und lässt sich auch kaum überprüfen. Diese Realität könnte uns die Chatkontrolle bringen. Ein Angriff auf die Privatsphäre, ein Angriff auf digitale Freiheitsrechte.

Und was tut die Bundesregierung? Sie schweigt. Und, liebe Bürger/-innen, sie hätte es auch über uns alle hereinbrechen lassen. Wer selbst wenige Tage vor einer entscheidenden Abstimmung in der EU nicht das Rückgrat mitbringt, sich klar auf die Seite der Grundrechte zu stellen, der verdient kein Vertrauen.

(Beifall des Abg. Fabian Jacobi [AfD])

Das ist unehrlich und verantwortungslos gegenüber der Bevölkerung.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der AfD)

Jetzt gab es viel Protest, Bürger/-innenpost und eindringliche Warnungen von allen Seiten – Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Vielen lieben Dank an dieser Stelle dafür. Und auf einmal reagiert das Kabinett. Es behauptet seit gestern plötzlich – Zitat –: „Eine anlasslose Chatkontrolle ist für die Bundesregierung tabu.“

Mich beruhigt das jedoch eher weniger; denn eine Regierungsvertreterin meinte, dass man keinesfalls dankbar über diese Empörung der Öffentlichkeit, sondern ziemlich sauer sei, weil der Protest die geplante Einigung der Bundesregierung torpediert habe. Das haben Sie nicht mitbekommen, liebe Interessierte? Kein Wunder. Die Debatte erfolgte im Digitalausschuss, ohne dass die Öffentlichkeit zugelassen wurde. Großartig: Intransparenz bei Debatten von öffentlichem Interesse, aber sensible private Kommunikation aller Menschen massenhaft scannen wollen.

(Beifall bei der Linken)

Fühlen Sie sich noch?

Dann auch noch den Kinderschutz vorzuschieben und zu behaupten, es gebe kein Missbrauchspotenzial durch diese Überwachung und technische Schwächung, das ist wirklich schon ziemlich dreist. Da frage ich mich aber, warum dann für Sicherheitsbehörden und Militär die Chatkontrolle nicht gelten soll. Na ja, die brauchen ja Sicherheit, wie uns ein Regierungsvertreter im Ausschuss gestern mitteilte. Es zeigt sich also Ihre Doppelmoral. Es geht nicht um den Kinderschutz, sondern um den Schutz des Staates, der seine eigenen Strukturen nicht kontrollieren will, und das angesichts regelmäßig auftauchender rechtsextremer Chatgruppen in den Sicherheitsbehörden. Was für eine Farce!

(Beifall bei der Linken)

Der Innenminister spuckt große Töne. Aber sucht das BKA wenigstens nach Darstellungen sexualisierter Gewalt bei Kindern und veranlasst auch das Löschen? Nö. Nur eine zweistellige Zahl von Leuten beim BKA ist mit der Strafverfolgung in diesem Bereich befasst. Ist das die versprochene höchste Priorität, lieber Herr Wildberger, lieber Herr Dobrindt?

Ursula von der Leyen von der CDU ist übrigens verantwortlich dafür, dass die Chatkontrolle überhaupt erst ins Rollen kam, während sie selbst keine Kontrolle über eigene Chats hat und es anscheinend auch regelmäßig proaktiv nutzt, Chatnachrichten nicht mehr wiederzufinden. Und Herr Wildberger möchte sich zu all dem auch nicht von der Seitenlinie einbringen. Danke für nichts in Ihrem Zuständigkeitsbereich! Es scheint, als hätten wir einen Minister, der weder Lust auf Digitales noch Lust auf Politik hat.

(Beifall bei der Linken)

Willkommen in der emotionalen Scheindebatte: Wenn die Chatkontrolle wirklich Kinder schützen würde … – Daran gibt es aber massive Zweifel, weshalb sogar der Kinderschutzbund gegen Chatkontrolle ist. Das müsste einem ja eigentlich wirklich zu denken geben.

Wir haben als Linksfraktion diese Woche einen Antrag eingebracht, der nicht nur zum Stopp der Chatkontrolle auffordert, sondern auch zahlreiche Vorschläge macht, wie Kinder vor sexualisierter Gewalt wirklich besser geschützt werden können: genug Geld für die Kinder- und Jugendhilfe, für Jugendämter und digitale Bildung, damit sich ein betroffenes Kind auch endlich vertrauensvoll an Lehrkräfte und Eltern wenden kann, anstatt ungläubige Blicke, Ratlosigkeit oder sogar Vorwürfe abzubekommen.

Sexualisierte Gewalt und Ausbeutung im Netz haben auch viel mit sozialer Ungleichheit, Ängsten und Nöten zu tun. Das nutzen nicht nur suchtauslösende Designs auf profitgetriebenen Onlineplattformen aus, sondern auch die globale Vermögensungleichheit, die Treibstoff der grassierenden sexuellen Ausbeutung Minderjähriger per Livestream gegen Bezahlung ist. Ohne eine Politik, die sich mit Machtmonopolen anlegt, die im Kern ihrer Strategie von sozialen Verbesserungen für alle ausgeht, wird es keinen guten Schutz von Kindern geben können, den es wirklich so dringend braucht. Doch genau dafür kämpfen wir als Linke.

(Beifall bei der Linken)

Die Debatte um massenhaftes Scannen privater Chats ist nicht beendet, sondern leider nur aufgeschoben, so wie scheinbar erneut die Sozialdemokratie bei der SPD. Deshalb lassen wir auch über unseren Antrag gegen die Chatkontrolle jetzt nicht abstimmen, sondern bringen ihn in den nächsten Wochen und Monaten in die Debatten des Bundestages ein – in der Hoffnung, dass endlich soziale Voraussetzungen für guten Kinderschutz geschaffen werden und uns gefährliche Entgleisungen in Richtung eines Überwachungsstaates erspart bleiben.

Aber hey, stattdessen beschäftigen sich dann auch die Konservativen auf EU-Ebene gerne wieder mit absolut brennenden Themen wie zum Beispiel, dass die vegetarische Wurst nicht mehr „Wurst“ heißen darf.

(Dr. Konrad Körner [CDU/CSU]: Haben wir gestern abgelehnt!)

Und weil es so wichtig ist, folgt dann wahrscheinlich demnächst auch die Debatte um Scheuermilch, Katzenzungen und Dino-Nuggets.

(Abg. Johannes Schätzl [SPD]: Nicht unangemessen über das Thema reden!)

Da ist nämlich auch nicht unbedingt das drin, was im Namen steht. Wie bei der CDU: Da steht das C anscheinend auch für Chatkontrolle.

Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der Linken – Zurufe von der CDU/CSU: Peinlich! – Oijoijoi!)