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Foto: Rico Prauss

Dobrindts Tabubruch

Rede von Dietmar Bartsch,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Minister Dobrindt, ich habe Ihrer Rede aufmerksam zugehört und will zwei Bemerkungen machen. Die erste als Appell: Sie sind Innenminister und nicht Migrationsminister.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Das heißt eben auch, Schwerpunkte auf andere Punkte als Migration zu setzen.

(Beifall bei der Linken und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Seidler [fraktionslos])

Zweitens will ich Ihnen etwas zu dem Satz mit dem Wettrüsten sagen. Ich will nicht die CDU von vor zehn Jahren zitieren, aber Wettrüsten bleibt nun mal eine schlechte Idee. Man muss das Gegenteil versuchen, sozusagen ein Gegenwettrüsten, und nicht immer mehr Mittel in die Aufrüstung stecken.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Reisen Sie mal nach Russland, und erzählen Sie es denen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Mit Appeasement! Genau!)

Wir haben eine große Gefahr, dass der soziale Zusammenhalt in unserem Land aufgekündigt wird.

Herr Bundesminister, Ihr Etat steigt auf 15,4 Milliarden Euro. Das sind 160 Millionen mehr als im laufenden Jahr,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Sehr gut!)

2,2 Milliarden Euro mehr als vor zwei Jahren. Das ist ganz anders als zum Beispiel bei den Mitteln für Krisenprävention und den Mitteln für Menschenrechte im Etat des Außenministers gestern. Das ist schon ein Widerspruch. Ich finde, darüber muss man mindestens – und das sollten auch Sie tun – nachdenken.

Vor allen Dingen aber ist meine eindringliche Bitte: Bevor Sie über den angeblich zu teuren Sozialstaat fabulieren oder von Konsolidierung sprechen, fangen Sie in Ihrem eigenen Ministerium an, und das bitte an der richtigen Stelle.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja? Wo denn?)

Martin Gerster hat über Investitionen geredet; darauf will ich jetzt gar nicht weiter eingehen – vielleicht später.

Sie sparen natürlich, aber Sie sparen aus meiner Sicht am falschen Ort. Ausgerechnet die Bundeszentrale für politische Bildung muss als einzige Behörde im Geschäftsbereich des BMI Kürzungen hinnehmen, die über Materialien und Veranstaltungen letztlich erwirtschaftet werden müssen. Gerade bei der politischen Bildung! Ist es denn wirklich so gut bestellt um die politische Bildung in unserem Land? Wohl kaum.

Dann wird da noch ein neuer Schwerpunkt gesetzt, und der heißt: deutsche Verteidigungspolitik in einer erodierenden regelbasierten Weltordnung. „Zeitenwende“ hat das Olaf Scholz genannt, „Kriegstüchtigkeit“ hat das Boris Pistorius genannt. Nun findet dieses Denken sogar eine Verankerung in der politischen Bildung. Ich finde, das ist ein Problem, meine Damen und Herren. Ich halte das für deplatziert.

(Beifall bei der Linken)

Meine Damen und Herren, eine Schwerpunktsetzung gibt es auch im Zivil- und Katastrophenschutz. Natürlich sagen auch wir, dass es richtig ist, dass beim THW die Mittel für Fahrzeuge, für Investitionen, für Liegenschaften usw. steigen; das fordert meine Fraktion seit Jahren. Doch die Begründung liegt nicht in den Folgen des Klimawandels und auch nicht in der wachsenden Gefahr durch Extremwetter, sondern in der Idee einer gesamtgesellschaftlichen Kriegstüchtigkeit; und das kritisieren wir, meine Damen und Herren.

Eine Form von Krieg herrscht im Übrigen auch in Afghanistan. Sie haben jetzt darauf verwiesen, dass ja auch die Grünen damals die Taliban besucht haben. Ich finde, dass Sie eine De-facto-Anerkennung des Talibanregimes vornehmen, und das ist für mich eine moralische und auch eine politische Bankrotterklärung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Schahina Gambir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Kommen denn demnächst die Taliban zum Regierungsbesuch ins Kanzleramt? Werden die denn da auch mit militärischen Ehren empfangen? Es hilft überhaupt nicht, wenn Sie sagen: Die Grünen haben das auch gemacht. – Das ist für mich keine Entschuldigung. Ich finde, man darf dieses Talibanregime in keiner Weise aufwerten. Das sind wirklich Feudalstrukturen, die dort herrschen; die können wir in keiner Weise anerkennen.

(Beifall bei der Linken)

Meine Damen und Herren, der Bundesinnenminister lobt in jeder Rede den Rückgang der Asylzahlen gegenüber dem Vorjahr. Er lobt sich damit natürlich auch selbst. Aber ich will mal deutlich sagen: Das sind natürlich alles Maßnahmen, die die Ampel zu verantworten hat. Denn ansonsten würden wir ja andere Zahlen haben. Das hat mit Ihrer Politik bisher sehr wenig zu tun.

Wenn Sie dann noch von Humanität und Ordnung sprechen, ist wirklich für mich alles verloren. An der Migrationspolitik ist wenig human, und ordentlich ist sie schon gar nicht. Sie ist unehrlich, und zum Teil ist sie auch fahrlässig, meine Damen und Herren. Ich will nur ein Beispiel nennen: In den letzten Jahren haben wir sehr viele Fälle gescheiterter Integration erlebt. Trotzdem kürzen Sie im Kapitel „Integration und Migration“. Die Ausgaben für Sprachkurse sinken um 110 Millionen Euro. Das lässt sich auch nicht mit sinkenden Asylzahlen begründen. Wer im vergangenen Jahr vor Putins Raketen aus der Ukraine geflüchtet ist, der beginnt in diesem Jahr mit dem Sprachkurs, und er absolviert ihn im kommenden. Also da dürfen Sie überhaupt nicht streichen. Jeder weiß, ohne Sprache ist Integration unmöglich, und deswegen sind die Kürzungen hier unangemessen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will noch eine Bemerkung zur Polizei machen. Die Beamten loben Sie hier, und das tun Sie ja auch zu Recht. Aber es bleibt dabei, dass 6 000 Planstellen unbesetzt sind, während Sie neue Planstellen schaffen. Das ist weder seriös noch ehrlich. Das ist mindestens widersprüchlich. Ja, die Polizistinnen und Polizisten machen sehr wohl einen schweren Dienst. Ich finde aber, wie Sie mit der Zahl der Überstunden und anderem umgehen, bleibt inakzeptabel, meine Damen und Herren.

Ich muss es leider abkürzen, will Ihnen aber klar sagen, dass der Haushalt des Bundesinnenministers nicht ehrlich ist. Er setzt die falschen Prioritäten. Er spart an den falschen Stellen. Meine Fraktion wird diesem Entwurf auf jeden Fall nicht zustimmen, aber ich hoffe, dass wir in den Beratungen an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch Veränderungen vornehmen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linken)