Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln hier zu sehr später Stunde einen Gesetzentwurf von Gewicht.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ah! Ganz schlechter Witz, Frau Achelwilm!)
Die demokratischen Kräfte der Opposition – also FDP, Grüne, Linke – wollen, dass das Grundgesetz anders vor Diskriminierungen schützt, die aufgrund der sexuellen Identität verübt werden.
Die Idee ist keine, an die noch niemand gedacht hätte. Weltweit gibt es dieses Diskriminierungsverbot von Verfassungsrang zum Beispiel in Portugal, in Schweden, in Mexiko. Auch in vielen deutschen Landesverfassungen, wie etwa der meines Bundeslandes Bremen, ist es aufgenommen, auf Grundgesetzebene trotz einiger Zeitfenster, die es dafür gab, leider nicht. Das wollen wir ändern.
(Beifall bei der LINKEN)
Zum Hintergrund: Der Gleichheitssatz in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz benennt seit 70 Jahren Merkmale, aufgrund derer keine Bevor- oder Benachteiligung geschehen soll, darunter Herkunft, Glaube, politische Anschauung – praktisch eine Konsequenz aus der Nazizeit, als Minderheiten aufgrund dieser Merkmale systematisch verfolgt wurden. Sexuelle Identität gehörte als Verfolgungsgrund dazu, war aber 1949 als Formulierung nicht durchsetzbar. Zum Nachtrag kam es seitdem nicht, auch nicht 1994, als das Grundgesetz im Zuge der Einheit reformiert wurde.
Was aber 1994 gemacht wurde, war die überfällige Aufhebung des unter dem NS-Regime rabiat verschärften § 175 Strafgesetzbuch. Der § 175 kriminalisierte Homosexualität seit dem Kaiserreich. Ganze Generationen schwuler Männer, aber auch lesbischer Frauen wurden in seinem Namen per Gesetz verfolgt und beschädigt. Erst in der letzten Zeit folgten öffentliche Entschuldigung, Rehabilitation und potenzielle Entschädigungsleistungen gegenüber den noch lebenden Betroffenen. Jahrzehnte beschämendster Kriminalisierung wären vermeidbar gewesen, wenn vor 70 Jahren die Chance ergriffen worden wäre, das Grundgesetz um zwei bis drei Schlüsselworte zu erweitern. Was spricht heute dagegen, diese Lücke zu schließen?
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Es stimmt: Durch beharrliche emanzipatorische Kämpfe haben sich Akzeptanz und Rechtslage trotzdem stark verbessert. Aber das Erreichte ist brüchig, lückenhaft und unter Beschuss. Der Gesetzentwurf der AfD zur Rückabwicklung der Eheöffnung ging ja schon über unsere Tische, zwar ohne Erfolgsaussichten, aber die Absicht von rechts, den mühsam erreichten Fortschritt umzukehren, ist unverkennbar da.
Die Abwertung von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten gründet gesellschaftlich tief. Erst 1995 wurde Homosexualität in Deutschland aus dem WHO-Katalog der Krankheiten genommen. Transrechte hängen in diesem menschenrechtlichen Handlungsfeld am schlimmsten hinterher. Die Abschaffung des Transsexuellengesetzes bedeutet Hoffnung, kommt aber nicht von der Stelle. Gegen alle, die in seinen Wirkungskreis fallen, gibt es besonders viel Gewalt und Hasskriminalität, die gegen queere Menschen allgemein extrem alarmierend ist. Noch einmal: Das wollen wir ändern.
(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eine Ergänzung im Grundgesetz kann die Aufgaben und Probleme sicherlich nicht auf einen Schlag heilen; aber sie setzt einen anderen Rahmen. Das öffentliche Interesse an der Grundgesetzerweiterung ist tatsächlich groß.
(Andreas Bleck [AfD]: Ja, vor allem bei Ihrer Fraktion!)
Seit zehn Jahren wird die Forderung von Millionen CSD-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern auf die Straße getragen. Die Schutzrechte von unter anderem lesbischen, schwulen, trans-, bisexuellen Menschen ernst zu nehmen, gebietet die Vergangenheit und hilft heute.
(Beifall bei der LINKEN)
Und es wirkt in eine ungewisse Zukunft. Weil wir wissen, dass Mehrheiten unter Umständen bereit sind, Minderheitenrechte preiszugeben, sollten wir Gleichheitsgrundsätze so verbindlich wie möglich machen.
Vielen Dank an dieser Stelle an den Lesben- und Schwulenverband LSVD, der das Thema mit seiner Kampagne „#Artikel 3“ sehr hochgehängt hat. Es wäre Zeit für parlamentarische Umsetzung und Unterstützung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)