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Gesine Lötzsch: Die Opfer brauchen unsere Hilfe. Helfen wir.

Archiv Linksfraktion - Rede von Gesine Lötzsch,

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einer Woche wurde ein brutaler Terrorangriff auf die Synagoge in Halle verübt. Ein Neonazi tötete zwei unschuldige Menschen. Und auch das zeigt: Es ist höchste Zeit, dass wir hier im Bundestag über ein besseres Entschädigungsrecht für die Opfer von Gewalt sprechen. Wir sollten gründlich, aber zügig beraten, damit wir wirklich alle gemeinsam – bis auf die rechte Seite hier – Hilfe leisten können.

(Beifall bei der LINKEN)

Apropos zügig: Schon im Koalitionsvertrag von 2013 stand, dass das Recht der Sozialen Entschädigung und der Opferentschädigung neu zu regeln sei. Sechs Jahre Wartezeit, das ist eine lange Zeit für die Opfer, und wir sollten sie nicht verlängern.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung sagt, seit 1990 seien 84 Menschen von Rechtsextremen getötet worden. Die Amadeu-Antonio-Stiftung allerdings sagt uns, dass 198 Menschen durch rechte Gewalt zu Tode gekommen sind. Ich finde, diese Diskrepanz in den Zahlen zeigt: Bundesregierung, Landesregierungen und Justiz dürfen nicht auf dem rechten Auge blind sein. Wenn wir wirklich effektiv rechten Terror bekämpfen wollen, dann müssen wir auch rechtsradikale Strukturen bei Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten aufdecken und endgültig auflösen.

(Beifall bei der LINKEN)

Doch es geht in diesem Gesetzentwurf nicht nur um Opfer rechter Gewalt, es geht um alle Gewaltopfer. Wir wissen aus den Konsultationen mit den Ländern, dass die Zahl der Menschen, die sich überhaupt in den Behördendschungel begeben, relativ klein ist. Ich bewundere aufrichtig die Menschen, die die Kraft und die Zähigkeit aufbringen, ihr Recht durchzusetzen; denn leider haben viele Gewaltopfer größte Schwierigkeiten, eine staatliche Entschädigung zu erhalten. Deswegen möchte ich einige Probleme aus dem vorgelegten Gesetzentwurf aufgreifen. Wir können ja in den Ausschussberatungen alle gemeinsam an der Verbesserung arbeiten.

Insbesondere Menschen, die als Kinder und Jugendliche Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, scheitern oft an den hohen Anforderungen der Behörden. In den Stellungnahmen zu diesem Gesetzentwurf gab es im Vorfeld heftige Kritik am geplanten Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt. So sollten Frauen, die bei ihren gewalttätigen Partnern bleiben, nicht entschädigt werden. Aber wir wissen doch alle, wie kompliziert es für Betroffene von häuslicher Gewalt aufgrund fortgesetzter Demütigungen und körperlicher Angriffe häufig ist, wie verunsichert sie in ihrem Selbstwertgefühl sind, welche Furcht sie haben, wie es ihnen an Selbstvertrauen mangelt. Also müssen wir doch dazu beitragen, dass diese Frauen, die außerstande sind, sich früh von dem Täter zu trennen, von uns allen unterstützt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In dem vorliegenden Entwurf steht, dass auch Betroffene von häuslicher Gewalt nicht mehr grundsätzlich von Leistungen ausgeschlossen sein sollen, wenn sie sich nicht trennen. Auch die Pflicht zur Strafanzeige wurde gestrichen. Das sollten wir unbedingt beibehalten. Denn das ist eine Verbesserung.

Es gibt allerdings auch Verschlechterungen im Vergleich zum bisherigen Recht. In Kapitel zehn wurde, zumindest im Entwurf, ein ganz erheblicher Eingriff vorgelegt, und zwar sollen Gewaltopfer nur dann einen Ausgleich für Einkommensverluste erhalten, wenn sie vorher bereits ein Einkommen erzielt haben. Das ist kompliziert, insbesondere für Betroffene von Menschenhandel, von Zwangsarbeit oder Zwangsprostitution, aber auch für Menschen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, wegen Erwerbsunfähigkeit, Behinderung oder wegen fehlender Arbeitserlaubnis vor der Tat kein angemessenes Einkommen erzielt haben. Wir wollen nicht, dass sie schlechtergestellt werden. Wir wollen ihnen Chancen für den weiteren Lebensweg geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte einen weiteren Kritikpunkt aus den schon an uns eingesandten Stellungnahmen aufgreifen. Opfer von Gewalt, die von Polizisten oder anderen Amtsträgern geschädigt worden sind, sollen – so sieht es der Entwurf vor – schlechtergestellt werden als Berechtigte, die von einer Privatperson geschädigt wurden. Ich finde, das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Regelung hat gerade in Anbetracht des umfassenden staatlichen Versagens bei der Aufklärung der Mordserie des sogenannten NSU einen mehr als bitteren Beigeschmack.

Von Vorrednern ist bereits erwähnt worden, dass der Gesetzesentwurf mehrere Verbesserungen enthält, die von Verbänden lange gefordert worden sind. Dazu gehören die Einbeziehung psychischer Gewalt und die Etablierung von Traumaambulanzen für schnelle psychotherapeutische Unterstützung. Auch die deutlich erhöhten monatlichen Zahlungen für Geschädigte und die vollständige Gleichbehandlung von Deutschen und Ausländern unabhängig vom Aufenthaltsrecht sind deutliche Verbesserungen, die unbedingt gesichert werden müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Allerdings sollen die meisten Regelungen erst im Jahre 2024 in Kraft treten. Taten, die zwischen 2020 und 2024 verübt werden, sollen noch nach dem alten Recht beurteilt werden. Das heißt, für viele Betroffene käme das Gesetz zu spät. Es braucht daher eine Regelung zu rückwirkenden Entschädigungsleistungen.

Entscheidend ist, dass wir die bürokratischen Hürden für die Opfer von Gewalt reduzieren. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass irgendetwas unternommen wird, um Ansprüche abzuwehren. Die Opfer brauchen unsere Hilfe. Helfen wir.

(Beifall bei der LINKEN)