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Foto: Rico Prauss

Innenminister, nicht Migrationsminister

Rede von Dietmar Bartsch,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Minister Dobrindt! Nach der Lobeshymne von Martin Gerster auf den Etat will ich auf einige grundsätzliche Probleme aufmerksam machen.

Der Bundesinnenminister ist ja qua Amt auch Verfassungsminister und demzufolge auch zuständig für die Demokratie, für die Verfassung. Meine Damen und Herren, Sie, die Union, die regierungstragenden Fraktionen, haben dem Bundesverfassungsgericht schwer geschadet. Sie haben zugelassen, dass es angreifbar geworden ist, dass es Teil des politischen Streits geworden ist, und das ist und bleibt inakzeptabel.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben sich nach der Sabotage der ersten auf eine neue Richterkandidatin geeinigt – kein Wort mehr zu Frau Brosius-Gersdorf. Aus den Augen, aus dem Sinn! Ich finde, das ist ein Umgang, der hundsmiserabel war. So geht man mit einer renommierten Verfassungsrichterin nicht um.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

So geht man mit einer Frau nicht um. Das geht so nicht, meine Damen und Herren.

Ein zweiter Punkt. Der CSU-Landesgruppenvorsitzende sagt, der Sozialstaat müsse effektiver und schlanker werden. Nun will ich die grundsätzliche Debatte dazu nicht führen; die muss an anderer Stelle geführt werden. Aber ich finde ja, dass die Regierung mal damit beginnen muss. Warum beginnt das nicht in der Regierung? Der Bundesinnenminister hat sich jetzt einen dritten Staatssekretär gegönnt. „Haushaltskonsolidierung“ höre ich unentwegt. Wie ist denn das vereinbar? Die sollen wohl allein die Bürgerinnen und Bürger des Landes leisten. Nein, das Kabinett hat bisher kaum einen Beitrag dazu geleistet, die Kosten zu senken. Ich finde, das wäre dringend notwendig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken)

Obwohl der Bundesinnenminister für viele Themen zuständig ist, habe ich hier in den Reden – Martin Gerster sei da ausgenommen, auch der grüne Kollege – vor allen Dingen was über das Thema Migration gehört. Aber, Herr Dobrindt, Sie sind nicht Migrationsminister, Sie sind Bundesinnenminister. Es kann nicht sein, dass das das alleinige Thema ist.

(Beifall bei der Linken)

Immer mehr Abschiebungen treffen eben nicht Schwerstkriminelle. Allein in diesem Jahr waren mehr als 1 300 schulpflichtige Kinder betroffen. Viele davon kennen gar nichts anderes als Deutschland. Ich kenne einige selbst. Die haben ihr Land noch nie gesehen. Die werden aber abgeschoben. Was macht das mit einer Kinderseele?

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Clara Bünger [Die Linke]: Unfassbar!)

Wenn die Debatte nur noch so läuft, dass Abschiebungen ein Synonym für erfolgreiche Migrationspolitik sind, dann läuft gehörig was schief, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wirklich schäbig ist auch der Umgang mit den afghanischen Ortskräften. Ehrlich gesagt, Sie stehen auf der Bremse. Über Jahre haben die sich für unsere Werte – ich betrachte jetzt mal alle zusammen – eingesetzt. Aber jetzt stehen Sie auf der Bremse, wenn es darum geht, diejenigen aufzunehmen, die für Deutschland gearbeitet haben, die ihr Leben riskiert haben. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und jetzt verhandeln Sie mit den Taliban. Ich will mal daran erinnern: Als ein ehemaliger Vorsitzender der SPD gesagt hat, man müsse mit den moderaten Taliban verhandeln, war das der Grund dafür, dass der ausscheiden musste.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Über 16 Jahre her!)

Wo leben wir denn? Die Taliban zu akzeptieren, ist ein politischer Tabubruch, das ist ein No-Go, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bleibe auch dabei: Sie haben doch erlebt, was jetzt nach dem Erdbeben war. Frauen durfte nicht geholfen werden; die durften nicht berührt werden. Und mit dem Land verhandeln wir? Ich finde, das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Minister hat einen Pakt für Bevölkerungsschutz angekündigt. 10 Milliarden Euro sollen bis 2029 in den Katastrophenschutz investiert werden. Das ist vernünftig. Seit Jahren hat meine Fraktion darauf hingewiesen, dass der Katastrophenschutz unterfinanziert ist, dass die Technik und die Fahrzeuge beim THW, beim Roten Kreuz, bei vielen anderen veraltet sind. Die Quittungen für Ihre Ignoranz haben die Bürgerinnen und Bürger im Übrigen bei den vorangegangenen Katastrophen leider bekommen. Ich finde, das ist ein riesiges Problem. Deswegen sage ich auch klar: Das wird von meiner Fraktion unterstützt.

Allerdings warne ich davor, dass diese Debatte verengt wird vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs und nur noch über Bunker und so was geredet wird. Ich finde, das ist nicht in Ordnung. Kriegstüchtigkeit hat wirklich nichts mit dem Katastrophenschutz zu tun. Diesen Weg, der am Ende im Übrigen beim Fahnenappell in der Grundschule endet, werden wir nicht mitgehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linken – Jens Spahn [CDU/CSU]: Den letzten Fahnenappell hat Ihre Partei in diesem Land gemacht!)