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Jörg Cezanne: Finanzmärkte sicherer machen, statt nur Einlagensicherung verbreitern

Archiv Linksfraktion - Rede von Jörg Cezanne,

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Dimension der Diskussion, die wir heute führen, erhellt sich aus meiner Sicht erst vor dem Hintergrund eines Ereignisses, das jetzt gut zehn Jahre zurückliegt. Am 15. September vor zehn Jahren wurde mit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers der Höhepunkt der Finanzmarktkrise, einer der tiefsten Wirtschaftskrisen in der Geschichte des Kapitalismus, erreicht.

Diese Finanzmarktkrise hat schonungslos die Unhaltbarkeit des herrschenden Finanzsystems offengelegt. Nach diesem Beinahezusammenbruch wurden Debatten über unterschiedlichste Maßnahmen geführt und darüber, wie man ihm entkommen kann. Eine dieser Maßnahmen ist die Ausweitung der Einlagensicherung auf die europäische Ebene. Damit sollen die Bankkunden in der gesamten EU vor dem Verlust ihrer Spareinnahmen auch dann geschützt werden, wenn die Reserven der jeweiligen nationalen Einlagensicherungssysteme nicht ausreichen. So weit, so gut.

Unser Hauptkritikpunkt ist, dass es durch die europäischen Regierungen und die Europäische Union versäumt wurde, die weiter gehenden Lehren aus dieser Krise umzusetzen. Bis heute gibt es keine Steuer auf Finanztransaktionen, mit der kurzfristige Spekulationen zurückgedrängt werden, ohne langfristige Investitionen zu belasten. Die Gespräche in der Verstärkten Zusammenarbeit müssen vom neuen Bundesfinanzminister dringend wieder angeschoben werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach wie vor gibt es keinen Finanz-TÜV, der neue Finanzprodukte vor deren Einführung prüft. Das ist dringend geboten; bei Toastern geht es ja auch.

(Beifall bei der LINKEN)

Der weitgehend unregulierte Schattenbanksektor wächst mit erhöhtem Tempo weiter: Allein der Vermögensverwalter BlackRock hat seit der Krise sein verwaltetes Vermögen von 1 300 Milliarden US-Dollar auf 6 300 Milliarden US-Dollar fast verfünffacht. Hier muss die Aufsicht ausgeweitet und vertieft werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Kern der Finanzkrise von 2007 standen sogenannte Derivate. Das sind, sehr verkürzt ausgedrückt, Finanzprodukte, die aus anderen Geschäften abgeleitet werden. Sie sind häufig schwer durchschaubar und oft hoch spekulativ. Dieser Bereich hat ebenfalls weiter an Umfang zugenommen. Nur um einmal die Größenordnung deutlich zu machen: Während in Deutschland 2015 Aktien im Wert von 9 600 Milliarden Euro gehandelt wurden, erreichten Derivatgeschäfte einen Umfang von 229 000 Milliarden Euro.

Maßnahmen, die eine weitere Aufblähung der Finanzmärkte dämpfen könnten, wie die Wiedererhebung einer Steuer auf große Vermögen, höhere Löhne und Gehälter oder die Stärkung der umlagefinanzierten Renten- und Krankenversicherungen haben nicht oder nur unzureichend stattgefunden. Die Linke wird nicht nachlassen, sich hierfür einzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, ist es höchst problematisch, die Einlagensicherung mit neuen Aufgaben zu betrauen. Grundsätzlich ist es natürlich richtig, dass mehr Versicherte gemeinsam größere Risiken schultern können. Das gilt auch für die Europäische Union und für die europäische Ebene. Noch wichtiger aber wäre es, die Risiken, die zum Beinahezusammenbruch des Finanzsystems geführt haben, wirksam zu verringern. Und genau hieran hapert es, nicht nur in anderen Ländern, sondern auch in Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei der Einlagensicherung geht es auch um Größenordnungen, und aus unserer Sicht sogar mehr als um die Frage, ob für deutsche oder für ausländische Banken. Die Bilanzsumme einer durchschnittlichen Sparkasse beträgt ungefähr 3 Milliarden Euro, die einer durchschnittlichen Volksbank sogar nur 1 Milliarde Euro. Die Bilanzsumme der Deutschen Bank hingegen betrug 2017  1 500 Milliarden Euro. Das ist annähernd die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutschland.

Während das Bankgeschäft der Sparkassen und Volksbanken seriös ist und sich an den Bedürfnissen der Menschen, der Städte und Gemeinden und der Realwirtschaft orientiert, ist das bei börsennotierten Großbanken im Inland wie im Ausland nicht unbedingt immer der Fall. Beide Bankenklassen in einen Topf zu werfen, ist höchst problematisch. Das ist dann kein solidarisches Teilen von Risiken. Dann nutzen globale Finanzkonzerne wie BNP Paribas oder die Banco Santander quasi als Trittbrettfahrer die Stabilität der Sparkassen und Genossenschaftsbanken aus.

Meine Damen und Herren, nicht nur aus unserer Sicht darf es eine Europäisierung der Einlagensicherung zwischen Banken nur für Kreditinstitute mit ähnlichem Risikoprofil und Geschäftsmodell geben, so wie es in Deutschland traditionell gehandhabt wird: Öffentlich-rechtliche Sparkassen, genossenschaftliche Volksbanken und private Geschäftsbanken – die drei Säulen – haben ihre eigenen Einlagensicherungssysteme.

Eine Europäisierung der Einlagensicherung ist prinzipiell sinnvoll und kann helfen. Eine Einlagensicherung, die die ungebremsten Risiken des heutigen Kasino-Kapitalismus für die ganze EU zusammenfassen will, lehnen wir ab.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)