Das Bundesministerium für Bildung und Forschung nimmt mit einer Etathöhe von 8,25 Milliarden Euro den fünften Rang unter den Einzelhaushalten ein. Höhere Etats sind für Arbeit und Soziales, für die Bundesschuld, für Verkehr und Bau und für das Verteidigungsministerium veranschlagt.
Im Koalitionsvertrag wurden Bildung und Wissenschaft als „Schlüssel zur Zukunft“ bezeichnet. Für Bildung und Wissenschaft gibt diese Regierung in der Summe aber nur ein Drittel des Verteidigungshaushaltes aus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Das Bundesministerium für Bildung und Forschung nimmt mit einer Etathöhe von 8,25 Milliarden Euro den fünften Rang unter den Einzelhaushalten ein. Höhere Etats sind für Arbeit und Soziales, für die Bundesschuld, für Verkehr und Bau und für das Verteidigungsministerium veranschlagt.
Im Koalitionsvertrag wurden Bildung und Wissenschaft als „Schlüssel zur Zukunft“ bezeichnet. Für Bildung und Wissenschaft gibt diese Regierung in der Summe aber nur ein Drittel des Verteidigungshaushaltes aus.
(Beifall bei der LINKEN)
Es liegt klar auf der Hand: Diese Entwicklung geht in die falsche Richtung.
Gemessen an den zivilisatorischen Herausforderungen müsste das Haushaltsvolumen für Bildung und Forschung eigentlich wesentlich höher sein.
(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Wie war das denn in der DDR?)
Wie sonst, wenn nicht durch Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft werden wichtige Grundlagen der Gesellschaft konditioniert? Haushalt ist eben ein Bestandteil von Gesellschaftspolitik. Die soziale Frage ist nicht mehr von Bildungs- und Wissenschaftspolitik zu trennen. Deswegen muss ein Haushalt auch Ungleichheiten abbauen. Er muss dazu beitragen, dass viele in dieser Republik an solchen gesellschaftlichen Ressourcen wie Bildung und Arbeit teilhaben können.
(Beifall bei der LINKEN)
Im jüngsten Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands wird gefordert, dass Bund und Länder in Vorlage gehen. Darin heißt es:
Die grüne Welle für Forschung und Technologie, Bildung und Wissenschaft in den öffentlichen Haushalten ist nicht nur auf dem Papier festzuschreiben, sondern konsequent in der notwendigen Umschichtung der öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern umzusetzen.
Die Steigerungen der Ausgaben für Bildung und Forschung in diesem Haushalt - so begrüßenswert sie allemal sind - bleiben nicht nur hinter dem Wünschenswerten, sondern auch hinter den Erfordernissen zurück.
(Beifall bei der LINKEN)
Eines muss deutlich gesagt werden: Die aktuelle Ausgabensteigerung kompensiert zunächst nur den Rück¬gang der staatlichen Forschungsbeteiligung früherer Jahre. Der Anteil des Staates an der Forschungsfinanzierung ging nämlich in den Jahren 1995 bis 2004 von 37,9 Prozent auf 30,4 Prozent zurück. Die angekündigten 6 Milliarden Euro für zukunftsträchtige Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen sind also nicht wirklich zusätzliches Geld.
Anlässlich dieses Programms sagte die Bundesforschungsministerin - ich zitiere -:
Bildung und Forschung werden in Deutschland die neue Gerechtigkeit schaffen.
Ich zitiere weiter:
Mit einer ausgezeichneten Bildung für alle Menschen schaffen wir die neue Gerechtigkeit.
(Beifall bei der SPD - Jörg Tauss [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Guter Satz! Sie können klatschen! Es war Frau Schavan!)
Da höre ich im Übrigen auch die Vorsitzende der CDU-Grundsatzkommission heraus.
Es wird Sie also nicht wundern, wenn wir an dieser Stelle die Frage stellen, welche bildungs- und forschungspolitischen Weichenstellungen konkret in Richtung einer ausgezeichneten Bildungssituation gestellt werden. Wie steht es um die Referenzprojekte der so genannten neuen Gerechtigkeit?
Ich komme als erstes zur Föderalismusreform, der „Mutter aller Reformen“, wie es der Ministerpräsident aus Bayern in der ihm eigenen Bescheidenheit formulierte.
Die Föderalismusreform ist beschlossene Sache. Von allen Seiten unbestritten wird deutlich angemahnt und beklagt, dass der Bund in der Bildungspolitik wesentliche Kompetenzen verloren hat. Die gemeinsame Bildungsplanung ist stark beschnitten. Das Ganztagsschulprogramm als beispielgebender bildungspolitischer Impuls wäre künftig nicht mehr möglich, weil Sie ein Kooperationsverbot verankert haben. Die Abschaffung der Gesetzgebungskompetenz für das Hochschulrahmengesetz verhindert künftig bundesweit geltende Mindestregelungen über Ziele und Aufgaben von Hochschulen.
(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Man merkt schon ein bisschen, dass Sie aus einem zentralistischen System kommen!)
- Nein, mein Guter, daran ganz bestimmt nicht.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)
Die Abweichungsmöglichkeiten der Bundesländer im Bereich der Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse werden die Mobilität der Studierenden ein¬schränken. Die millionenschwere Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ läuft aus. Modellversuche von Bund und Ländern im Bildungsbereich sowie Hochschulsonderprogramme, die gerade für die Förderung von Frauen in der Wissenschaft wichtig sind, werden künftig nicht mehr möglich sein. Das ist ein echter Verlust. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man bedenkt, dass schon heute viele Bundesländer nicht in der Lage sind, diese bewährten Instrumente fortzuschreiben.
(Jörg Tauss [SPD]: Frau Kollegin, das ist falsch!)
- Das ist nicht falsch.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Was bleibt mir anderes übrig?
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Bitte, Herr Tauss.
Jörg Tauss (SPD):
Sie könnten Nein sagen; das wäre die Alternative. Aber ich bedanke mich, dass Sie meine Frage zulassen. Möglicherweise dient sie der Klarstellung.
Liebe Kollegin Sitte, Sie haben gerade gesagt, Hochschulsonderprogramme seien künftig nicht mehr möglich. Darf ich Sie bitten, sich den neuen Art. 91 b zu Ge¬müte zu führen, der ausdrücklich die von Ihnen angesprochenen Dinge ermöglicht? Dort haben wir eine neue echte Gemeinschaftsaufgabe begründet. Die Hoch¬schulrektorenkonferenz sagt, das sei eine gute Lösung. Würden Sie das konzedieren?
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Herr Tauss, Sie wissen genauso gut wie ich, dass in der Debatte über die Föderalismusreform daran Kritik geübt wurde; denn nun ist ein Abstimmungsprozess zwischen dem Bund und 16 Bundesländern notwendig. Alle 16 Bundesländer müssen nun die gleichen Prioritäten setzen.
(Jörg Tauss [SPD]: Das war immer so!)
- Nein. Man braucht eine einstimmige Entscheidung der Länder.
(Jörg Tauss [SPD]: Das war in der Vergangenheit auch so!)
Ob das für das ausgesprochen erfolgreiche Programm „Frauen in der Wissenschaft“ gut ist, bezweifle ich. Sie wissen sicherlich, wie hoch der Anteil der Professorinnen in diesem Land ist, dass der Anteil promovierter Frauen in einem Missverhältnis zum Anteil der Frauen unter den Professoren steht - man kann durchaus von einem Bruch sprechen - und dass die Lösung dieses Problems keine Priorität bei einem Finanzminister in der Bundesrepublik Deutschland haben wird.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Jörg Tauss [SPD]: So pessimistisch bin ich nicht! Die sind alle durchgegendert! Keine Sorge!)
- Das ist zu hoffen.
Das erste große Referenzprojekt der Bundesregierung wird nicht mehr Gerechtigkeit in Bildung und Wissenschaft bringen, sondern Unterschiede vertiefen. Das bedeutet nichts anderes als Ungerechtigkeiten. Schon jetzt starke Bundesländer und Universitäten werden davon profitieren. Aber die anderen werden nicht nur abgekoppelt. Vielmehr wird sich ihr Rückstand noch vergrößern. Risikogruppen werden wachsen und sehen sich schließlich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie von zunehmend geringer werdenden so genannten Leistungsgruppen unterstützt werden müssen. Das halte ich für ein falsches gesellschaftliches Konzept.
(Beifall bei der LINKEN)
Als zweites großes Referenzprojekt gilt der Hochschulpakt 2020. Darüber laufen noch die Verhandlungen zwischen den Ländern.
(Jörg Tauss [SPD]: Zwischen Bund und Ländern!)
Aber schon jetzt ist klar, dass die Probleme, die die Föderalismusreform verursacht, durch diesen Pakt nicht kompensiert werden können.
(Cornelia Pieper [FDP]: So ist es!)
Der Bund sieht laut eigener Planung bis 2010 rund 1 Milliarde Euro für den Hochschulpakt vor. Im Haushalt 2007 sind dafür 160 Millionen Euro eingestellt. Bis 2014 wird sich die Zahl der Studierenden - so die Prognose der Kultusministerkonferenz - auf 2,7 Millionen erhöhen. Nun hat der Wissenschaftsrat seinerseits berechnet, was sich daraus finanziell ergibt, und festgestellt, dass allein in diesem Jahr 400 Millionen Euro eingestellt werden müssten. Es sind aber nur 160 Millionen Euro. Wir haben es also schon jetzt mit einer großen Differenz zu tun.
(Jörg Tauss [SPD]: 160 Millionen vom Bund!)
- Ja, sicher.
Zudem ist dieser Ansatz schon jetzt völlig überfrachtet; denn die Kapazitäten sollen spürbar ausgebaut werden und 16 Bundesländer sollen daran partizipieren. Darüber hinaus soll die Forschung gefördert und die Sonderprogramme sollen ausgeglichen werden. Das funktioniert natürlich nicht. Das heißt, es wird keinen wirksamen Beitrag zur Reduzierung der Unterfinanzierung des Hochschulwesens geben.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Woher wissen Sie das jetzt alles?)
- Das weiß jeder.
Die Studienbedingungen werden sich unter dem Ansturm neuer Jahrgänge verschlechtern. Die individuelle soziale Situation jedes Einzelnen bzw. jeder Einzelnen wird sich auf den nächsten Bildungsgang auswirken. In¬sofern bleiben die angekündigten Investitionen in die Köpfe wohl eher eine Worthülse. Auch hier zeigt sich keine neue Gerechtigkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
In der letzten Woche hat Frau Schavan eine Hightechstrategie verkündet. Auch diese sollte als Referenzprojekt für neue Gerechtigkeit sorgen.
(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Was?)
Neben der Bereitstellung wachsender Mittel für Grundlagenforschung war es überfällig - da stimme ich Ihnen zu -, Voraussetzungen für die bessere Umsetzung von Forschungsergebnissen zu schaffen.
Eine Strategie aus einem Guss, wie Sie es selbst formuliert haben, gehört auch zu unserem Konzept. Insofern ist diesem Ansatz zuzustimmen. Natürlich bringt die Bündelung von Wissenschaft und Wirtschaft am Ende mehr Arbeitsplätze. Selbstverständlich begünstigt sie den Wandel in strukturschwachen Gebieten. Das weiß jemand besonders gut, der - wie ich - aus einem Gebiet kommt, in dem innerhalb weniger Jahre 60 000 Arbeitsplätze allein in zwei Betrieben weggefallen sind.
Nichtsdestotrotz bedarf aber gerade die Förderung von Hochtechnologien auch einer gesellschaftlichen Debatte. Die Risiken und Chancen von geförderten hochsensiblen Technologien werden heute kaum noch thematisiert. Ich erwähne hier nur die Gentechnik und die Sicherheitsforschung. Wenn man dazu irgendetwas sagt, bekommt man sofort den Vorwurf, ideologische Scheuklappen zu tragen.
(Beifall der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich finde aber, das gehört in die öffentliche Debatte und nicht nur in Innovationskreise. Es werden eben nicht nur Steuergelder ausgegeben - das allein wäre schon Grund genug -, sondern es werden auch Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens berührt - ob das soziale und ökologische Nachhaltigkeit betrifft oder Demokratie und Bürgerrechte.
(Jörg Tauss [SPD]: Deswegen machen wir doch Technikfolgenabschätzung!)
Ich will an dieser Stelle einmal anmerken: Eine Forschungsförderung, die ausschließlich unter dem Primat der Ökonomie und der Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen für neue Märkte steht,
(Jörg Tauss [SPD]: Tut sie doch nicht!)
kann grundsätzlich natürlich nicht zuerst auf Gerechtigkeit abzielen. Innovation ist eben nicht nur, wenn der Markt laut Hurra schreit. Da sind schon Zweifel angebracht, ob diese Forschungspolitik mit ihren Ergebnissen am Ende allen Menschen in diesem Lande zugute kommt.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber nicht, solange wir an der Regierung sind!)
Abschließend möchte ich mich zwei Referenzprojekten widmen: der beruflichen Ausbildung - die haben auch Sie erwähnt - und der beruflichen Weiterbildung - die haben Sie zum wiederholten Male nicht erwähnt.
(Nicolette Kressl [SPD]: Das stimmt doch nicht!)
Zum Pakt für Ausbildung will ich nur sagen: Es fehlen nach wie vor 140 000 Plätze. Alles, was Sie dazu gesagt haben, stellt quasi einen Tropfen auf den heißen Stein dar. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, gerade in diesem Bereich als Integrationsleistung vermehrt Mittel einzustellen.
Zum Thema Weiterbildung will ich sagen: Wir haben einen akuten Fachkräftemangel. Zudem gibt es Tausende Arbeitslose, die über eine abgeschlossene Lehre oder eine abgeschlossene Hochschulausbildung verfügen. Natürlich müssten diese Leute als Erste in die Weiterbildung aufgenommen werden. Was passierte? Es kam das Leben und es kamen die Bundesanstalt für Arbeit und Hartz IV daher, und 40 000 Leute im Bereich der beruflichen Weiterbildung verloren innerhalb kürzester Zeit ihre Beschäftigung. Die, die übrig geblieben sind, arbeiten zum großen Teil in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu Niedriglöhnen.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da haben Sie Recht!)
Bezeichnend für diese Entwicklung ist, dass man inzwischen sogar von „pädagogischen Wanderarbeitern“ spricht. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Daran muss unbedingt etwas geändert werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich will an dieser Stelle noch erwähnen, was ich im Bereich der Weiterbildung als „Krönung“ empfinde: dass nämlich die mittelfristige Finanzplanung vorsieht, den ohnehin schon sehr geringen Anteil der Weiterbildung weiter zu reduzieren. Das halte ich für falsch. Wir werden das auch in den Ausschussberatungen thematisieren. An dieser Stelle bedürfte es eigentlich eines Bundesgesetzes für berufliche Weiterbildung. Aber - um auf Ihre Frage zurückzukommen, Herr Tauss - Bund und Länder haben es abgelehnt, sodass ein Rahmengesetz weiter fehlen wird. Es bleibt bei einem dramatisch unterfinanzierten System.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, das alles kann eigentlich nicht die „neue Gerechtigkeit“ sein, von der Sie gesprochen haben, Frau Schavan.
Ich meine, diese Art „neue Gerechtigkeit“ ist nichts anderes als die Fortsetzung der alten Ungerechtigkeit mit neuen Mitteln.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)