Zum Hauptinhalt springen

Mit diesem Gesetz schützt der Staat die Falschen

Rede von Cem Ince,

Sehr geehrter Herr Präsident! Da habe ich mich einmal gefreut, dass ich vor vollem Plenum reden darf, und dann beginnt die namentliche Abstimmung.

(Heiterkeit der Abg. Katharina Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben! In Berlin sind vor Kurzem über 200 vietnamesische Auszubildende verschwunden. Der Verdacht? Menschenhandel und Arbeitsausbeutung. Junge Menschen verschulden sich bei zwielichtigen Vermittlungsagenturen, geraten in extreme Abhängigkeitsverhältnisse und werden zu Schwarzarbeit gezwungen. Das darf nicht sein.

(Beifall bei der Linken)

Doch anstatt heute den Betroffenenschutz zu verbessern, sollen durch das Gesetz zur Modernisierung und Digitalisierung der Schwarzarbeitsbekämpfung in erster Linie Steuern eingetrieben werden. Ihnen geht es mal wieder um Geld und Wettbewerbsbedingungen, aber nicht um Gerechtigkeit für Arbeiterinnen und Arbeiter. Damit muss endlich Schluss sein.

(Beifall bei der Linken)

Lieferdienste, das Friseur- und das Kosmetikgewerbe sollen in Zukunft stärker kontrolliert werden. Doch was ist mit den anderen Branchen, zum Beispiel der Fleischerei oder der Landwirtschaft? Genau hier sehen Gewerkschaften Ausbeutung, unzulässige Arbeitsbedingungen, illegale Beschäftigungen und Mindestlohnverstöße auf der Tagesordnung.

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Karoline Otte [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hat diese Branche stärkere Lobbyverbände, oder handelt es sich um Vorurteile, die hier bedient werden?

(Zuruf von der Linken: Genau!)

Viele betroffene Arbeiterinnen und Arbeiter leiden unter einer Täter-Opfer-Umkehr. Gerade wenn sie aus dem Ausland kommen, müssen sie Verfolgung, Sanktionen und Abschiebung fürchten. Betroffene trauen sich dadurch nicht, Hilfe zu suchen und mit Behörden zu kooperieren. Der Staat kreiert ein Klima der Angst, das letztendlich die Organisierte Kriminalität und die Ausbeuter stärkt. Die Devise muss sein: Ausgebeutete bedingungslos schützen, Ausbeuter konsequent bestrafen.

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Karoline Otte [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das grundsätzliche Problem besteht in der Doppelrolle der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Sie ist Arbeitsinspektion einerseits und Strafverfolgungsbehörde andererseits. Daraus ergibt sich ein Zielkonflikt; denn der Schutz von Betroffenen und die gleichzeitige Ermittlung gegen sie passen nicht zusammen. Sowohl die Internationale Arbeitsorganisation als auch der Bundesrat fordern eine klare Trennung von Schutz und Ermittlung. Nur die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf. In Ländern wie Polen oder Bulgarien gibt es bereits unabhängige Arbeitsinspektionen, die Missstände aufdecken und Ansprüche von Betroffenen durchsetzen. Das braucht es auch in diesem Land.

(Beifall bei der Linken)

Über 2 Millionen Menschen werden um den Mindestlohn betrogen. Jährlich wird jedoch nicht einmal ein halbes Prozent der Fälle aufgedeckt. Das Schlimmste daran? Der Staat treibt nur die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ein. Die Betrogenen erhalten keine Hinweise und werden auch nicht bei der Durchsetzung ihrer Lohnansprüche unterstützt. Wenn der Staat nichts tut, brauchen wir ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften.

(Beifall bei der Linken – Anja Karliczek [CDU/CSU]: Ach du liebe Güte!)

Die Ausbeutung der arbeitenden Klasse ist ein zentraler Bestandteil des Kapitalismus.

(Anja Karliczek [CDU/CSU]: Es wird ja immer schlimmer!)

Daher kämpfen wir weiter für eine solidarische Gesellschaft. Doch Menschenhandel und Zwangsarbeit –

– sofort fertig – sind besonders krasse Auswüchse, die niemanden von uns hier kaltlassen können. Hier müssen wir gemeinsam an sofortigen Lösungen arbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linken sowie des Abg. Max Lucks [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])