Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dobrindt, keine vier Wochen im Amt und schon der erste Gerichtsbeschluss, der Ihre Politik für rechtswidrig erklärt! Das muss man erst mal schaffen.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Seidler [fraktionslos])
An Tag eins Ihrer Regierung haben Sie eine Weisung erlassen, dass nun auch Schutzsuchende an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden, ohne dass ihr Asylgesuch geprüft wird. Sie haben die Bevölkerung mit Ihrer erfundenen Notlage, die bis heute von Ihnen nicht belegt worden ist, angelogen.
(Beifall bei der Linken – Peter Boehringer [AfD]: Die muss nicht belegt werden! Das ist offensichtlich!)
Herr Dobrindt, allen war klar: Das ist rechtswidrig. Wenn das hier ein Wettbewerb wäre, wer am schnellsten europäisches Recht bricht, dann, Herr Dobrindt, wären Sie ganz vorne mit dabei.
(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Peter Boehringer [AfD]: Da sind Sie seit Jahren dabei!)
Wenn Sie ein Minister mit Format wären, hätten Sie sich nach diesem Beschluss entschuldigt. Sie hätten die Weisung zurückgenommen und Konsequenzen gezogen. Das hätten wir am Montag von Ihnen erwartet, und das erwarten wir auch heute noch von Ihnen, Herr Dobrindt.
(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Stattdessen erklären Sie, das sei nur ein Einzelfall. Verzeihen Sie, aber das ist Quatsch. Sie wollen die Öffentlichkeit hier ganz klar an der Nase herumführen. Formell ging es zwar um drei einzelne Personen; aber der Fall wurde wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung der gesamten Kammer übertragen. Drei Richter/-innen haben entschieden, fast 30 Seiten juristischer Begründung – und fast ausschließlich zur Rechtslage.
Herr Throm, wenn Sie den Beschluss nicht gelesen haben,
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Doch, doch!)
dann helfe ich Ihnen gerne weiter. Auf Seite 9 steht: § 18 Absatz 2 Nummer 1 Asylgesetz kommt als Rechtsgrundlage nicht in Betracht.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Das ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts Berlin!)
Das, was Sie immer herangezogen haben! Auf Seite 8 steht: Zurückweisungen verstoßen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gegen geltendes Recht. – Auf Seite 16 steht:
"„Es fehlt bereits an der hinreichenden Darlegung einer Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne des Art. 72 AEUV […].“"
Und Seite 7 lässt sich so zusammenfassen: Deutschland muss ein Dublin-Verfahren durchführen.
Was heißt das? Dass Ihre Politik eine ganz schöne Klatsche vom Gericht bekommen hat.
(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Stefan Seidler [fraktionslos])
Entweder kennen Sie das Gesetz nicht, Herr Dobrindt, oder es ist Ihnen egal.
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beides!)
Und beides disqualifiziert Sie für dieses Amt.
(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Was wir hier erleben, ist doch kein Versehen. Es ist ein exekutiver Ungehorsam von oben, bei dem die Regierung Urteile ignoriert, EU-Recht beugt, Grundrechte aushöhlt und sich so über den Rechtsstaat stellt. Das ist gefährlich, und das ist der Anfang vom Ende einer liberalen Demokratie. Das kennen wir bereits von Viktor Orbán aus Ungarn.
Herr Throm, ich finde es sehr bemerkenswert, dass Sie sich hier vorne hinstellen – hören Sie mir ruhig zu, Herr Throm, ich habe ein gutes Argument für Sie; Herr Throm kann nicht zuhören –
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann er schlecht!)
und sagen, weil Bulgarien so wenige Menschen aufnehme und viele zurückweise, könne Deutschland das auch machen. Das heißt, Ihre Argumentation ist: Wenn ein anderes EU-Land Recht bricht, dann kann Deutschland das auch.
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Das zeigt doch, dass Sie sich vom Rechtsstaat und vom europäischen Gedanken längst verabschiedet haben, und das halte ich für einen riesigen Skandal.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Seidler [fraktionslos])
Und wofür das alles? 141 Zurückweisungen, wofür Sie Tausende Beamte an der Grenze zum Rechtsbruch gezwungen haben.
Ja, sehr gerne.
Herzlichen Dank, sehr geehrte Frau Kollegin Bünger, dass Sie die Frage zulassen. – Zunächst mal zur Korrektur: Ich habe darauf hingewiesen, dass Bulgarien lediglich zehn Personen pro Woche aus anderen EU-Ländern zurücknimmt, nicht zurückweist.
Zweitens. Sie haben auf die Argumentation „Wenn die einen das machen, dann dürfen wir das auch“ hingewiesen. Ich will Ihnen einfach noch mal erklären, wie das mit Dublin und Schengen zusammenhängt – auch rechtshistorisch.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Frau Bünger kennt sich da aus!)
Die Dublin-Verordnungen, die Vorgängerverordnungen und die jetzige, waren Grundlage dafür, dass man im Rahmen des Schengenabkommens auf Zurückweisungen verzichtet hat.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss der Mann jetzt doch noch mal der Frau das Recht erklären!)
Das haben wir auch zehn Jahre gemacht, von 2015 an beginnend.
(Zuruf von der Linken: Frage!)
Wenn aber festgestellt wird, dass dieses Dublin-System komplett dysfunktional ist, dass sich niemand anderes daran hält, dann können wir umgekehrt auch nicht auf einseitige Zurückweisungen verzichten.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brechen Recht, damit wir neues Recht setzen!)
Meine Frage ist: Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank für die Frage. Das gibt mir die Gelegenheit, auch darüber zu sprechen. – In dem Gerichtsbeschluss steht ganz klar: Deutschland wird dazu verpflichtet, ein Dublin-Verfahren durchzuführen.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Throm [CDU/CSU]: In erster Instanz entschieden!)
Und dagegen versperren Sie sich jetzt. Damit zeigen Sie doch, dass Sie selber diese Regelung nicht akzeptieren wollen.
Sie sprechen über die Dysfunktionalität der Dublin-Verordnung; das finde ich sehr wichtig. Das Ersteinreiseprinzip in der Dublin-Verordnung ist ein Riesenproblem.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Denn die Außengrenzen-Staaten sind danach für alle Asylverfahren verantwortlich. Das steht so in der Dublin-Verordnung, und das funktioniert nicht. Das wissen Sie, und das wusste zum Beispiel auch Frau Dr. Angela Merkel 2015. Sie wusste damals, dass nicht alle Menschen von Griechenland und Italien aufgenommen werden können, weil es schlicht nicht möglich ist. In Griechenland leben 12 Millionen Menschen.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Deshalb wenden wir sie nicht an!)
– Jetzt rede ich, Herr Throm.
(Beifall bei Abgeordneten der Linken und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt müssen Sie mir auch zuhören. – In Griechenland leben 12 Millionen Menschen. Man muss sich einmal überlegen, wie viele Menschen damals dort angekommen sind! In Deutschland wären es in Relation wahrscheinlich 8 Millionen gewesen; es sind aber nur 700 000 angekommen.
Die Dysfunktionalität des Dublin-Systems existiert. Das liegt aber daran – das müssen Sie verstehen –, dass die Außengrenzen-Staaten zu Unrecht belastet werden.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Genau! So ist es!)
Die neue GEAS-Reform schafft das leider nicht ab, sondern dieses Ersteinreiseprinzip gilt weiter.
(Beifall bei der Linken)
Das heißt, es wird auch weiter ein Problem sein, wenn Sie nichts daran ändern.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt komme ich wieder zu meiner Rede zurück. Ich frage mich: Wofür haben Sie diesen Rechtsbruch begangen? 141 Zurückweisungen und Tausende Beamte an der Grenze, die Sie in den Rechtsbruch gezwungen haben! Herr Dobrindt, mit diesem Handeln – und das sage ich im Ernst – bringen Sie nur einen in eine Notlage, und das ist der Rechtsstaat hier in Deutschland.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Da Sie immer von Notlage sprechen, müssen wir natürlich auch über die Kommunen sprechen. Denn Ihre Kampagne, für die Sie Geflüchtete instrumentalisieren, ist wirklich schauderhaft. Ich habe mir die Zahlen mal angeschaut: Über 90 Prozent der Kommunen beklagen Geldmangel. Nur 44 Prozent der ostdeutschen Kommunen benennen überhaupt Geflüchtete; das ist weniger als die Hälfte. Die Kommunen wollen keine Abschiebungen, sie wollen Geld.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Seidler [fraktionslos])
Denn sie wissen längst: Mit Abschiebung wird keine Kita gebaut und auch kein Krankenhaus saniert. Also wenn es eine Notlage gibt, dann ist es doch eine Geldnotlage der Kommunen.
Hören Sie auf, die Schwächsten zu Sündenböcken für Probleme zu machen, die Sie selbst zu verantworten haben! Sie behaupten, Ordnung zu schaffen. Was Sie aber schaffen, ist Unrecht, Herr Dobrindt.
(Beifall bei der Linken)
Ich war am ersten Tag der Kontrollen in Frankfurt (Oder). Ich habe mit Betroffenen gesprochen, darunter auch mit einer verletzten Frau, die kaum gehfähig war. Auch sie wurde zurückgewiesen, obwohl sie vulnerabel war, obwohl sie Asyl beantragt hat. Ich habe wirklich kein Verständnis dafür, wie Sie über diese Menschen reden. Als kämen sie zum Spaß hierhin, als wäre das freiwillig. Herr Dobrindt, machen Sie doch mal die Augen auf an dieser Stelle! Die Mehrheit der Menschen, die nach Deutschland kommen, bekommt Schutz, und das aus guten Gründen. Die Mehrheit der Menschen, die hierherkommen und Schutz suchen, kommt hierher, weil sie einen Schutzanspruch hat.
Es gibt weltweit so viel Krieg wie noch nie.
(Peter Boehringer [AfD]: Dutzende Länder zwischen Deutschland und dieser Welt!)
Und was tun Sie? Sie bekämpfen nicht die Ursachen von Flucht, Sie bekämpfen diejenigen, die vor Krieg fliehen. Und das ist wirklich ein Riesenskandal an dieser Stelle.
(Beifall bei der Linken)
Wenn ich eines gelernt habe bei der jahrelangen Arbeit mit Geflüchteten: Kein Mensch flieht freiwillig. Kein Mensch riskiert sein Leben, verliert seine Angehörigen auf der Flucht, um dann hier in Deutschland im Abschiebeknast zu landen.
Wissen Sie, warum es das Asylrecht überhaupt gibt? Weil Menschen im Faschismus abgewiesen, deportiert und ermordet wurden. Nie wieder sollte ein Mensch, der Schutz sucht, an Deutschlands Grenzen zurückgewiesen werden.
(Stephan Brandner [AfD]: Wie in der DDR, oder?)
Und Sie brechen dieses historische Versprechen.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer Menschen abweist, hat aus der Geschichte nicht gelernt.
(Stephan Brandner [AfD]: Sie haben die Menschen nicht rausgelassen bei Ihrem Sozialismus!)
Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Schluss. – Zum Glück regieren Sie ja nicht alleine, Herr Dobrindt. Aber ich frage mich an dieser Stelle wirklich, wo die SPD bleibt. Was sagt die Justizministerin? Sie können doch diesem Rechtsbruch nicht einfach tatenlos zuschauen. Und auch Sie, Herr Fiedler, haben nichts dazu gesagt.
(Beifall bei Abgeordneten der Linken und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aus unserer Sicht müssen diese Zurückweisungen beendet werden. Die Weisung muss zurückgenommen werden. Die Grenzkontrollen müssen abgebaut werden, und es muss endlich ein faires Asylverfahren innerhalb der gesamten Union geben.
Und es braucht auch endlich Geld für die Kommunen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der Linken)