Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten sprechen, geht es nicht um eine abstrakte Verwaltungsvorschrift, sondern um Menschen.
(Beifall bei der Linken)
Es geht um Eltern, um Partner, die seit Jahren von ihren Angehörigen getrennt sind, weil Fluchtwege zu gefährlich sind. Es geht um Kinder, die in Kriegsgebieten ausharren, weil der deutsche Staat ihnen den legalen Weg zu ihrer Familie versperrt. Das ist die Realität. Wenn Sie von „Aussetzung“ sprechen, Herr Dobrindt, dann sagen Sie bitte auch, was das bedeutet: Kinder wachsen ohne Eltern auf;
(Dr. Christian Wirth [AfD]: Wer lässt denn seine Kinder im Stich?)
Menschen sterben, weil ihnen der legale Weg versperrt wurde; Familien leben in Angst und Hoffnungslosigkeit. Ihr Gesetzentwurf, Herr Dobrindt, ist daher antichristlich und auch familienfeindlich.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb gehören die Kirchen auch zu den schärfsten Kritikerinnen dieses Gesetzentwurfes. Aber das scheint Ihnen ja in Ihrem Abschottungswahn komplett egal zu sein, Herr Dobrindt.
Dieses Gesetz zielt ganz bewusst auf eine bestimmte Gruppe ab: Rund 90 Prozent aller Menschen mit subsidiärem Schutzstatus kommen aus Syrien.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Genau!)
Das sind Menschen, die aus einem Land voller Krieg, Folter und Gewalt geflohen sind. Die Lage in Syrien ist weiterhin höchst gefährlich; die Menschen trifft das jetzt mit voller Härte. Sie machen Politik gegen Kinder und ihre Eltern.
(Beifall bei der Linken – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie haben das Prinzip nicht verstanden! Das ist offenkundig!)
Ein Fall, den ich hier ansprechen möchte, zeigt besonders deutlich, worum es geht: 2017 machte sich eine junge Syrerin mit ihren beiden kleinen Kindern auf den Weg über das Mittelmeer. Ihr Mann lebte bereits in Deutschland. Sie hätten zusammen sein können, wenn man sie hätte nachkommen lassen. Aber Deutschland hatte den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigen schon damals ausgesetzt. Also blieb nur der gefährliche Weg. Am 17. März 2017 ertrank die Familie im Mittelmeer, eine Mutter, zwei Kinder.
Ich möchte an dieser Stelle keine Zwischenfrage zulassen, weil ich das für pietätlos halte.
(Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU])
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, war kein Unglück. Das war politisch gewollt. Das war das Ergebnis Ihrer Politik der letzten Großen Koalition. Genau da knüpfen Sie jetzt wieder an.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es werden auch jetzt Menschen sterben.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Falsche Anreize führen dazu, dass Menschen sich auf den Weg machen und sterben! Das sollten Sie hinzufügen!)
Ihr Gesetzentwurf versperrt einen der letzten legalen Wege, den Familiennachzug. Herr Dobrindt, wenn Sie hier die ganze Zeit von „illegaler Migration“ sprechen, muss ich sagen: Das kenne ich von der AfD; die hat damit angefangen.
(Raimond Scheirich [AfD]: Sie hat auch recht!)
Sie haben das jetzt übernommen.
(Martin Hess [AfD]: Stimmt! Wir haben zuerst die Wahrheit gesagt!)
Offensichtlich ist das Regierungshandeln. Das ist ein Skandal; das muss man doch mal aussprechen. Wenn Sie von „illegaler Migration“ sprechen und dann die letzten legalen Wege abschaffen, dann ist das doch total widersprüchlich. Sie schaffen damit selbst die Illegalität der Flucht; denn Sie treiben Menschen in die Illegalität, statt legale Wege zu schaffen.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Was für eine naive Betrachtung!)
Das ist nicht nur zynisch. Wir sagen, das ist auch juristisch nicht haltbar. Der subsidiäre Schutz ist nämlich kein Schutz zweiter Klasse. Er schützt Menschen vor Folter, Krieg und unmenschlicher Behandlung, auch wenn diese nicht individuell verfolgt werden.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Jeder zweite Satz falsch!)
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – und jetzt hören Sie mir gut zu, Herr Hoffmann! – hat bereits geurteilt: Eine pauschale Aussetzung des Familiennachzugs ist menschenrechtswidrig, selbst bei Härtefallregelungen.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie biegen sich das alles zurecht! – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Alles falsch, was Sie da erzählen! – Zuruf des Abg. Dr. Christian Wirth [AfD)
Und was machen Sie? Eine angebliche Härtefallregelung nach § 22 Aufenthaltsgesetz. Aber in der Praxis ist das, was Sie vorschlagen, ein Feigenblatt; denn genau diese Regelung gab es auch 2016 und 2018. Frau Nasr, ich finde es ja schön, dass Sie sich hier für Familien einsetzen wollen. Aber dann – das sage ich ganz klar an die Adresse der SPD – stimmen Sie diesem Gesetzentwurf nicht zu!
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Denn diese 280 Menschen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein und keine wirkliche Härtefallregelung.
Aus unserer Sicht ist die bestehende Kontingentierung auch ohne Ihren Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen, verfassungsrechtlich bedenklich.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ja, aus Ihrer Sicht! Das ist aber ein anderer Maßstab!)
Er verletzt aus unserer Sicht ganz klar Artikel 6 des Grundgesetzes und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Was Sie jetzt hier planen, verschärft dies noch. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn Sie dieses Gesetz beschließen, werden weitere Familien auseinandergerissen. Es werden weitere Menschen auf eine tödliche Fluchtroute getrieben. Das liegt dann in Ihrer Verantwortung, in der Verantwortung von SPD und Union. Wir als Linke sagen an der Stelle ganz klar: Familien gehören zusammen. Punkt!
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Görke [Die Linke]: Punkt! Ganz meine Meinung!)
Wir fordern, dass Sie den Familiennachzug nicht aussetzen, sondern dass Sie ihn beschleunigen, dass die Verfahren menschenwürdig gestaltet werden und dass Sie die Botschaften so ausstatten, dass die Antragstellung möglich ist. Und hören Sie bitte auf, Familien für Ihre Symbolpolitik zu instrumentalisieren! Das ist wirklich widerlich
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und aus unserer Sicht unter völkerrechtlichen, verfassungsrechtlichen und praktischen Gesichtspunkten sehr bedenklich. Das haben wir alles in unserem Antrag deutlich gemacht. Ich denke, dass all die Expertinnen und Experten, die sich schon an Sie gewandt haben, dies in der Anhörung deutlich machen. Ich bitte Sie, dass Sie ihnen zuhören und diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Danke.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)