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Nein zur Aussetzung des Familiennachzugs! Familien gehören zusammen. Punkt.

Rede von Clara Bünger,

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung, Herr Dobrindt, weil Sie mir vorwerfen, dass ich Abschottung mit Ordnung verwechsle. Tatsächlich ist es doch genau andersherum. Sie verwechseln Ihre sogenannte Ordnung mit Rechtsbruch, Rechtsbruch, den Sie an der Grenze mit den Zurückweisungen begehen.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber nun zum Thema. Jede einzelne Abgeordnete, die diesem Gesetz zur Aussetzung des Familiennachzugs heute zustimmt, sagt damit auch: Ja, ich will, dass Frauen und Kinder in Kriegs- und Krisengebieten zurückbleiben.

(Beifall bei der Linken – Dr. Christian Wirth [AfD]: Wer lässt denn seine Frau und Kinder im Stich?)

Erst vor wenigen Tagen hat es einen Selbstmordanschlag auf eine Kirche in Syrien gegeben. 25 Menschen sind gestorben, 63 weitere wurden schwer verletzt. Und nun wollen Sie ausgerechnet in so einer Situation ernsthaft darüber diskutieren, ob man Mütter, Väter und Kinder unter solchen Umständen einfach zurücklassen kann.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie haben das Asylrecht einfach nicht verstanden oder wollen es nicht verstehen! Das ist doch das Problem!)

Der Familiennachzug ist heute eine der letzten legalen Möglichkeiten, überhaupt noch Schutz in Deutschland zu finden. Wer diesen Weg versperrt, zwingt Familien auf Fluchtrouten, die tödlicher und gefährlicher denn je sind.

(Beifall bei der Linken und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und hören Sie auf mit dem Etikettenschwindel, Herr Dobrindt! Sie sprechen immer davon, die sogenannte illegale Migration beenden zu wollen. In Wahrheit beenden Sie gerade die letzten legalen Wege für Menschen,

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)

die vor Krieg und Verfolgung fliehen.

(Beifall bei der Linken und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über wie viele Menschen reden wir hier eigentlich gerade? Von 12 000 Personen, denen Sie ihr Recht auf Familienleben wegnehmen wollen – nicht pro Monat, nein, pro Jahr.

(Schahina Gambir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

In Deutschland gibt es rund 11 000 Kommunen. Das entspricht durchschnittlich einer einzigen Person pro Kommune im Jahr. Und dann kommen Sie mit den altbekannten Argumenten: Der Wohnungsmarkt ist angespannt, die Kitas sind voll, die Kommunen sind überfordert.

(Dr. Christian Wirth [AfD]: Ja, genau!)

Und schuld daran soll ausgerechnet der Familiennachzug sein? Wir Linke wissen, es ist Ihre neoliberale Sparpolitik für die Kommunen, die dafür sorgt.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was Sie hier machen, ist keine Lösung. Das ist eine grausame Symbolpolitik auf dem Rücken der Schwächsten.

Schon heute dauert ein Familiennachzugsverfahren in der Praxis oft vier bis fünf Jahre.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Linke Verblendung, was wir von Ihnen hören! Linke Verblendung!)

Vier bis fünf Jahre der Trennung, des Wartens, der Ungewissheit! Das ist schlichtweg unerträglich.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Völlig realitätsfern!)

Die Menschen protestieren dagegen. Gestern haben viele Betroffene vor dem Reichstag demonstriert. Viele von ihnen leben mit einem Schutzstatus in Deutschland, viele seit Jahren. Und trotzdem haben sie und ihre Familien noch nicht mal einen Termin bei der Botschaft bekommen, um einen Visumsantrag zu stellen. Und wie reagieren Sie darauf? Sie beschließen nicht mal eine Stichtagsregelung für Menschen, die zum Teil schon vor Jahren einen Antrag gestellt haben und darauf vertrauten, dass ihre Familien bald nachziehen würden.

(Schahina Gambir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Das ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber es geht noch weiter. Statt diesen Menschen wenigstens eine verlässliche Perspektive zu bieten, verweisen Sie auf eine sogenannte Härtefallregelung, eine Regelung, von der alle wissen – auch die von Ihnen benannten Sachverständigen –, dass sie in der Praxis kaum jemandem helfen wird. Das wurde in der Anhörung am Montag unmissverständlich deutlich.

Aber schauen wir uns das mal genauer an. § 22 Aufenthaltsgesetz, den Sie dafür heranziehen wollen, verlangt ein ganz besonders herausragendes Einzelschicksal. Das haben Sie in Ihrer eigenen Protokollerklärung im Ausschuss auch noch mal ausdrücklich betont. Aber was bedeutet das in der Praxis? Die betroffenen Personen haben kein Einzelschicksal. Sie haben ein kollektives Schicksal. Sie sind seit Jahren von ihren engsten Angehörigen getrennt. Und das müssen Sie anerkennen, Herr Dobrindt.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dobrindt, wenn Sie sich einmal mit der Rechtslage befassen würden, statt nur Ihre Abschottungsfantasien zu verbreiten, dann wüssten Sie, dass das, was Sie hier vorhaben, menschenrechtswidrig ist. Der EGMR hat ausdrücklich klargestellt: Eine Härtefallregelung, wie Sie sie vorschlagen, genügt nicht.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Das steht im Gesetz!)

Es braucht keine Gnadenlösung für Einzelfälle, sondern eine echte individuelle Überprüfung, bei der die Interessen der Betroffenen fair abgewogen werden.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Selbst die Caritas warnt vor diesem Gesetz. Aber warum sollte man als sogenannte Christliche Union die Sorgen eines Wohlfahrtsverbands der katholischen Kirche ernst nehmen?

(Beifall bei der Linken)

Dabei wissen wir doch längst: Familie ist ein entscheidender Faktor, um in Deutschland überhaupt richtig ankommen zu können. Aber was machen Sie? Sie machen eine menschenfeindliche Abschreckungspolitik, mit der Sie genau das unmöglich machen: ein Ankommen, eine Teilhabe, ein Leben in Würde.

Statt Menschen zu helfen, verschärfen Sie ihr Leid. Statt an Lösungen zu arbeiten, liefern Sie Schlagzeilen für rechte Rhetorik. Und das Perfide daran ist: Die Einzigen, die Ihren Gesetzentwurf wirklich gut finden, sind die von ganz rechts außen. Die AfD stimmt Ihnen heute nämlich zu, und Sie nehmen das billigend in Kauf.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Die Menschen auf der Straße finden das auch gut!)

Und wenn das nicht schon zynisch genug wäre: Der von Ihnen benannte Sachverständige, Herr Thym, schämte sich in der Anhörung nicht, beim Nachzug zu Geflüchteten vom Nachzug in Sozialsysteme zu sprechen.

(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Ja, das ist die Realität! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So ist es auch!)

Sagen Sie das mal einer Mutter, die seit vier Jahren auf die Zusammenführung mit ihren Kindern wartet!

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christian Wirth [AfD]: Wer lässt denn seine Kinder im Stich? – Beatrix von Storch [AfD]: Rabenmutter!)

Und zum Schluss: Wenn die SPD auch nur einen Funken Anstand in ihren Reihen hat, dann sollten Sie diesem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen. Sie sollten ihn ablehnen und unserem Antrag zur Erleichterung des Familiennachzugs zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linken und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)