Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern vor 120 Jahren forderte der aufrechte Sozialist Georg Ledebour hier im Reichstag Gerechtigkeit für die Opfer des damals laufenden deutschen Völkermordes an den Ovaherero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Er konfrontierte Reichskanzler Bernhard von Bülow und die Öffentlichkeit mit dem Vernichtungsbefehl von General Lothar von Trotha vom 2. Oktober 1904. Darin hieß es – ich zitiere –:
"„Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.“"
Die Verbrechen des deutschen Kolonialismus umfassen Völkermorde mit Zehntausenden bis Hunderttausenden Toten, brutale Kriegsführung, Zwangsarbeit, rassistische Sonderjustiz, Ausbeutung, Land- und Kunstraub. Und sie wirken bis heute nach. Es hat bis 2021 gebraucht, bis endlich eine Bundesregierung den Mord an den Ovaherero und Nama als Genozid anerkannt hat. Jedoch hat eine Aufarbeitung der Verbrechen bisher kaum stattgefunden.
(Beifall bei der Linken)
Ja, wir sind verpflichtet, uns an die Verbrechen der NS-Terrorherrschaft zu erinnern, die Millionen von Menschen aus rassistischen und sozialrassistischen Motiven ermordet und einen verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg geführt hat. Ja, wir müssen an das Unrecht der SED-Diktatur mit dem Erschießen von Republikflüchtigen und den Aktenbergen der Stasi erinnern. Aber Forschung und Gedenkstätten sind sich einig, dass es überfällig ist, auch die Kolonialverbrechen des Kaiserreichs als dritte Säule der Erinnerungskultur in die Gedenkstättenkonzeption aufzunehmen.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In dem jetzt vorgelegten und auch von der SPD mitgetragenen Papier von Staatsminister Weimer, der sich im Übrigen in seinen Büchern regelmäßig abfällig zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus geäußert hat, taucht dieser mit keinem Wort mehr auf, ganz so, als habe er nicht stattgefunden. Weimer hat dies damit gerechtfertigt, dass es bei uns bislang keine Kolonialgedenkstätten gibt. Das ist hanebüchen. Diese müssen natürlich geschaffen werden; denn Orte dafür gibt es genug, zum Beispiel dort, wo die Verbrechen geplant, oder dort, wo die Kolonialtruppen verschifft worden sind.
Wer die Kolonialgeschichte aus der Gedenkstättenkonzeption ausblendet, hat keine Ahnung von der deutschen Gegenwartsgesellschaft oder will, wie die AfD, zurück zu einer völkischen Realität der deutschen Gesellschaft.
(Pascal Reddig [CDU/CSU]: Wie viel haben sie heute eigentlich schon zur SED-Herrschaft gesagt?)
Die Rechtsaußen versuchen seit vielen Jahren, mit der Propagierung einer angeblich positiven Bilanz des deutschen Kolonialismus die Aufarbeitung zu verhindern. Ihr alter und neuer Schlachtruf „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ darf kein Gehör mehr finden.
(Beifall bei der Linken – Johannes Volkmann [CDU/CSU]: Gilt das auch für die DDR-Afrika-Politik?)
Deshalb, Herr Weimer: Korrigieren Sie das Konzept! Nehmen Sie die Verantwortung wahr! Verankern Sie den Kolonialismus als dritte Säule, und zwar, ohne finanzielle Abstriche bei den anderen vorzunehmen – im Gegenteil!
Denn das möchte ich auch hier noch mal klar sagen: Zahlreiche bestehende Gedenk- und Erinnerungsorte sind chronisch unterfinanziert, überlastet und in ihrer Substanz gefährdet. Es besteht Handlungsbedarf. Die oftmals befristet beschäftigten Mitarbeiter/-innen leisten trotzdem unter schwierigen Bedingungen unverzichtbare Bildungs-, Forschungs- und Vermittlungsarbeit, und dafür gilt ihnen hier Dank.
Vielen Dank.
(Beifall bei der Linken)
