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Foto: Rico Prauss

Rede von Dietmar Bartsch am 25.11.2025

Rede von Dietmar Bartsch,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gut 200 Tage ist die Bundesregierung jetzt im Amt. Wenn ich mich recht entsinne, ist Friedrich Merz auch Kanzler geworden, weil die Ampel zu viel gestritten und zu wenig geliefert hat. Und jetzt, in den ersten 200 Tagen, haben sie alle zentralen Wahlversprechen über Bord geworfen und verletzen permanent ihren eigenen Koalitionsvertrag. Zu Deutschlandticket, Überstunden – sie sollten steuerfrei sein – und Stromsteuer wäre ganz viel zu sagen. Friedrich Merz ist ein Bundeskanzler der Nebelkerzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken)

Diese Bundesregierung streitet schlimmer als die Ampel, miteinander und untereinander. Wer nicht einmal den eigenen Laden führen kann, der kann erst recht kein Land führen.

Meine Damen und Herren, diese Koalition löst kein Problem, sie ist ein Problem für dieses Land.

(Beifall bei der Linken)

Fast drei Viertel der Bürgerinnen und Bürger sind unzufrieden. Und was hat der Kanzler erzählt? Im Sommer sollten die Menschen spüren, dass es aufwärtsgeht. Jetzt haben wir Dezember. Welchen Sommer hat er eigentlich gemeint? Ihrem Amtsvorgänger Herrn Scholz haben Sie immer vorgeworfen, er sei ein „Klempner der Macht“. Sie selbst zeigen nach 200 Tagen, lieber Herr Merz – auch wenn Sie nicht da sind –: Ihnen fehlt selbst das Werkzeug zum Klempnern. Ihre Fähigkeiten passen auf einen politischen Bierdeckel, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken)

Sie haben den Menschen noch Tage vor der Wahl gesagt: keine neuen Schulden. Dieses nicht erfüllte Versprechen ist ein Mahnmal politischer Selbstüberschätzung, meine Damen und Herren. Dabei sind Schulden überhaupt nicht das Kernproblem. Ich selbst, meine Fraktion, meine Partei haben immer gesagt: Die Schuldenbremse ist falsch. Im Übrigen brauchen wir jetzt eine echte Reform der Schuldenbremse, damit das Land nicht weiter verfällt und die Wirtschaft endlich wieder wächst. Aber Sie verkünden nur Überschriften. Sie veranstalten lieber einen gigantischen Verschiebebahnhof. Laut Wirtschaftsweisen ist weniger als die Hälfte des Sondervermögens für Infrastruktur und Klimaneutralität überhaupt zusätzliches Geld, der Rest ist Etikettenschwindel, und zwar auf Kosten von Bildung, von Wohnen, von Pflege, von Gesundheit, von digitaler Zukunft.

Meine Damen und Herren, nach zwei Jahren Stillstand erwarten Sie jetzt – Herr Middelberg hat das noch stolz verkündet – 0,9 Prozent bzw. 1,3 Prozent Wachstum im folgenden Jahr. Die Weltwirtschaft wächst um 3 Prozent, meine Damen und Herren. Miniwachstum, Megaausgaben – Ihre Prioritäten sind schlicht falsch gesetzt.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Das Grundproblem ist: Panzer ersetzen keine wirtschaftspolitische Strategie. Und selbst das prognostizierte Wirtschaftswachstum verdanken wir nicht Ihnen, sondern dem Zufall, dass im nächsten Jahr mehr Feiertage auf Wochenenden fallen. Nicht Sie arbeiten effektiv für Deutschland, sondern die Beschäftigten dieses Landes.

(Beifall bei der Linken)

Sie nehmen Rekordschulden in Höhe von 182 Milliarden Euro auf, aber im Alltag der Menschen ändert sich nichts zum Besseren. Das ist ein politischer Offenbarungseid, meine Damen und Herren. Allein in Nordrhein-Westfalen können von 396 Städten und Gemeinden nur noch 10 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Was Sie liefern, ist keine Politik fürs Land, sondern Klientelpolitik für die Lautesten.

Ich will das Beispiel von Herrn Middelberg aufnehmen: Luftverkehrsteuer. Sie senken die Luftverkehrsteuer ohne jede Garantie, dass die Familienurlaube dann günstiger werden. Am Ende zahlen die Steuerzahler die Dividenden der Lufthansa-Aktionäre. So geht man nicht mit öffentlichem Geld um. Sie machen alle Sparbemühungen der Vorgängerregierung wieder rückgängig. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken)

Einen Punkt will ich unbedingt ansprechen. Teile der Union scheinen von einem sehr seltsamen Virus befallen zu sein, nämlich dem Reflex, dass ältere Menschen zur Belastung erklärt werden.

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Beleidigen Sie mich nicht!)

Seit Wochen führen Sie eine unwürdige Rentendebatte, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken)

48 Prozent Rentenniveau über 2031 hinaus sind der Union zu hoch? Ich will daran erinnern, dass die Arbeitsministerin zu Beginn der Legislaturperiode richtigerweise darüber diskutieren wollte, Selbstständige und Beamte in die gesetzliche Rente zu holen.

Was ist das für ein moralischer Absturz, meine Damen und Herren! Das deutsche Rentenniveau liegt rund 10 Prozentpunkte unter dem EU-Schnitt – das ist die Wahrheit –, und das, obwohl laut OECD die Deutschen europaweit mit am längsten arbeiten. Die Junge Union will ein Rentenniveau nach 2031 von unter 48 Prozent zulassen. Mit Verlaub, das ist eher eine irre Union als eine Junge Union, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken)

Zumal – ich will auch das festhalten – die Ausgaben des Bundes für die Rente im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt heute niedriger sind als vor 10 oder vor 20 Jahren. Das Rentenniveau sollte nach unserer Auffassung steigen.

(Beifall bei der Linken)

Die Gewerkschaften und viele andere fordern 53 Prozent. Wir brauchen keine neue Flaschensammlergeneration, sondern eine Rentenversicherung, in die endlich alle einzahlen. Ich habe schon vor zehn Jahren hier von diesem Pult aus gefordert, dass alle Bundestagsabgeordneten sowie Beamte und Selbstständige in die Rentenversicherung einzahlen. Warum wird das denn nicht gemacht? Das ist ein Gebot der Fairness und der ökonomischen Vernunft, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken)

Ihr Haushalt öffnet die Einflugschneise für neue Kürzungen bei Rente und bei Gesundheit. Die einzige Priorität, die Sie haben, ist Rüstung. Bei humanitärer Hilfe, bei Krisenprävention, bei den Ressorts von Jo Wadephul und Reem Alabali Radovan wird wirklich radikal gekürzt. Die Bundeswehr wird allerdings – „Whatever it takes“ – mit Geld übergossen. Das kostet zu viel – finanziell und politisch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken)

Ich nenne mal als Beispiele Großbritannien und Frankreich. Die geben rund 65 Milliarden Euro für Verteidigung aus, ohne Sondervermögen, ohne Wehrpflicht. Und dort jammert überraschenderweise niemand. Dass man sich gar nicht leisten könne, das eigene Land zu verteidigen, sagt dort niemand. 108 Milliarden Euro planen Sie für die Bundeswehr; bis zu 160 Milliarden sollen es bis 2029 werden. Warum schafft Boris Pistorius nicht das, was unsere Nachbarn schaffen, meine Damen und Herren? „Whatever it takes“ gilt nur für Waffen, aber nicht für bezahlbares Wohnen, für gute Gesundheitsversorgung, –

– für eine stabile Rente oder bezahlbare Energie und leider auch nicht für Diplomatie.

Ich will nur noch eins sagen.

(Zuruf des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU])

Meine Zeit ist nie abgelaufen, Frau Präsidentin.

Danke schön.

(Beifall bei der Linken)