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Warum Pflege mehr verdient als Flickwerk

Rede von Evelyn Schötz,

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über die Erweiterung der Befugnisse in der Pflege. Ja, es ist ein guter Schritt – ein kleiner, eher ein Baby Step, aber immerhin ein Schritt hin zu einer besseren Versorgungslandschaft. Ich sage „immerhin“; denn wenn man sonst nur rückwärts geht, wirkt vorwärts ja schon wie eine Revolution.

(Beifall bei der Linken)

Aus meiner eigenen Zeit in der Pflege weiß ich, wie unfassbar viel Kraft, Zeit und Nerven das ärztliche Delegationsprinzip kostet.

(Dr. Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Ich wollte einmal eine Wundauflage wechseln, die ich selbst ausgesucht, bestellt und bereitgelegt hatte. Der verständigte Arzt kam nach fünf Stunden, unterschrieb und meinte nur: Ja, ja, machen Sie nur. – Aber ärztliche Ordnung muss sein, sonst wedelt ja plötzlich der Hund mit dem Schwanz – ich meine, die Pflegekraft mit der Verantwortung –, und das ginge ja wohl wirklich nicht.

Dabei sind Pflegekräfte längst Profis: kommunikationsstark, kompetent, multitaskingfähiger als jedes Betriebssystem und meistens auch noch besser gelaunt.

(Heiterkeit des Abg. Ates Gürpinar [Die Linke])

Warum also nicht anerkennen, was sie können? Das ist fast wie Vertrauen. Und das wäre doch mal was Neues in der deutschen Gesundheitsbürokratie.

Aber natürlich bleibt das Gesetz hinter den Erwartungen zurück. Drei Teilbereiche werden genannt: Demenz, Diabetes, Wundmanagement. – Wo sind die konkreten Festlegungen für Schmerztherapie, für Maßnahmen bei Mangelernährung, Flüssigkeitsmangel, Luftnot? Das alles sind Dinge, die Pflegekräfte täglich sehen, bewerten und behandeln, weil sonst keiner da ist, aber rechtlich eine Grauzone. Ja, das sollen sich dann andere ausdenken, am besten in irgendeinem Gremium, in dem man Nachbesserung buchstabiert mit „auf irgendwann verschieben“.

Warum eigentlich konkreter werden, wenn man auch ein unverbindliches „mal sehen“ verabschieden kann? Niemand muss sich streiten oder Verantwortung übernehmen oder Lobbyärger kriegen. Win-win für die Regierung! Für die Pflege? Naja.

Was fehlt, ist Mut, Mut, zu sagen: Pflegekräfte können mehr, sie dürfen mehr, sie sollen mehr. Dieser Entwurf ist Stückwerk – ein bisschen wie ein Verbandwechsel mit Tesafilm: Es hält nicht, und keiner fühlt sich danach besser.

Wenn wir weitermachen wie bisher, bleibt unser Gesundheitssystem eine ewige Baustelle mit vielen Profis, aber keiner Augenhöhe. Und wem nützt das? Den Patientinnen und Patienten wohl kaum, dem System sicher nicht, aber vielleicht denjenigen, die sich in den Zwischenräumen der Verantwortung ganz gut eingerichtet haben. Deshalb sage ich: Schluss mit der Flickschusterei! Pflege ist kein Anhang der Medizin. Pflege ist ein eigenständiger Beruf mit eigenen Kompetenzen. Und der braucht ein politisches Gesamtkonzept, keine Teilzeitreform.

Schauen wir noch kurz auf die psychische Gesundheit! Die Versorgungslage ist dramatisch. Wer Hilfe sucht, findet Wartezeiten, Bürokratie und ganz selten mal Glück.

Dieses Gesetz passt die Finanzierung für Weiterbildungen kosmetisch an – ein bisschen Rouge auf ein gebrochenes Bein. Die eigentlichen Probleme bleiben unangetastet. Die hohen Kosten für Theorie, Supervision, Selbsterfahrung in der Psychotherapieausbildung bleiben.

Der Fachkräftemangel wird kommen, aber wenigstens mit Ankündigung. So schlittern wir in die nächste Versorgungskrise. Chance verpasst! Wie schade!

(Beifall bei der Linken)