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Antifaschismus gehört in die Verfassung

von Ferat Koçak,

Herr Präsident! Abgeordnete! Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Kaloyan Velkov, Ferhat Unvar. Neun Namen. Neun Leben. Neun Menschen, die am 19. Februar 2020 in Hanau ermordet wurden aus einem einzigen Grund: weil sie nicht in das rassistische Weltbild eines Täters passten, weil Politik und Polizei sie nicht geschützt haben, weil diese neun Menschen nicht ins Stadtbild passten, weil Faschisten die Drecksarbeit übernommen haben.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Neun Geschichten, von denen noch so viele Seiten hätten erzählt werden müssen.

Würde Ferhat Unvar noch leben, wäre er vielleicht heute Lehrer, vielleicht säße er mit einer Schulklasse oben auf der Tribüne: neugierig, kritisch, hungrig aufs Leben. Der Mann, der ihn ermordete, hörte Tage zuvor Reden von Björn Höcke –

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Stephan Brandner [AfD]: Was Sie alles wissen!)

voll Hass, Verachtung, voll des Giftes, das irgendwann zu Taten wird.

Hanau ist kein Einzelfall. Hanau ist kein Zufall. Hanau ist das Ergebnis von rechtem Hass, von faschistischer Ideologie und vom Wegsehen der Politik.

(Beifall bei der Linken und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber Hanau ist auch eine Geschichte von Mut, von Liebe, von unerschütterlicher Hoffnung, von Müttern wie Serpil Unvar, die trotz unermesslichem Schmerz weiterkämpft für Aufklärung, für Erinnerung, für Gerechtigkeit. Serpil hasst nicht. Sie ist wütend, und diese Wut ist Motor für Veränderung, für Gerechtigkeit. Ich küsse ihr Herz.

Auch Melek Bektaş kämpft. Ihr Sohn Burak wurde 2012 in Neukölln ermordet, mutmaßlich von einem Neonazi. Bis heute: zahlreiche Pannen der Ermittlungsbehörden und keine Ermittlungserfolge. Auch Melek gibt nicht auf. Ich küsse ihr Herz.

Nein.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie küssen unser Herz, oder?)

Serpil und Melek, zwei Mütter von vielen. Ihre Tränen sind das Blut der Seelen von Hunderten, die durch den deutschen Faschismus nach 1945 ermordet wurden.

Der Neukölln-Komplex: eine jahrelange rechte Terrorserie mit zahlreichen Brandanschlägen, Morddrohungen bis hin zu zwei ermordeten Menschen. Auch ich war betroffen. 2018 haben meine Eltern und ich einen Brandanschlag überlebt.

(Zuruf von der AfD)

Fünf Minuten später, und wir hätten es nicht lebend aus dem Haus geschafft. Die Polizei wusste, dass Neonazis mich beobachten, aber gewarnt hat mich niemand. Dass ich heute hier stehe, verdanke ich Antifaschistinnen und Antifaschisten, die mir und meiner Familie geholfen haben, wieder auf die Beine zu kommen, zu verstehen, was passiert ist, und gemeinsam für Gerechtigkeit zu kämpfen.

(Beifall bei der Linken und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nach Jahren des Kampfes und ständiger Retraumatisierung wurden im Dezember endlich zwei Täter verurteilt, einer von ihnen im Vorstand der Neuköllner AfD. Diese Partei ist eine Gefahr für Menschen, die so aussehen wie ich, für alle, die nicht in ihr Weltbild passen, ins Stadtbild passen, für alle, die sich für unsere Demokratie einsetzen. Ich denke an den CDU-Politiker Walter Lübcke. Auch sein Mörder hatte enge Verbindungen zur AfD.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)

Sie von der AfD sind der politische Arm des Faschismus auf den Straßen.

(Beifall bei der Linken, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie hetzen, Sie spalten, Sie vergiften das Klima in diesem Land. Ihr Hass – in Ihren Worten – wird zu Taten umgesetzt von gewaltbereiten Neonazis. Neun von zehn politischen Straftaten 2024 kommen aus dem rechten Spektrum.

(Enrico Komning [AfD]: Es geht um das Verbot der Antifa!)

Mit diesem Antrag eifert die AfD genauso wie ihre rechten Kameraden in den Niederlanden und in Ungarn dem Beispiel Trumps nach. Sie wollen Antifaschismus unter Strafe stellen.

(Zuruf von der AfD: Terroristen unter Strafe stellen!)

Das zeigt: Nicht mehr Faschisten gelten als Gefahr, sondern diejenigen, die sich Ihnen in den Weg stellen.

Wir wissen aus der Geschichte: Sie spalten uns Demokraten. Sie kriminalisieren uns Schritt für Schritt, bis nichts mehr bleibt, was widerspricht. Sie fangen links an und arbeiten sich durch bis zu Ihnen, Christdemokraten, bis am Ende alle verschwunden sind, die noch den Mut haben, zu widersprechen. Oder, um es mit den Worten von Pfarrer Niemöller zu sagen, einem Mann, der anfangs mit der NSDAP sympathisierte und später selbst im Konzentrationslager saß:

"„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie die Sozialdemokraten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“"

Antifa steht für Antifaschismus – das heißt: gegen Faschismus. Antifaschismus ist kein Verbrechen, er ist der Grundpfeiler unserer Demokratie – aus der Erfahrung des deutschen Faschismus.

(Beifall bei der Linken, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Antifaschismus gehört nicht verboten. Antifaschismus gehört in die Verfassung!

Antifas wie „widersetzen“, „Studis gegen Rechts“, „Omas gegen Rechts“ oder die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, gegründet von jüdischen Überlebenden des Holocaust, leisten heute unverzichtbare antifaschistische Arbeit – in einer Zeit, in der der deutsche Faschismus erneut auf den Straßen Menschen ermordet und mit der AfD wieder in den Parlamenten sitzt. Mit den Worten der jüdischen Antifaschistin und Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano: „Wir können froh sein, dass wir eine Antifa haben.“ Die Antifa steht dafür, dass sich Auschwitz nie wiederholt, dass Menschen sich wehren, wenn Hass und Rassismus wieder laut werden.

(Beifall bei der Linken und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und mit den Worten von Heidi Reichinnek: An alle „Menschen da draußen: Gebt nicht auf [...] leistet Widerstand gegen den Faschismus im Land. Auf die Barrikaden!“

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Eine halbe Stunde Redezeit?)

Gemeinsam mit Zehntausenden, mit Omas, mit Eltern, mit Kindern, mit einer breiten Zivilgesellschaft werden wir uns am 29. November in Gießen der Neugründung der AfD-Jugend entschlossen entgegenstellen.

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Es geht um uns alle: um unsere Familien, um unsere Freunde, um unsere Kinder, um unsere Zukunft.

Ich fordere Sie alle auf, Abgeordnete, Gäste und Zuhörer/-innen, die gegen Faschismus sind,

(Zurufe von der AfD)

schließen sie sich dem Bündnis „widersetzen“ am 29. November in Gießen an. Wir können Melek und Serpil ihre Söhne nicht zurückbringen. Aber wir können dafür sorgen, dass sie nicht umsonst gestorben sind.

Für eine Gesellschaft, in der wir alle frei und sicher mit unseren Familien leben können! Geschichte wird nicht geschrieben, –

(Zuruf von der AfD: Aufhören!)

– Geschichte wird gemacht! Nie wieder Faschismus! Alerta, alerta, antifascista!

(Beifall bei der Linken – Zuruf von der AfD: Hetzer! Hetzer! – Zuruf von der AfD, an die CDU/CSU gewandt: Mit denen macht ihr zusammen Politik! Also wirklich!)