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Die Koalition hat keinen Plan für ein bezahlbares Leben

Rede von Heidi Reichinnek,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Ich muss wirklich sagen: Chapeau! Was Sie allein in den Wochen seit der Wahl an Chaos gestiftet haben – alter Bundestag, neuer Bundestag –, das lässt sogar die Ampel vor Neid erblassen. Und weder bei noch seit Ihrem Amtsantritt wurde es wirklich besser. Erst hieß es, Sie und Ihr Innenminister hätten den Notstand erklärt. Dann wurde das sofort dementiert. Danach wurde aber klar: Ja, Sie setzen Europarecht außer Kraft. Ob Sie das „Notlage“ nennen oder nicht, Sie brauchen dafür eine Begründung. Einfach zu sagen: „Ja, sorry, wir haben halt einfach die Kommunen seit Jahrzehnten ausbluten lassen und die sind deswegen überlastet“, zählt nicht,

(Beifall bei der Linken)

vor allem weil die Zahl der Asylanträge in den vergangenen zwei Jahren massiv zurückgegangen ist. Von welcher Notlage reden wir hier eigentlich? Trotzdem ordnen Sie Zurückweisungen an den Grenzen an. Und dabei wissen Sie ganz genau, dass dieses Vorgehen – früher oder später – von Gerichten gestoppt wird. Aber ich sage es Ihnen hier einmal ganz deutlich: Sie schleifen damit das Asylrecht, eine wichtige Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus. Dafür sollten Sie sich wirklich schämen.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wann begreifen Sie endlich, dass wir Fluchtursachen statt Geflüchtete bekämpfen müssen und dass wir die Kommunen vernünftig ausstatten müssen? Jedes Jahr bekommen die Kommunen neue Aufgaben, aber kein Geld. In den kommunalen Parlamenten sitzen Menschen ehrenamtlich und müssen das Elend, das Sie ihnen vor die Füße werfen, verwalten. Aus meiner Zeit als Kommunalpolitikerin weiß ich das noch sehr gut. Fragen Sie doch einfach mal all Ihre Leute, wie es sich anfühlt, wenn wieder eine Buslinie eingestellt werden muss, das Schwimmbad noch teurer wird, die Bibliothek schließt. Genau deswegen brauchen wir so schnell wie möglich eine Reform der Schuldenbremse.

(Beifall bei der Linken)

Wann gibt es denn jetzt diese Expert/-innenkommission?

Einen Zeitplan gibt es wahrscheinlich ebenso wenig wie konkrete Unterstützung für die Menschen in diesem Land. Wie sollen Sie als Millionär aber auch wissen, was die Menschen beschäftigt, ganz abgehoben vom Alltag der Millionen!

(Beifall bei der Linken)

Ich weiß, es ist nicht einfach. Es ist auch für Sie nicht einfach. Aber keine Sorge, dafür gibt es ja Die Linke im Bundestag. Wir waren im Wahlkampf nämlich an über 600 000 Haustüren und sind weiter unterwegs. Und aus all diesen Gesprächen kann ich Ihnen sagen: Wir haben ein Mietenproblem in diesem Land.

(Beifall bei der Linken)

Sie wissen doch alle selbst, wie krass die Mieten in den letzten Jahren erhöht wurden. Ja, Mieten steigen nicht einfach, die werden erhöht. Und hinter all diesen Mieterhöhungen stecken Schicksale: der Rentner, der nach dem Tod seiner Frau auch noch seinen sozialen Rückhalt verliert, weil er aus der Stadt ziehen muss; die Alleinerziehende, die schon zwei Jobs jongliert und trotzdem ihren Kindern sagen muss, dass sie ihre Freunde nicht mehr sehen können, weil ein Umzug ansteht; der Azubi, der Krankenpfleger und die Kassiererin, die am Ende des Monats kein Essen mehr im Kühlschrank haben, damit sie sich das Dach über dem Kopf noch leisten können. Das ist doch unerträglich. Und da muss doch endlich was passieren.

(Beifall bei der Linken)

Damit meine ich natürlich nicht die Verlängerung der zahnlosen Mietpreisbremse; denn auch sie hat nicht verhindert, dass immer mehr Menschen aus ihren Wohnungen geworfen werden. Das waren übrigens 2023 30 000 Personen. Wir fragen ja nach, damit diese Schicksale nicht komplett im Dunkeln bleiben. Es braucht einen Mietendeckel. Und wir werden das immer, immer und immer wieder fordern und auch dafür sorgen, dass er kommt.

(Beifall bei der Linken)

Wir brauchen einen Mietendeckel und nicht nur „bauen, bauen, bauen“, sondern Investitionen in sozialen Wohnraum. Wohnen muss wieder in öffentliche Hand. Und es darf keine Rendite mit der Miete geben.

(Beifall bei der Linken)

Ich weiß, da komme ich bei Ihnen nicht weiter, liebe Union. Aber Sie spielen sich ja gerne als Law-and-Order-Partei auf. Dann sorgen Sie doch einfach mal gemeinsam mit uns dafür, dass geltendes Recht wenigstens umgesetzt wird. Der Mietwucherparagraf zum Beispiel muss dringend verschärft werden. Das sagen auch die unionsgeführten Länder NRW und Bayern. Diese haben im Bundesrat eine Initiative angestoßen im Geiste der Zusammenarbeit. Keine Sorge, wir wollen nicht mit Ihnen zusammenarbeiten, aber wir wollen was für die Menschen bewegen, und als Serviceopposition – wir wissen ja, dass Sie gerade eine ganze Menge zu tun haben – werden wir den Gesetzentwurf, den Ihre Bundesländer vorgelegt haben, in der nächsten Woche einbringen. Sie müssen nur noch zustimmen. Gern geschehen!

(Beifall bei der Linken)

Aber bis Sie endlich mal zu Potte kommen, helfen wir als Linksfraktion natürlich gern konkret. In mittlerweile neun Städten können Menschen mit unserem Mietwucherrechner schnell und einfach prüfen, ob Sie zu viel Miete zahlen. Bisher sind übrigens 4 400 Meldungen an die Wohnungsämter übermittelt worden. Zusammengenommen zahlen die Betroffenen pro Monat 1 Million Euro zu viel Miete. 1 Million Euro – das nehmen wir nicht hin!

(Beifall bei der Linken)

Auch wenn Sie das gerade nicht so sehr zu interessieren scheint – das ist schon okay –: Die Kommunen, denen wir den Rechner anbieten, werden ebenfalls aktiv. Sie gehen diesen Meldungen nach und machen eigene Meldestellen auf. Sie haben auch ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die Fälle einfach verfolgen zu können. Sie merken also, Herr Merz: Links ist nicht vorbei, links wirkt.

(Beifall bei der Linken)

Aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: In Ihrer 55-minütigen Rede, Herr Merz – da hat man die von Herrn Scholz fast schon vermisst, weil sie so spritzig war –,

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Linken)

gab es kein einziges Wort zum Thema Kinderarmut. Keines, nicht einmal, kein Gedanke! Im Koalitionsvertrag kommt das Wort genau einmal vor. Laut diesem wollen Sie prüfen und einen Bericht vorlegen und ein paar Euro für Teilhabe ausgeben. Das ist ja so richtig nett von Ihnen. Aber jedes fünfte Kind lebt in Armut, allen voran Kinder von Alleinerziehenden. Und alles, was Ihnen einfällt, ist: Ja, wir prüfen das mal. – Was wir brauchen, ist eine echte Kindergrundsicherung. So kommen wir hier voran.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich weiß, darüber wollen Sie nicht mal reden. Also reden wir doch wenigstens bitte über das absolute Minimum, nämlich dass kein Kind hungrig lernen muss. Wir brauchen kostenloses Mittagessen in Kitas und Schulen,

(Beifall bei der Linken)

wie es auch der Bürgerrat in der letzten Wahlperiode gefordert hat. Den können Sie doch nicht einfach die ganze Zeit ignorieren. Und kommen Sie mir bitte nicht mit „Ländersache“; denn wer ein Problem lösen will, der findet Wege. Wer nicht, der findet Ausreden. Also weg vom Kooperationsverbot, hin zum Kooperationsgebot!

(Beifall bei der Linken)

Es gibt ja noch eine mysteriöse Gruppe in dieser Gesellschaft – die eine oder andere haben Sie hier schon gesehen –: Frauen. Auch dazu habe ich nicht wirklich was gehört. Deswegen ein paar Schlaglichter für Sie: Um gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu erreichen, wollen Sie erstens mal wieder eine Kommission einsetzen, also das Thema aussitzen. Ich kann das gerne für Sie abkürzen: höherer Mindestlohn, mehr Tarifbindung, Minijobs versicherungspflichtig machen, Ehegattensplitting abschaffen. So geht das!

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und natürlich brauchen wir eine bessere Unterstützung für Mütter.

Damit komme ich zu zweitens: Kita und Kindertagespflege stärken, Elterngeld gerade für den unteren Einkommensbereich erhöhen, bezahlte Freistellung für den zweiten Elternteil. Von Ihnen gibt es ein paar nette Worte und Finanzierungsvorbehalte. Für Rüstung werden Hunderte Milliarden Euro bewegt, für Frauen gibt es ein freundliches Dankeschön. Klasse, aber wir wollen mehr.

(Beifall bei der Linken – Jens Spahn [CDU/CSU]: Mütterrente!)

Drittens: das Gewalthilfegesetz. Das kam noch in der letzten Wahlperiode. Aber, liebe Union, Sie haben dafür gesorgt, dass Frauen mit unsicherem Aufenthaltsstatus und Transfrauen von diesem Schutz ausgenommen sind. Das war Ihre Bedingung, das wollten Sie da noch reinverhandeln: Menschen auszugrenzen, Menschen, die besonderen Schutz brauchen.

Queerfeindliche Straftaten haben 2023 um 50 Prozent zugenommen. Das ist ein Skandal.

(Maximilian Kneller [AfD]: Wer war das denn?)

Es gibt eine rechte Hetzkampagne nach der anderen gegen diese Menschen. Und Sie wollen die ausgrenzen? Was ist eigentlich los mit Ihnen?

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Victoria Broßart [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Jeden Tag werden 140 Mädchen und Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt. Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist.

(Maximilian Kneller [AfD]: Von wem?)

Wir brauchen Prävention, Beratung, Täterarbeit und Weiterbildung bei Polizei und Justiz, keine Ausreden. Ich sage Ihnen: Nicht eine mehr!

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Viertens, zum Abschluss: das Thema Frauengesundheit. Das war der Union in der Opposition wirklich wichtig. Das fand ich richtig gut. Endometriose und Wechseljahre haben es immerhin in den Koalitionsvertrag geschafft, das Lipödem leider nicht. Kostenlose Verhütung wird nur geprüft. Ich übersetze: Wir reden darüber und machen es nicht. – Und Verhütung für Männer? Das war Ihnen dann wohl schon zu fortschrittlich.

Herr Merz, ich weiß, Sie wollten nicht, dass Schwangerschaftsabbrüche ein Wahlkampfthema werden. Aber ich verspreche Ihnen: Wir werden dafür sorgen, dass Sie sich diesem Thema nicht entziehen können. Ich sage es ganz deutlich: § 218 muss weg.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Rasha Nasr [SPD])

Ich komme zum Schluss. – Es bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sagen: Wir werden hier in den nächsten vier Jahren richtig viel Spaß miteinander haben.

(Beifall bei der Linken)