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Die Bundesregierung wälzt ihre Aufgaben an die Jugendarbeit ab

Rede von Heidi Reichinnek,

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erinnern uns kurz: Seit 2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Ein wichtiger und großer Schritt: Jedes Kind hat das Recht auf frühkindliche Bildung und pädagogische Betreuung. Heute, zwölf Jahre später, fehlen uns immer noch 210 000 Plätze allein in Westdeutschland für Kinder unter drei. Außerdem fehlen 125 000 Fachkräfte, Krankenstände sind exorbitant hoch, die Familien sind verzweifelt, die Kinder fallen ganz hinten runter. Also: viel versprochen, wenig gehalten.

(Dr. Konrad Körner [CDU/CSU]: Klingt ja wie bei der AfD!)

Und genau das Gleiche droht uns jetzt beim Ganztag. Der Rechtsanspruch, der ab August nächsten Jahres greifen soll, ist absolut richtig; aber auch hier fehlen Fachkräfte, Räume und – ganz generell – kostenfreie und damit für alle zugängliche Verpflegung. Aber genau dieses Problem zu lösen, muss doch unser Ziel sein.

(Beifall bei der Linken)

Die Kommunen versuchen verzweifelt, umzusetzen, womit sich diverse Regierungsparteien hier schmücken, und scheitern an ihren Haushalten, in denen sich die Schulden türmen, weil der Bund die Kommunen mit immer mehr Aufgaben überhäuft, aber keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stellt. Das geht so nicht weiter. Anstatt Kommunen zu stärken, die Fachkräfteausbildung zu fördern und Qualifizierung zu unterstützen, geben Sie den Druck einfach weiter – an die Jugendarbeit. Sie setzen darauf, dass die Beschäftigten das schon wuppen werden, weil sie das halt immer tun. Sie sparen einmal mehr auf dem Rücken derer, die den Laden am Laufen halten. Hören Sie damit doch endlich auf, und machen Sie stattdessen endlich vernünftige Politik!

(Beifall bei der Linken)

Natürlich ist es absolut richtig, dass Ganztagsangebote in Kooperation mit Sportvereinen, mit Musikschulen oder Jugendverbänden vorhanden sind. Aber wenn Sie diesen wunderbaren Satz sagen: „In den Schulferien gilt der Anspruch auch als erfüllt, sofern Angebote der Jugendarbeit nach § 11 eines öffentlichen Trägers oder eines anerkannten freien Trägers der Jugendhilfe zur Verfügung gestellt werden“, dann heißt das nichts anderes als: Wir haben zwar keine Erzieher/-innen für euch, aber geht ruhig mal in den Jugendtreff nebenan. Da sitzt zwar auch nur eine Mitarbeiterin in Teilzeit, vielleicht noch mit einem Praktikanten; aber die machen das dann schon irgendwie.

Die Jugendarbeit ist sowieso komplett überlastet. Wie stellen Sie sich das genau vor? Dieses Gesetz ist ein Burn-out-Beschleuniger. Oder habe ich vielleicht irgendwo übersehen, dass Sie die Jugendarbeit stärken wollen? Ich fürchte nicht. In Ihrem Haushalt ist das auf jeden Fall nicht der Fall, und unsere Änderungsanträge, die genau dafür gesorgt hätten, haben Sie natürlich abgelehnt.

Dabei ist der Ganztag so ein wichtiges Instrument. Ich habe in diesem Bereich übrigens selbst mal eine Weile gearbeitet, unter anderem während Corona. Deswegen liegt er mir auch so am Herzen. Ich habe gesehen, wie wichtig diese Möglichkeiten für Kinder sind, wie unfassbar wertvoll diese Arbeit ist. Aber das funktioniert eben nur mit einer guten Ausstattung. Und auch wenn die AfD davor totale Panik hat, wie wir gerade gehört haben: Da geht es auch um ein solidarisches Miteinander, und das soll auch so sein.

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Grundsätzlich ist es ja keine schlechte Idee, die Jugendhilfe mit einzubeziehen, aber eben nicht als Lückenbüßer für schlechte Planung. Vor allem muss sie dazu auch mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet sein, zum Beispiel für die Gewinnung und Qualifizierung von Fachpersonal. Die gibt es von Ihnen aber eben nicht. Sie sagen halt: Fachkräfte gibt es nicht. Was soll ich machen? Ist dann so. – Das ist für eine Regierung wirklich ein etwas geringer Anspruch. Vor allem da, wo es schon jetzt kaum Angebote gibt, nämlich gerade im ländlichen Raum, ist es natürlich ein großer Witz, zu sagen: „Diese Angebote können Sie nutzen“, auch wenn es sie halt nicht gibt. Als Ersatz für Ganztag taugt das auf jeden Fall nicht. Deswegen stapelt sich jetzt schon völlig zu Recht die Kritik von Gewerkschaften, Trägern und Fachkräften.

Ich sage Ihnen zum Schluss: Sie haben jetzt die Wahl. Sie können diesen Gesetzentwurf einfach direkt in die Tonne kloppen oder die Gelegenheit nutzen, –

– endlich die offene Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit zu stärken, damit diese überhaupt eine größere Rolle im Ganztag übernehmen können, –

– ohne dass der ganze Laden direkt brennt.

Danke.

(Beifall bei der Linken)