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Rückwärtsgewandte Klientel-Politik

Rede von Ina Latendorf,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Seit dem 6. Mai ist er im Amt, und der erste Aufschlag des neuen Landwirtschaftsministers zum Thema Ernährung – wir haben es gerade gehört – lautet: mehr Fleisch in Kitas und Schulen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Das macht mir, genau wie Frau Mayer, große Sorgen. Es geht Ihnen nämlich nicht darum, Kita- und Schulverpflegung sicherzustellen, und das meiner Meinung nach am besten kostenfrei. Es schleicht sich leicht der Verdacht ein, dass Ihr Berufsstand des Metzgers hier durchschlägt. Ist das vielleicht der erste Eindruck von Klientelpolitik der Zukunft? Ich hoffe, nicht.

(Beifall bei der Linken)

Herr Minister Rainer, es gibt Studien der Verbraucherzentrale oder der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die gerade das Gegenteil empfehlen. Sie besagen, dass in Kitas und Schulen zu viel Fleisch angeboten wird und eine ausgewogene und gesunde Ernährung fehlt; da will niemand das Fleisch verbieten. Sehen Sie sich diese Studien einmal genau an! Vielleicht revidieren Sie dann Ihre Forderungen.

(Beifall bei der Linken)

Der fatale Start des Ministers ist nicht nur uns Linken aufgefallen, sondern auch der Tagespresse. Wie ich der „Süddeutschen Zeitung“ vom 9. Mai entnehme, hat der neue Agrarminister zu Missständen in der Landwirtschaft, die aufgedeckt wurden, zu öffentlich gewordenen Fehlern im System und dem Versagen der Aufsichtsbehörden nichts mitzuteilen – weder zu Tierquälerei in landwirtschaftlichen Betrieben noch zu den Umdeklarierungen von Papieren bei Tierhändlern, um über das Etikett „mehr Tierwohl“ höhere Preise zu akquirieren.

Das alles dürfte nur die Spitze des Eisberges sein. Wir fordern Aufklärung und Einschreiten und kein Stillschweigen. Ich will auch klar sagen: Es geht darum, schwarze Schafe, die den Ruf der Landwirte versauen, Entschuldigung: zerstören,

(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: „Versauen“ in der Landwirtschaftsdebatte ist okay!)

auszusortieren und dafür zu sorgen, dass diese schwarzen Schafe nicht mehr den Ruf zerstören.

(Beifall bei der Linken)

Meine Damen und Herren, der Teil des Koalitionsvertrages, der sich mit Landwirtschaft beschäftigt, ist wenig mehr als eine Aufforderung zum Weiter-so, so mein Eindruck. Es steht viel Prosa drin, ohne dass man sich mit konkreten Maßnahmen auseinandersetzt. Bei der Ernährungspolitik sind die Ambitionen kaum erkennbar.

Und zur Erinnerung – Frau Mayer hat es auch schon gesagt –: Wir hatten einen Bürgerrat zum Thema Ernährung. Dieser hat neun Empfehlungen abgegeben. Ich weiß, dass die Union die Form der direkten Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern als überflüssig angesehen hat; es scheint nicht so ihr Ding zu sein. Wir Linken hingegen werden die Forderungen nicht aus den Augen verlieren,

(Beifall bei Abgeordneten der Linken)

nämlich die Forderungen zu kostenfreier Kita- und Schulverpflegung, zur Verbesserung der Gemeinschaftsverpflegung, insbesondere auch in Krankenhäusern, zur Neudefinition von Grundnahrungsmitteln und auch zur Altersbegrenzung für den Konsum von Energydrinks.

Die Frage, ob sich Menschen gesunde Nahrungsmittel leisten können, spielt keine Rolle bei Ihnen. Weder Ernährungsarmut noch Lebensmittelpreise werden von Ihnen irgendwie adressiert. Überhaupt sind die Politikbereiche „Ernährung“, „ländlicher Raum“ und „Tierschutz“ extrem schwach aufgestellt. Hier findet aus meiner Sicht eine absolute Verdrängung von Problemlagen statt. Allein die Bezeichnung „Heimat“ reicht nicht, trotz Ihrer Ausführungen eben.

(Beifall bei der Linken)

Beim Tierschutz entwickelt man sich nicht weiter; denn bei Tieren sollen Qualzucht und Anbindehaltung weiter erlaubt bleiben. Deshalb – erlauben Sie mir diese Bemerkung – brauchen wir das Amt der oder des Tierschutzbeauftragten, um die erwähnten Missstände aufzudecken und unabhängig für das Staatsziel „Tierschutz im Grundgesetz“ einzustehen.

(Beifall bei der Linken)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wenigen Neuerungen, die wir unterstützen, sind an einer Hand abzuzählen und stehen – Überraschung! – natürlich unter Finanzierungsvorbehalt. Dazu gehört der Bürokratieabbau; hierzu gab es gerade Signale aus der EU. Dazu gehört die Förderung regionaler Wertschöpfung, ein wichtiger Beitrag zur Ernährungssouveränität. Dazu gehören höhere Mittel für Infrastrukturmaßnahmen aus der GAK.

Aber viel fehlt eben. Eine von uns schon lange geforderte Preisbeobachtungsstelle im Lebensmittelmarkt zur Unterstützung von Erzeugerinnen und Erzeugern und im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher wird gar nicht erwähnt. Außerdem hat die Koalition angekündigt, Umweltauflagen und Klimaschutz in der Landwirtschaft zurückzufahren. Der Schatten Trumps lässt grüßen! Wenn das der einzige Weg zum Bürokratieabbau ist, anstatt Verfahren zu vereinfachen und Prozesse besser zu vernetzen, dann ist das der falsche Weg.

(Beifall bei der Linken)

Und die soziale Frage existiert für Union und SPD im Agrarbereich offenkundig auch gar nicht mehr. Die Schutzstandards bei Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeitern werden ausgehöhlt;

(Bernd Schuhmann [AfD]: Stimmt nicht!)

sie dürfen nun 90 statt bisher 70 Tage sozialversicherungsfrei beschäftigt werden. Die soziale Absicherung von Landwirtinnen und Landwirten ist aus unserer Sicht insgesamt zu verbessern. Und an dieser Stelle möchte ich ausdrücklich erneut – Herr Minister, Sie haben es auch gesagt – auf die Frauen in der Landwirtschaft hinweisen, die oft immer noch – und das im 21. Jahrhundert – ohne Absicherung mitarbeiten, mit zum Teil schlimmen Folgen für ihre Altersabsicherung.

(Beifall bei der Linken)

Wir erleben insgesamt einen Abbau von Sozialstandards von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, der von der SPD hier mitgetragen wird. Und das ist für mich ein Skandal, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linken)

Für uns Linke geht es stattdessen um eine echte soziale und ökologische Agrarwende. Wir wollen faire Bedingungen für Landwirtinnen und Landwirte mit fairen Preisen für ihre Produkte. Regionale Wirtschaftskreisläufe müssen zur Normalität werden. Ökosystemleistungen müssen adäquat entlohnt werden.

Wir fordern: Die Marktmacht von Konzernen muss gebrochen werden – im Lebensmitteleinzelhandel wie im Großhandel. Die Produzenten von Lebensmitteln dürfen nicht am Gängelband der großen Vier des Einzelhandels vor sich hergetrieben werden.

(Beifall bei der Linken)

Und auch in der Milchwirtschaft steht gerade eine Elefantenhochzeit der Molkereien an, die den genossenschaftlichen Ansatz infrage stellt und voraussichtlich den Druck auf Milchbauern weiter erhöht.

Das Gelingen der Wiederherstellung der Natur, der Aufrechterhaltung der biologischen Vielfalt und der Stärkung des Tierschutzes –

– braucht politische Initiativen, brauchte Kraftanstrengungen von uns allen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linken)