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Gaza: Schluss mit der Heuchelei, Schluss mit den doppelten Standards!

Rede von Ines Schwerdtner,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kinderärztin Dr. Alaa Al-Najjar arbeitet an einem Freitag im Nasser-Krankenhaus in Chan Junis im südlichen Gazastreifen, wie jeden Tag. Nach einem Luftangriff werden neun Leichen bei ihr eingeliefert. Sie öffnet die Leichentücher und erkennt sie sofort: Es handelt sich um ihre eigenen Kinder. Nur ein Sohn von ihren zehn Kindern überlebt. Alaa Al-Najjars getötete Söhne und Töchter waren zwischen sieben Monaten und zwölf Jahre alt.

Sie alle kennen die Bilder dieses Krieges: Babys in Brutkästen ohne Strom, Eltern, die in den Trümmern nach ihren Kindern suchen, Ärztinnen und Ärzte, die mit bloßen Händen operieren. Diese Bilder brennen sich ein, und sie verlangen eine politische Antwort. Doch Sie, Herr Bundeskanzler, Herr Außenminister, Sie trauen sich nicht, eine politische Antwort zu geben; Sie machen sich mitschuldig.

(Zuruf des Abg. Max Lucks [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

607 Tage sind vergangen, seit die radikal-islamistische Hamas ihren brutalen Angriff auf Israel verübt hat. Über diesen beispiellosen Angriff und die Verschleppung von 250 Geiseln wurde seither zu Recht sehr viel gesprochen. Der Krieg, der seitdem in Gaza wütet, wird in der deutschen Öffentlichkeit jedoch regelrecht ignoriert, so wie hier in diesem Haus. Und deswegen, meine Damen und Herren, haben wir als Linke heute diese Aktuelle Stunde beantragt.

607 Tage der Zerstörung, 607 Tage voller Leid, Trauma und Elend, 607 Tage voller Kriegsverbrechen durch die israelische Armee: Die Bilanz dieses Krieges ist verheerend. Seit Kriegsbeginn wurden über 53 000 Menschen getötet.

(Beatrix von Storch [AfD]: Was war denn die Ursache dafür? Kommen Sie dazu mal!)

Die große Mehrheit von ihnen waren Zivilisten in Gaza. Die humanitäre Lage verschärft sich täglich. 100 Prozent der Menschen in Gaza sind von Hunger betroffen. Es fehlt an Lebensmitteln, Wasser, Strom und Medikamenten. Rund die Hälfte der Krankenhäuser ist nicht mehr funktionsfähig. Diese Zahlen machen eines unmissverständlich klar: Dieser Krieg muss sofort enden!

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Isabel Cademartori [SPD])

Doch es gibt auch Hoffnung. Tausende Reservisten der israelischen Armee sind dem Einberufungsbefehl nicht gefolgt. Tausende Menschen in Israel demonstrieren gegen die rechtsextreme Regierung Netanjahus und ihre Kriegsverbrechen. In Gaza protestieren Hunderte Menschen gegen die Herrschaft der Hamas. Weltweit gingen in den letzten Monaten Millionen von Menschen auf die Straße aus Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung und für den Frieden.

Als Linke stehen wir an der Seite aller Opfer dieses Krieges, der Deserteure, der Waisenkinder, der Krankenpflegerin im bombardierten Krankenhaus. Wir verurteilen jeden Krieg und jedes Kriegsverbrechen ohne doppelte Maßstäbe, ob in der Ukraine, im Sudan oder in Gaza. Wir trauern um alle unschuldigen Opfer, ob getötet durch die Gewehre der Hamas oder durch die Bomben der israelischen Armee.

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Isabel Cademartori [SPD])

Bei aller Kritik an dem genozidalen Krieg, den Israel gegen die palästinensische Bevölkerung führt, setzen wir Israelis sowie Jüdinnen und Juden weltweit nicht gleich mit der in Teilen rechtsextremen israelischen Regierung. Der Schutz jüdischen Lebens hat für uns auch 80 Jahre nach der Befreiung vom deutschen Faschismus eine besondere Bedeutung. Dazu gehört selbstverständlich das Recht für Jüdinnen und Juden auf nationale Selbstbestimmung,

(Zuruf des Abg. Max Lucks [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

genauso wie das Recht der Palästinenserinnen und Palästinenser auf nationale Selbstbestimmung. Und in diesem Zusammenhang begrüße ich Seine Exzellenz, den palästinensischen Botschafter in Deutschland, Laith Arafeh, hier im Haus.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Paul Ziemiak [CDU/CSU])

Was hier passiert, hat mit Selbstverteidigung nichts mehr zu tun, meine Damen und Herren. Und unser Kompass ist klar: Er zeigt auf das Völkerrecht. Sie von der Bundesregierung hingegen, Sie, Herr Merz und Herr Wadephul, Sie lavieren. Sie liefern weiter Waffen. Sie wollen Netanjahu, gegen den ein internationaler Haftbefehl vorliegt, in Berlin empfangen, statt ihn festnehmen zu lassen. Ihre neuerliche Sorge um Gaza ist opportun. Ihr Humanismus ist bestenfalls selektiv. Ihre Aufgabe wäre es, das Völkerrecht zu verteidigen, immer und überall. Das Völkerrecht ist nicht verhandelbar.

(Beifall bei der Linken sowie des Abg. Boris Mijatović [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Doch Sie versagen.

Dabei ist klar, was jetzt zu tun ist: Erstens. Stopp aller Waffenexporte nach Israel, sofort. Zweitens. Ermöglichen Sie ungehinderten Zugang zu umfassender humanitärer Hilfe. Drittens. Erkennen Sie den Staat Palästina an. Viertens. Setzen Sie sich mit Nachdruck für Friedensverhandlungen ein, ein Ende des Krieges, die Rückkehr der Geiseln und ein Ende der Siedlungspolitik.

(Beifall bei der Linken)

Herr Merz, Herr Wadephul, seien Sie sich sicher: Ihre Ignoranz ist beschämend. Der Wind dreht sich in Europa und hier in Deutschland. Ein großer Teil unserer Gesellschaft trägt Ihren Kurs nicht mehr mit. Wir sagen: Schluss mit der Heuchelei und Schluss mit den doppelten Standards!

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linken)