Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher! Während wir heute hier über den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung debattieren, stehen meine Genossinnen und Genossen in Lichtenberg draußen in der Kälte bei der Roten Tafel und verteilen heißen Tee und etwas zu essen für diejenigen, die sich keine warme Mahlzeit mehr leisten können, darunter häufig Kinder und viele Rentnerinnen und Rentner. Dass wir das tun müssen in der Hauptstadt eines der reichsten Länder der Welt, ist genau der Grund, warum wir als Linke dieses Thema für die Aktuelle Stunde auf die Agenda gesetzt haben.
(Beifall bei der Linken)
Wie kann es sein, dass eine Ministerin diesen Armuts- und Reichtumsbericht vorlegt und eine Regierung nicht absolut durchgeschüttelt ist? Wie kann es sein, dass sie selbst dazu hier nicht spricht und dass die Medien nicht voll sind von diesem Thema?
(Beifall bei der Linken)
Ich kann es Ihnen beantworten; denn dieser Bericht hat genau drei Probleme, und ich werde sie Ihnen nennen.
Erstens. Sie wissen nichts von Armut. Wenn der Bericht davon spricht, dass Menschen mit einem Monatseinkommen von weniger als 1 381 Euro armutsgefährdet seien, dann fragt man sich: In welcher Welt leben Sie eigentlich? Die Menschen sind schlicht arm. Haben Sie schon einmal versucht, mit 1 381 Euro über die Runden zu kommen? Ich sage Ihnen: Armut ist mehr als die Tabellen in Ihrem Bericht; Armut ist immer konkret. Arme Menschen verlieren öfter ihre Wohnung. Arme Menschen können nicht in den Urlaub fahren. Arme Menschen leiden mehr unter dem Klimawandel und anderen Krisen. Arme Menschen werden früher und öfter krank. Arme Menschen sterben früher. Es sind Menschen, die sich jeden Tag für ihre Armut schämen. Es sind genau die Menschen, die jetzt gerade an der Tafel stehen, und von diesen Menschen wissen Sie viel zu wenig.
(Beifall bei der Linken)
Zweitens. Sie schweigen zum Reichtum. Der Armutsformer Christoph Butterwegge sagt wie folgt: „Man weiß zwar, wie viele Bergziegen es in Deutschland gibt, aber nicht, wie viele Reiche.“ In Ihrem Bericht beginnt nämlich Einkommensreichtum bei 5 000 Euro, und Vermögensreichtum beginnt ab einem Nettovermögen von 500 000 Euro. Das heißt, der Oberstudienrat und Tante Erna mit einem Eigenheim sind genau in der gleichen Kategorie wie die reichsten Deutschen in diesem Land. Dieter Schwarz ist in der gleichen Kategorie wie Tante Erna! Die wirklich Reichen – also das Top-1-Prozent der Gesellschaft – tauchen in diesem Bericht gar nicht erst auf. Wenn ich also wissen will, wie viele Superreiche wir in Deutschland haben, dann schaue ich lieber in das „Manager Magazin“ als in Ihren Bericht, und das ist wirklich absurd.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Drittens. Der Bericht schweigt zum Zusammenhang von Reichtum und Armut. Die fünf reichsten Familien verfügen in Deutschland über ein Privatvermögen von 250 Milliarden Euro. Das ist so viel wie die ärmere Hälfte der gesamten Bevölkerung: 40 Millionen Menschen.
(Zuruf von der Linken: Pfui!)
Schon Bert Brecht wies auf den Zusammenhang hin, als er sagte: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wärʼ ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ Das Problem ist nicht, dass Sie diesen Zusammenhang nicht sehen – das Problem ist, dass Sie vor diesem Zusammenhang bewusst die Augen verschließen. Wir müssen an den Reichtum ran, an die großen Vermögen,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was für ein Quatsch!)
an die großen Erbschaften, und genau das tun Sie nicht.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Revolution!)
Genau das ist das Schlimmste an dem Bericht: Er hat keine politischen Folgen. Er wird hier abgeliefert, und er hat keine Folgen. Dass Sie in diesem Bericht nichts zu Superreichen sagen, ist kein Zufall. Der Bericht schweigt zu dem Vermögen, weil die Wahrheit Sie dazu zwingen müsste, zu handeln. Eine Vermögensteuer würde den öffentlichen Kassen rund 108 Milliarden Euro jährlich einbringen: Geld, das wir für die Infrastruktur, für die Schulen und Kitas so dringend brauchen. Wenn wir eine Vermögensteuer hätten, wüssten wir überhaupt erst einmal wieder, wo die Vermögen liegen. Wir wissen es schlicht nicht, weil sie 1997 ausgesetzt wurde. Es war eine politische Entscheidung, große Vermögen zu schonen, und es ist jetzt eine politische Entscheidung, Reichtum weiter im Dunkeln zu lassen.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und da hilft es auch nichts, wenn Matthias Miersch von der SPD hier sagt, die großen Schultern müssten mehr tragen. Es ist ja nett, wenn die SPD das immer wieder sagt und vor Wahlen nach links blinkt. Wenn die Vermögensteuer das Erste ist, was Sie bei Koalitionsverhandlungen seit Jahren fallen lassen, dann glaubt Ihnen das irgendwann kein Mensch mehr.
(Jens Peick [SPD]: Stimmt doch gar nicht! – Zuruf von der Linken: So ist es!)
Setzen Sie es doch einfach um!
(Beifall bei der Linken)
Genau so schützen Sie Milliardäre und Milliardenerbschaften. Nirgendwo ist die extreme Ungleichheit so krass wie beim Thema Erben. Die obersten 10 Prozent kassieren fast die Hälfte aller insgesamt übertragenen Erbschaften und Schenkungen. Zugleich gibt es absurde Steuerschlupflöcher. Deswegen haben wir einen Antrag gestellt; wir werden ihn diesen Freitag hier debattieren. Wir wollen, dass die Milliardenerben nicht mehr geschont werden.
(Beifall bei der Linken)
Aber Sie, Sie betreiben hier alle miteinander lieber Armen-Bashing. Man erlebt es diese Woche wieder beim Bürgergeld. Sie wollen über Arme reden, damit Sie über den perfiden Reichtum in diesem Land schweigen können. Sie spielen jeden Tag arbeitende und arme Menschen gegeneinander aus. Aber wir wissen es. Wir, die wir in Gewerkschaften und Betrieben aktiv sind, wissen: Nicht meine Kollegin neben mir ist das Problem, nicht die Rentnerin an der Supermarktkasse ist das Problem – der übergroße Reichtum ganz oben, das ist das Problem.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
