Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Der Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 war nicht nur der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Es war der Beginn eines vom Rassenwahn getriebenen Vernichtungskriegs der Deutschen gegen die polnische Bevölkerung. Ab dem ersten Tag wurden Kriegsverbrechen verübt, wie zum Beispiel bei der Zerstörung der Stadt Wieluń durch die deutsche Luftwaffe.
Und, Herr Frömming, nein, das Agieren der Wehrmacht war kein Zufall, sondern es war ein Befehl, der direkt an die Wehrmachtsgeneräle ausgegeben wurde, und der hieß: Restlose Zertrümmerung Polens, Verfolgung bis zur völligen Vernichtung, brutales Vorgehen, größte Härte! – Das Bild der unschuldigen Wehrmacht ist mehr als einmal widerlegt. Wenn Sie das hier anders darstellen, dann verhöhnen Sie die Opfer und betreiben Geschichtsrevisionismus.
(Beifall bei der Linken)
Die polnische Elite – Wissenschaftler/-innen, Lehrer/-innen, Priester, soziale und politische Aktivistinnen und Aktivisten – wurde systematisch und unmittelbar nach dem Angriff verfolgt, deportiert und ermordet. Doch die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten machte vor niemandem halt. Die polnische Bevölkerung wurde vertrieben, zur Zwangsarbeit gezwungen, entrechtet und ermordet.
Es ist eine Frage des Anstands gegenüber allen Überlebenden des NS-Terrors und ihrer Nachkommen, die Erinnerung an diese Verbrechen wachzuhalten. Und es ist beschämend, dass erst in diesem Jahr – 80 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus – hier in Berlin ein Gedenkort für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs, der von Deutschland ausgegangen war, eingeweiht wurde.
(Beifall bei Abgeordneten der Linken und des Abg. Paul Ziemiak [CDU/CSU])
Meine sehr geehrten Damen und Herren, 3 Millionen der 5 Millionen Frauen, Männer und Kinder der ermordeten Zivilbevölkerung waren Jüdinnen und Juden. Wer heute Krakau-Kazimierz, Warschau oder Łódź besucht, kann nur noch erahnen, wie lebendig die jüdische Kultur im Herzen Europas gewesen ist, die die Deutschen vollends zu vernichten versuchten.
Hinzu kommt: Polen wurde durch die Nationalsozialisten zum Ort der Shoah und des Porajmos, also der Völkermorde an den europäischen Jüdinnen und Juden bzw. den Sinti und Roma, gemacht. Auch diese spezifischen Erfahrungen müssen Platz in der Konzeptionierung des Gedenkortes sowie des Deutsch-Polnischen Hauses finden. Und ja, auch die Interessenvertretungen der Betroffenengruppen sind zwingend miteinzubeziehen.
(Beifall bei der Linken sowie des Abg. Johannes Schraps [SPD])
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der heute 100-jährige ehemalige polnische Widerstandskämpfer Stanisław Zalewski, der das Vernichtungslager Auschwitz überlebt hat, sagte vor ein paar Jahren – ich zitiere –:
"„Die Bewahrung der Zeugenschaft wird nicht durch Kranzniederlegung bewahrt oder schöne Gedenkreden [...] Blumen und Kränze verwelken schnell.“"
Zitat Ende. – Er hat recht! Wirkliche Erinnerung, aufrichtiges Gedenken darf sich nicht in ritualisierten Gedenkzeremonien erschöpfen. Aufrichtiges Gedenken braucht Orte, an denen Austausch, Begegnung und Lernen ermöglicht werden, und zwar auf Augenhöhe.
Wir leben jedoch in einer Zeit, in der die Nationalismen in Europa wieder grassieren. Grenzen werden nicht nur physisch wieder hochgezogen, sondern auch in den Köpfen errichtet. Diesem Nationalismus müssen wir ebenso begegnen wie Geschichtsrevisionismus und Faschisierung – das ist die Lehre aus dem NS.
Vielen Dank.
(Beifall bei der Linken sowie des Abg. Johannes Schraps [SPD])
