Zum Hauptinhalt springen

Keine Überraschung: Einheitsbericht ohne Substanz

Rede von Mandy Eißing,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich erzähle Ihnen mal die Geschichte meiner ehemaligen Kollegin Ilse. Sie hat über 40 Jahre im selben Friseursalon wie ich gearbeitet. Und als sie in den Ruhestand ging, musste ich ihr die Haare zu Hause schneiden, weil sie sich wegen ihrer mickrigen Ostrente selbst nicht mal einen Friseur leisten konnte.

Daran sieht man: Die Einheit gelingt nicht von allein, wenn man nur lang genug wartet und die Füße stillhält. Vielleicht fällt die Ungerechtigkeit ja irgendwann keinem mehr auf? Das ist ein Irrtum. Und genau dieser Irrtum zieht sich durch Ihren Einheitsbericht, Frau Kaiser. Da klaffen dieselben Lücken wie damals im Einigungsvertrag. Die müssen wir nach 35 Jahren endlich wieder schließen.

(Beifall bei der Linken)

Tausende Ostdeutsche haben nach 1990 ihre Rentenansprüche und Vermögen verloren, zum Beispiel die in der DDR geschiedenen Frauen. Ihre Lebensleistung wurde einfach ignoriert. Wann werden solche Fehler endlich korrigiert?

(Beifall bei der Linken)

Schön, dass Sie ein Zukunftszentrum in Halle bauen, aber das ist vor allem Symbolpolitik ohne Substanz. Gut ist, dass dieser Bericht junge Menschen ins Zentrum rückt. Aber diese Jugend gibt es bald nicht mehr im Osten. Sie wandert ab, weil sie anderswo bessere Perspektiven hat.

(Sepp Müller [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)

Wen wundert’s? Es gibt viel zu wenige Angebote für junge Menschen, geschweige denn Jobs. Jedes fünfte Nachwendekind im Osten sieht sich als Kind von Wendeverlierern. Das ist ein politisches Versagen Ihrer Regierungen der letzten Jahrzehnte.

Das ist doch alles ein Teufelskreis. Unsere Kommunen überaltern; der nächste Arzt ist 30 Kilometer entfernt; den Konsum und die Kneipe um die Ecke gibt es schon lange nicht mehr. Sie loben sich dafür, dass Sie die Jugend zu Wort kommen lassen. Aber was Sie verschweigen, ist, dass die jungen Menschen selbst sagen: Uns fehlt der Austausch mit den Älteren. – Wie wäre es denn mal mit der Förderung von echtem Dialog? Es gibt tolle Projekte wie die Initiative (K)Einheit, die die Stimmen von Ostdeutschen aller Altersgruppen in Politik und Gesellschaft einbringen will.

Ihr Bericht beweist: Ehrenamt braucht funktionierende ländliche Räume. Dann sorgen Sie doch dafür!

(Beifall bei der Linken)

Es braucht gute soziale Infrastruktur. Stattdessen muss das Ehrenamt die oft komplett ersetzen.

Und was auch fehlt: Ihr Bewusstsein für die rechte Bedrohung, mit der Engagierte im Osten täglich zu kämpfen haben. Sie müssten es doch besser wissen; wir kommen doch aus der gleichen Region. Bei uns in Thüringen überlegen die Ehrenamtlichen dreimal, wie sie ihre Veranstaltung absichern oder wie sie sich selbst positionieren.

Und wie wollen Sie denn das Engagement im Osten stärken, wenn Ihre Kollegin Frau Prien gleichzeitig Demokratieprojekte unter Generalverdacht stellt? Fördern und gleichzeitig Totalüberwachung: Das ist doch ein schlechter Witz!

(Beifall bei der Linken)

Und ist es nicht ironisch, dass die Union jetzt fordert, die Brandmauer zur AfD einzureißen, während die Mauer zwischen Ost und West bei Ihnen weiter in den Köpfen sitzt?

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linken)