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Das Stadtbild Deutschlands – das sind die Menschen, die hier leben

Rede von Mirze Edis,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe heute hier als jemand, der seit über 50 Jahren in diesem Land lebt. Mein Vater kam als junger Mann und als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland. Er hat in diesem Land gearbeitet, geschuftet, seine Steuern gezahlt. Keinen einzigen Tag war er arbeitslos. Mit 67 Jahren ist er in Deutschland gestorben, in seiner zweiten Heimat. So erging es Hunderttausenden von Gastarbeitern, die in den Werkshallen ihr Leben gelassen und es nicht mal bis zum Rentenalter geschafft haben. Ich selbst habe über 37 Jahre lang als Stahlarbeiter und Betriebsrat gearbeitet. Ich stand immer für die Rechte aller Beschäftigten ein, ohne zu fragen, woher jemand kommt, welche Sprache jemand spricht oder welchen Glauben jemand hat.

(Beifall bei der Linken)

Denn in der Werkhalle zählt nicht, woher du kommst. Da zählt, ob du solidarisch bist.

Jetzt erleben wir eine Debatte, in der wieder einmal Menschen gegeneinander ausgespielt werden sollen, eine Debatte, die die AfD mit ihrem Antrag heute bewusst vergiftet – und ja, ausgelöst durch die Aussagen von Merz, der meinte, man erkenne die deutschen Städte nicht mehr, das deutsche Stadtbild nicht mehr. Ich sage Ihnen: Das Stadtbild Deutschlands, das sind die Menschen, die hier leben, das sind unsere Nachbarinnen und unsere Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der Linken)

Das sind Menschen, die dieses Land aufgebaut haben, die jeden Tag anpacken und Verantwortung übernehmen. Das ist Deutschland.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was ist denn mit den Verbrechern?)

Und wissen Sie, wer nicht ins Stadtbild gehört? Nicht die Verkäuferin mit dem Kopftuch, nicht der Pfleger mit dem türkischen Nachnamen, nicht die Nachbarin aus Syrien. Nein, nicht sie. Wer nicht ins Stadtbild passt, das sind Rassisten, Faschisten, Hetzer und Schlägertrupps.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD – Martin Hess [AfD]: Damit meinen Sie die Antifa, oder? Meinen Sie Ihre Antifa? Wenn es hier Schlägertrupps gibt, dann gibt es die nur von Ihrer Seite! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Die Antifa! Wir nicht!)

– Wieso fühlen Sie sich eigentlich angesprochen, wenn ich „Rechte, Hetzer und Faschisten“ sage?

(Beifall des Abg. Lorenz Gösta Beutin [Die Linke] – Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

Menschen, die mit Hass durch unsere Straßen ziehen, die andere bedrohen, die Brandanschläge feiern oder Parolen schreien,

(Martin Hess [AfD]: Genau! Das macht die Antifa! Sie beschreiben die eins zu eins! Linksterrorismus, Herr Kollege!)

als wären wir in finsteren Zeiten: Diese Leute sind das Problem, nicht die Vielfalt auf unseren Straßen.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Was Spahn, Dobrindt, Merz – auch von Alexander Throm habe ich das eben gehört – und die AfD hier betreiben, ist ein Spiel mit Angst und Spaltung. Sie reden vom Stadtbild, aber meinen in Wahrheit: Wir wollen bestimmen, wer dazugehört und wer nicht.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das wollen wir ja auch! – Alexander Throm [CDU/CSU]: Ja! Das wollen wir! Genau! – Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])

Ayse Irem aus Bielefeld ist die neue deutschsprachige Meisterin im Poetry-Slam. In ihren kämpferischen Texten thematisiert sie Alltagsrassismus in Deutschland. Sie beschreibt das Gefühl, nie weiß genug zu sein. Ich gratuliere und danke dir, liebe Ayse. Mit deinen tollen Worten deckst du den täglichen Alltagsrassismus auf, von dem du, ich und Millionen andere betroffen sind. Dieses Land gehört uns allen, die hier leben, nicht nur denjenigen, die meinen, einen richtigen Pass zu haben, nicht nur denen mit dem richtigen Nachnamen. Meine Damen und Herren, wenn Sie in einer Stadt durch die Straßen gehen, sehen Sie Vielfalt. Sie hören Sprachen und Geschichten, die von Hoffnung, von Flucht, von Fleiß und Liebe erzählen. Genau diese Vielfalt ist unsere Stärke.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich frage Sie von der CDU und AfD: Was für ein Land wollen Sie denn eigentlich?

(Martin Hess [AfD]: Eines, in dem die Bürger wieder sicher leben! Das wollen wir!)

Eines, das Mauern baut, das Nachbarn misstraut, das Kindern das Gefühl gibt, sie seien falsch, weil sie dunkle Haut oder einen anderen Namen haben? Oder ein Land, das gerecht ist, solidarisch, menschlich? Ein Land, das stolz ist auf die, die hierhergekommen sind und hier mit anpacken? Ich weiß, für welches Land ich kämpfe. Als Betriebsrat habe ich gelernt: Wenn man Menschen spaltet, profitieren am Ende immer die Falschen: diejenigen, die Reiche noch reicher machen wollen, die Sozialabbau betreiben, die Gewerkschaften schwächen, die gegen Flüchtlinge hetzen, um von ihrer Politik abzulenken. Und genau das machen Merz und Co.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämt!)

Genau das ist das Kalkül der AfD.

(Beifall bei der Linken)

Aber wir lassen uns nicht spalten. Wir stehen zusammen im Betrieb, im Viertel und im Parlament. Ich sage klar: Mein Vater hat dieses Land mit aufgebaut. Ich habe mein Leben lang für Gerechtigkeit gekämpft. Und ich lasse mir von niemandem sagen, dass ich oder andere Menschen wie ich nicht zu diesem Land gehören.

(Tijen Ataoğlu [CDU/CSU]: Das hat nie jemand behauptet!)

Deutschland ist vielfältig, Deutschland ist solidarisch, und Deutschland ist stärker, wenn wir zusammenstehen.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lasst uns, wie Ayse Irem es gesagt hat, dafür einstehen, dass in Zukunft nicht mehr die Hautfarbe über unsere Chancen in dieser Gesellschaft entscheiden soll.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)