Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit ich im Bundestag bin, hat sich viel verändert. Die Arbeit ist politisch, komplex und manchmal ganz schön absurd. Was ich aber wirklich vermisse, ist die Arbeit mit meinen Kindern und Jugendlichen: ihr neugieriger Blick auf die Welt, die Lust, nicht nur zu verstehen, sondern auch mitzubestimmen. Ich glaube, dass die Welt eine viel gerechtere wäre, wenn mehr Menschen sie durch Kinderaugen betrachten würden.
In meiner Arbeit als Lehrerin habe ich aber auch eine andere Seite kennengelernt: Kinder, die mit häuslicher Gewalt aufwachsen, die in der Schule einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt sind, Jugendliche, die unter Cybermobbing leiden, die tagtäglich Rassismus erfahren, und Lehrkräfte, die versuchen, all das aufzufangen, ohne dass das jemals in ihrer Ausbildung vorgekommen ist und ohne ausreichend Zugang zu Angeboten. Seit ich im Haushaltsausschuss sitze, sehe ich auch, was alles möglich wäre und wie sich immer wieder dagegen entschieden wird, den Menschen zu helfen.
Frau Prien, selbstverständlich ist es gut, wenn die Freiwilligendienste oder einzelne Jugendwerke mehr Mittel bekommen. Aber was ist mit all den anderen Bereichen, wo Jugendliche so dringend Unterstützung brauchen? 46 Prozent der jungen Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Und genau diese jungen Menschen haben häufiger das Gefühl, Politik nehme ihre Sorgen nicht ernst. Und was macht die Regierung in dieser Situation? Sie kürzt bei den Jugendangeboten. Sie friert Mittel ein, wo Preise steigen. Sie lässt Träger im Regen stehen, die Prävention, Beratung und Schutzarbeit leisten. Die Jugendmigrationsdienste leisten seit Jahren wertvolle Arbeit, aber bekommen keine Planungssicherheit, sondern faktisch Kürzungen. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von Kindesmissbrauch ist unterfinanziert. – Frau Prien, Sie wissen das. Und die eigentliche Tragödie: Sie wissen das, und Sie tun nichts.
(Beifall bei der Linken)
Besonders hart trifft es das Projekt „respekt*land“. Dort wird eine enorm wichtige Arbeit geleistet, zum Beispiel in der Antidiskriminierungsberatung. Wird das Projekt nicht neu aufgelegt, bricht diese Unterstützung gerade in ländlichen Regionen komplett weg, und das in einer Zeit, in der sich rechtsextreme Netzwerke und rassistische Angriffe massiv ausbreiten. Gerade im ländlichen Raum lassen Sie junge, migrantische oder politisch engagierte Jugendliche damit einfach im Stich.
Ich möchte Sie außerdem darauf hinweisen: Diese fehlende Planungssicherheit ist ein doppeltes Problem. Sie schadet nicht nur den betroffenen Jugendlichen, sondern auch den Fachkräften, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, Pädagoginnen und Pädagogen, Psychologinnen und Psychologen – Menschen, die jeden Tag zuhören, auffangen und begleiten. Für sie bedeutet dieser Haushalt befristete Arbeitsverträge und unsichere Perspektiven. Wer ernsthaft qualifizierte Leute halten will, kann ihnen doch nicht Jahr für Jahr den Boden unter den Füßen wegziehen.
(Beifall bei der Linken)
Auch gegen die digitale Gewalt tun Sie genau gar nichts. Gegen KI-Pornografie? Nichts. Gegen Deepfakes, Belästigung und Hetze? Schweigen. Wer betroffen ist, bleibt allein, weil Schutz für Sie offenbar keine Priorität hat. Jugendliche sind Hass, Mobbing und gezielten Angriffen ausgesetzt, vor allem junge Frauen und queere Personen. Und viel zu oft stehen sie und ihre Eltern dann alleine da.
Frau Prien, bitte verraten Sie es uns: Was sagen Sie eigentlich den Eltern, deren Kinder im Netz Gewalt oder sogar sexuelle Übergriffe erfahren? Was sagen Sie ihnen, wenn sie fragen, warum es an den Schulen kaum Prävention oder Aufklärung dazu gibt, warum es der Staat nicht schafft, Schutzräume für Kinder und Jugendliche anzubieten?
Mit einer Antwort dazu war Frau Prien leider nicht in der Presse, dafür aber mit Aussagen, mit denen sie öffentlich Zweifel an „Demokratie leben!“ sät. Sie behaupten, dort könnten antisemitische oder extremistische Projekte finanziert werden. Ehrlich gesagt: Das ist nichts anderes als Stimmungsmache, und nicht mal Ihre eigene. Da werden einfach die Narrative der AfD nachgeplappert. „Demokratie leben!“ ist das Rückgrat der Demokratiearbeit mit jungen Menschen – ob gegen Rassismus, gegen Antisemitismus, gegen Queerfeindlichkeit oder gegen Rechtsextremismus.
(Beifall bei der Linken – Birgit Bessin [AfD]: So ein Schwachsinn! – Martin Reichardt [AfD]: Das ist ein Sammelbecken für linke Schwätzer!)
– Ja, natürlich. – Hören Sie auf, es infrage zu stellen! Das spielt doch nur den Faschisten in die Hände.
Anstatt die Jugendlichen, die sich in diesem Projekt engagieren, unter Generalverdacht zu stellen, sollten wir ihnen endlich den Rücken stärken.
(Beifall der Abg. Isabelle Vandre [Die Linke])
Stattdessen stellen sich Regierungsvertreter hierhin und erklären, die Jugend solle mehr Verantwortung übernehmen, sich mehr einbringen, und drücken ihnen prompt die Wehrpflicht auf. Das ist doch eine Frechheit!
(Beifall bei der Linken)
Wer Jugendliche jahrelang im Stich lässt – in der Pandemie, in der Schule und bei der psychischen Gesundheit –, der kann jetzt nicht daherkommen und sagen: Jetzt ab an die Waffe! Stirb bitte für unsere Kapitalinteressen! – Wer keinen Cent übrig hat für Schutzräume, aber Milliarden für Aufrüstung lockermacht, der verliert jedes moralische Recht, jungen Menschen Pflichtgefühl zu predigen. Ich wünsche mir ein Land, in dem jedes Kind zählt – unabhängig vom Pass, vom Konto der Eltern, von der Hautfarbe und von der Postleitzahl.
(Beifall bei der Linken)