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Ein Haushalt für Reiche und Konzerne

Rede von Tamara Mazzi,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mein Vater hat sein ganzes Leben lang gearbeitet. Schon als Kind hat er nebenbei gejobbt. In seinem Heimatland hat er an der Universität unterrichtet. In Deutschland musste er sich mit Jobs im Niedriglohnsektor über Wasser halten. Als sein Deutsch dann gut genug war, hat er angefangen, als Gitarrenlehrer zu arbeiten. Nun ist er Rentner: 236 Euro – ein Leben Arbeit gewürdigt mit 236 Euro im Monat! Mein Vater hat jetzt die Wahl: Entweder er nimmt die Unterstützung seiner Kinder an, oder er arbeitet, bis er stirbt. Mein Vater ist kein Einzelfall. Millionen Menschen in Deutschland haben ihr Leben lang hart gearbeitet und sind von Altersarmut bedroht. Oft gibt es keine Verwandten, die für sie aufkommen können. Und viel zu oft lässt dieser Staat sie allein.

Diese Erfahrung machen nicht nur alte Menschen. In meinem Wahlkreis in Kiel bieten mein Team und ich Sozialsprechstunden an. Zu uns kommen Menschen, denen sonst nicht geholfen wird – Menschen, die einen Arbeitslosenantrag stellen müssen, aber überfordert sind, Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse, die sich in einem Behördensystem zurechtfinden müssen, das ihre Sprache nicht spricht, Menschen, die Fristen einhalten müssen, obwohl sie die Post nicht verstehen und die Ämter kaum zu erreichen sind. Was sie viel zu oft erleben müssen, ist die soziale Kälte der deutschen Bürokratie.

All diese Geschichten sind individuelle Schicksale, aber nicht individuell verschuldet. Sie sind Ergebnis der politischen Entscheidungen, die Sie hier treffen. Jeden Tag könnten Sie sich entscheiden, die Last, die die Menschen in diesem Land tragen müssen, zu mindern. Sie aber machen es den Leuten schwerer und produzieren dort Leid, wo niemand leiden müsste. Ich bin Ihre Ausreden leid.

(Beifall bei der Linken)

Sie sagen: „Es muss gespart werden“, geben aber in den nächsten Jahren so viel Geld aus wie noch nie zuvor – leider nur für die Bundeswehr und ohne dass davon irgendetwas bei den Leuten ankommt. Sie sagen Sätze wie: „Hochkomplexe Sachverhalte erfordern komplexe Antworten“, und werfen, während Sie das sagen, Bürgergeldempfänger/-innen und Rentner/-innen unter den Bus. Das sieht man auch am Referentenentwurf zur neuen Grundsicherung: Vollzeitpflicht, während es kaum Kitaplätze gibt, Streichungen bei den Wohnkosten, während es kaum Wohnungen gibt. Das ist einfach nur menschenverachtend.

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Ricarda Lang [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dabei ist die Antwort so einfach: Eine Politik im Interesse der Mehrheit in diesem Land ließe sich morgen umsetzen. Allein im Etat für Arbeit und Soziales, über den wir heute entscheiden, lässt sich so viel machen. Sie könnten Berufssprachkurse endlich so ausfinanzieren, dass alle einen Platz bekommen. Sie könnten Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bedarfsgerecht ausbauen. Sie könnten ein Sicherungssystem einführen, das nicht auf Misstrauen und Strafe setzt. Und Sie könnten morgen ein Rentensystem schaffen, das keine Altersarmut produziert und trotzdem finanzierbar ist. Mit unseren Vorschlägen ließe sich das Rentenniveau auf 53 Prozent erhöhen und eine solidarische Mindestrente einführen. Das alles könnten Sie morgen umsetzen.

Stattdessen diskutieren Sie darüber, ab wann sich die Altersarmut denn nun verschärfen könnte, aber nicht, wie wir sie abschaffen. Mit ihrem Aufstand offenbart die Junge Gruppe in der Union jetzt noch einmal, wo ihre Prioritäten liegen. Diese Debatte ist so unglaublich scheinheilig. Als ob es wirklich um die Beiträge der Lohnabhängigen ginge! Es geht ihnen einzig und allein darum, die Beiträge ihrer Unternehmereltern kleinzuhalten, damit Papa mit seinem Porsche in der Garage bloß keinen Cent mehr für die Rentner zahlen muss.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Um das zu verhindern, wird mal eben ein Generationenkonflikt herbeigeredet. Die Rente ist aber kein Konflikt zwischen Jung und Alt; sie ist ein Klassenkonflikt. Und die CDU steht dabei immer auf der falschen Seite.

(Beifall bei der Linken – Jens Spahn [CDU/CSU]: Ach so? – Marc Biadacz [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Wir sind Volkspartei! Ich schaue auf beide! Das brauchen Sie mir nicht zu sagen!)

Deswegen weigern Sie sich auch, irgendwas umzusetzen, was die große Mehrheit in diesem Land entlasten würde. Sie wollen es nicht. Sie sind nicht die Politiker/-innen der Mehrheit in diesem Land. Sie sind die Politiker/-innen der Reichen und Konzerne. Sie sind die Verwalter/-innen eines Systems, das ohne Armut, ohne Elend nicht funktioniert, weil es Menschen gibt, die davon profitieren. Und um davon abzulenken, spalten Sie:

(Beifall bei der Linken)

in Jung und Alt, in Menschen mit und Menschen ohne Migrationsgeschichte, in Menschen mit Arbeit und solche, die nicht arbeiten können.

Dieser Haushalt steht ganz im Zeichen Ihrer Spalterei. Dieser Haushalt ist kein Haushalt für die Menschen, die jeden Tag das Elend ertragen müssen, das Sie produzieren – Menschen wie mein Vater. Dieser Haushalt ist einer der Reichen und ihrer Freunde auf der Regierungsbank. Und deswegen lehnen wir ihn entschieden ab.

(Beifall bei der Linken – Jens Spahn [CDU/CSU]: Vorwärts immer, rückwärts nimmer!)