Die große Koalition gibt es nicht erst seit der letzten Wahl,. Schon unter der Regierung Schröder gab es eine Große Koalition von CDU/CSU, SPD und Grünen. Sie haben gemeinsam drei Reformen beschlossen: Die Steuer-, die Gesundheits- und die Arbeitmarktreformen. Alle drei Reformen sind gescheitert. Gesine Lötzsch, haushaltspolitische Sprecherin in ihrer Rede im Deutschen Bundestag.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sekretariats! SPD und CDU/CSU streiten bis aufs Messer, wer für den Sanierungsfall Deutschland die Verantwortung trägt. (Zurufe von der SPD: Oh!) Ist es Schuld der Regierung Kohl oder der Regierung Schröder? (Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Sie haben einen großen Beitrag dazu geleistet!) Ich glaube, wir können uns schnell darauf einigen, dass es an beiden Regierungen gelegen hat. Ich finde es gegenüber den Sozialdemokraten nicht gerecht, wenn die Verantwortung alleine auf die Schröder-Regierung reduziert wird; denn die große Koalition gab es schon unter der Regierung Schröder. Die Gesundheitsreform, die Steuerreform und die Hartz-Reformen waren das Ergebnis einer ganz großen Koalition von CDU, CSU, SPD und den Grünen. (Beifall bei der LINKEN Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Wie war das denn mit Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat? Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vergessen Sie die Regierung Honecker nicht!) Wer sich die Ergebnisse dieser Reformen anschaut, muss feststellen, dass sie alle grandios gescheitert sind. Die Gesundheitsreform 2004 hat die Mitglieder der Krankenkassen nicht entlastet, sondern weiter belastet. Die Lohnnebenkosten wurden nicht gesenkt, die Krankenkassenbeiträge steigen weiter und die Patienten müssen bei Medikamenten, Behandlungen und Krankenhausaufenthalten kräftig zuzahlen. Die Menschen sind durch diese Reform nicht gesünder, die Patienten dafür ärmer geworden. Die Gesundheitsreform hat sich nur für die großen Pharmakonzerne wirklich gelohnt. Die Tatsache, dass die Kassen jetzt 2 Milliarden Euro mehr für Pillen als für Honorare ausgeben, ist wirklich ungesund. Übrigens wurde mit der Gesundheitsreform auch beschlossen, dass die Vorstände der Krankenkassen ab März 2004 ihre Gehälter veröffentlichen müssen. Bis heute weigern sich 17 Kassenvorstände, diese gesetzliche Pflicht zu erfüllen. Die Regierung ist untätig. Dabei stellt die Veröffentlichung für diese Vorstände gar keine Gefahr dar, da das Kassenmitglied gar nicht vergleichen kann, ob sich der eigene Vorstand über alle Maßen selber bedient. Der Bundesanzeiger, der für die Veröffentlichung dieser Vorstandsgehälter zuständig ist, hat gegenüber dem Wissenschaftlichen Dienst des Parlaments erklärt, dass eine Gesamtübersicht über die Einkünfte der Vorstände aus finanziellen Gründen nicht möglich sei. Ist es nicht erstaunlich, dass es der Bundesagentur für Arbeit gelingt, 5 Millionen Arbeitslose zu überwachen, es aber den Aufsichtsbehörden der Krankenkassen bisher nicht gelungen ist, eine Übersicht über die Gehälter von knapp 260 Kassenvorständen zu erstellen? Das ist doch ein Widerspruch bzw. eine Schieflage. (Beifall bei der LINKEN) Das von mir in Auftrag gegebene Gutachten zeigt, dass die Gehälter der Kassenvorstände in vielen Fällen eben nicht dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen. Einige Vorstände und Aufsichtsräte der Krankenkassen verwechseln offensichtlich Selbstverwaltung mit Selbstbedienung. Ich habe Ihnen das so ausführlich dargestellt, um zu zeigen, dass unterschiedliche Messlatten angelegt werden. Eine unterschiedliche Messlatte verwendet die Bundesregierung auch bei der Steuerpolitik. Diese Koalition hat mit der Steuerreform die Staatsfinanzen in eine schwere Krise getrieben; denn die zerrütteten Staatsfinanzen sind kein Naturereignis, das über uns gekommen ist, sondern das Ergebnis Ihrer Politik. (Beifall bei der LINKEN) Die rot-grüne Regierung hat die Steuern um über 50 Milliarden Euro gesenkt. Insbesondere große Unternehmen wurden durch diese Steuerreform begünstigt. (Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Falsch! Immer noch nicht begriffen! Dr. Uwe Küster (SPD): Sie will und kann es nicht begreifen!) Hinzu kommt, dass viele große Unternehmen clevere Steueranwälte beschäftigen, die mit allen Mitteln versuchen, die zu zahlenden Steuern zu minimieren. Die Steuergesetzgebung bietet dafür nicht nur Schlupflöcher, sondern Scheunentore, durch die kofferweise das Geld am Fiskus vorbei in Sicherheit gebracht werden kann. Im letzten Jahr haben Steuerprüfer allein von Großunternehmen Steuernachzahlungen in Höhe von 10,87 Milliarden Euro gefordert. Nach Aussage der Bundesregierung haben diese Unternehmen immer noch zu wenig Steuern gezahlt. Das Problem sind fehlende Steuerprüfer. Ist es nicht eine unglaubliche Unverfrorenheit und ein Ausdruck von Undankbarkeit, wenn die Arbeitgeberverbände unentwegt niedrige Steuern fordern, die Regierungen dem immer wieder nachkommen und die Großunternehmen trotzdem versuchen, 10 Milliarden Euro in einem Jahr zu unterschlagen? Das ist Sozialbetrug auf ganz hohem Niveau. (Beifall bei der LINKEN) Zu diesem Steuerbetrug habe ich von unserem Finanzminister übrigens noch nichts gehört. Vielleicht sagt er in seiner sich anschließenden Rede etwas dazu. Herr Steinbrück schickt lieber eine Steuersenkung in Höhe von 8 Milliarden Euro hinterher. (Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Woher wissen Sie das?) Der Finanzminister hat sich über eine Forderung unserer Fraktion empört und gesagt, wir wollten 1 Milliarde Euro zusätzlicher Haushaltsmittel ausgeben. Sie bezeichnen unsere Forderungen als utopisch. Das sind sie natürlich nicht, vorausgesetzt, Sie, Herr Steinbrück, würden Ihren Job gut machen und endlich die Steuerschulden der großen Unternehmen eintreiben. (Beifall bei der LINKEN) Es geht aber nicht nur um die großen Unternehmen. Ein ehemaliger Angehöriger der bayerischen Finanzverwaltung bedankte sich für die Rede, die ich am Dienstag im Bundestag gehalten habe. (Zurufe von der SPD: Oh!) Er schrieb mir ich darf zitieren : In den 15 Jahren als Finanzbeamter konnte ich genügend Einblicke in unsere Strukturen gewinnen. Ich erinnere mich an folgendes Beispiel: Ehemann höherer Beamter und Jurist, 500 000 DM Jahreseinkommen; Ehefrau Fachärztin für Kieferorthopädie, 1,5 Millionen DM Jahreseinkommen. Bezahlte Steuern 0 DM. Am Interessantesten war es im Finanzamt Starnberg. Dort waren ganze Steuerbezirke mit Verlusteinkünften verseucht. Ins Finanzamt gegangen, den Offenbarungseid geleistet und anschließend im Jaguar zur Yacht am Starnberger See davongebraust! (Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Höherer Beamter mit 500 000, wo ist das denn?) Die Fälle, von denen hier berichtet wird, sind keine Einzelfälle. Das Finanzvermögen privater Haushalte wuchs im vergangen Jahr um 180 Milliarden Euro auf insgesamt 4,26 Billionen Euro. Seit 1990 hat sich das Geldvermögen der Bundesbürger verdoppelt. Es ist nur sehr unterschiedlich verteilt. Die unteren 50 Prozent der Haushalte verfügen über lediglich 4 Prozent des Nettovermögens, während die oberen 10 Prozent der Haushalte über 47 Prozent verfügen. Das ist eine Schieflage, die nicht hinzunehmen ist. (Beifall bei der LINKEN) Diese Regierung wirkt wie ein Verstärker. Sie macht Reiche noch reicher und Arme noch ärmer. Damit spaltet sie unsere Gesellschaft. Auch die dritte große Reform, die Arbeitsmarktreform, ist, was entsetzlich ist, grandios gescheitert. Wir haben nicht mehr versicherungspflichtige Arbeitsplätze, sondern weniger. Dafür haben wir einen dramatischen Anstieg bei den Minijobs, von denen keiner leben kann. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln leben 17 Prozent der Niedriglohnbezieher in Haushalten, deren Einkommen unter der Armutsgrenze liegt. Knapp 4 Millionen Menschen bekommen weniger als 7,50 Euro pro Stunde für Ihre Arbeit. In den alten Bundesländern sind 6 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor tätig, im Osten Deutschlands sind es 20 Prozent. Wir brauchen endlich einen gesetzlichen Mindestlohn, damit ein Mensch von seiner eigenen Arbeit in Würde leben kann. (Beifall bei der LINKEN) Drei große Reformen sind grandios gescheitert. Der Staat steckt in einer schweren Finanzkrise, aber die Regierenden machen einfach weiter. In der DDR nannte man in den 80er-Jahren diese Art Wirklichkeitsverweigerung und Selbstherrlichkeit das Politbürosyndrom. (Dr. Uwe Küster (SPD): Da sind Sie ja Expertin!) Genau. Davor kann ich Sie nur warnen; denn dieses Syndrom ist gefährlich und die schwierige Behandlung ist keine Kassenleistung. (Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Die haben eine Menge Schaden angerichtet! Den Schrott, den wir von Ihrem Politbüro geerbt haben, müssen wir erst einmal wegräumen!) Die Kanzlerin wurde auf einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie vom Präsidenten des BDI für ihre Regierungsleistung heftig kritisiert. In manchen Punkten teilt die Linke sogar die Auffassung des BDI. Die Mehrwertsteuererhöhung ist außer Wahlbetrug natürlich auch ökonomischer Unsinn. (Beifall bei der LINKEN) Das ist die größte Steuererhöhung in der Geschichte Deutschlands. Sie wird die Schwarzarbeit kräftig befördern. Nach einer Studie des renommierten Schwarzmarktexperten Friedrich Schneider beträgt das Gesamtvolumen der deutschen Schattenwirtschaft 346 Milliarden Euro. Das entspricht fast 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den USA macht die Schattenwirtschaft - so Ergebnisse der Forschung - nur 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Durch die Mehrwertsteuererhöhung wird sich das Volumen der Schwarzarbeit um 5 Milliarden Euro erhöhen. Das können Sie in wissenschaftlichen Untersuchungen nachlesen. Das heißt, die Einnahmen werden nicht in der Höhe fließen, wie sie sich der Finanzminister verspricht, weil ein Teil der Menschen von der Bundesregierung wieder in die Schwarzarbeit abgedrängt wird. So wird der Finanzminister wieder zum Schattenminister. Meine Damen und Herren, die Kanzlerin erklärte Deutschland vor den Arbeitgebern zum „Sanierungsfall“. Gemeint ist eigentlich etwas anderes. Es ist eine unnötige Anbiederung an die Arbeitgeber. Wenn die Kanzlerin den „Sanierungsfall Deutschland“ ausruft, dann wissen die Bürgerinnen und Bürger, was das bedeutet. Das bedeutet Personalabbau, Kürzung von sozialen Leistungen und weniger Geld, dafür aber immer mehr Arbeit für die Menschen. Ich habe den Eindruck, diese Regierung hat Angst vor den Herausforderungen. Sie hat nämlich Angst, sich mit den wirklich Mächtigen in diesem Land anzulegen. (Beifall bei der LINKEN) Sie hat Angst, diese immer ungerechtere und unsozialere Gesellschaft wieder ins Lot zu bringen. Durch diesen Haushalt, über den wir heute abzustimmen haben, wird nichts besser, aber vieles schlechter gemacht. Darum lehnen wir als Linksfraktion den Haushalt entschieden ab. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Wir hätten etwas falsch gemacht, wenn Sie zustimmen würden!)"""Regierung beschleunigt Verarmung in Deutschland"""
Archiv Linksfraktion -
Rede
von
Gesine Lötzsch,