Rede im Bundestag am 24.01.2008
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein persönlicher Wahlslogan im Jahr 2005 war: Von Arbeit muss man leben können.
(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Können Sie doch auch!)
Darum unterstütze ich jede grundlegende Reform, die diesem Ziel dient.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber ich glaube, wir müssen an die Dinge grundlegend herangehen.
Ich möchte daran erinnern, dass im Jahr 2003 auf Vorschlag von Bundeskanzler Schröder Rot-Grün die Hartz-Gesetze beschlossen hat. Meine Kollegin Petra Pau, die jetzt als Präsidentin hier vorne sitzt, und ich haben vor diesen Hartz-Gesetzen gewarnt und darauf verwiesen, dass diese Gesetze massenhaft Armut erzeugen werden. Wir haben die Situation in den USA beschrieben. Dort lebten schon viele Menschen trotz Arbeit in Armut. Sie waren schon damals gezwungen, mehrere Mc-Jobs anzunehmen, um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können. Unsere Warnungen wurden damals einfach ignoriert. Jetzt müssen wir feststellen, dass die Hartz-Gesetze genau die Wirkungen hervorgerufen haben, vor denen wir damals gewarnt haben.
(Beifall bei der LINKEN - Gerd Andres [SPD]: Das ist falsch! Erkennbar falsch!)
CDU/CSU, SPD und Grüne haben die Verarmung von Millionen von Menschen billigend in Kauf genommen.
(Zuruf von der LINKEN: So ist es! - Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Jetzt reicht es aber langsam!)
Dazu, dass Kollege Stiegler von der SPD heute Morgen im Plenum sagte, man konnte ja nicht wissen, dass die Unternehmen die Gesetzgebung über die Leiharbeit so ausnutzen würden, frage ich: Wie naiv können führende Sozialdemokraten sein? Das ist doch wirklich nicht zu fassen.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren von den Grünen, ich fordere aber auch Sie auf, einmal darüber nachzudenken, ob es nicht redlich wäre, in Ihrem Antrag selbstkritisch über Ihre Fehler einige Worte zu verlieren und eine grundlegende Reform der Hartz-Gesetze einzufordern. Sie versuchen, über Ihre eigene Geschichte stillschweigend hinwegzugehen. Doch ich kann Ihnen versichern: So vergesslich sind die Menschen nicht.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Ja, das ist Ihnen noch nicht passiert, dass Sie über Ihre Geschichte hinweggegangen sind!)
- Wir gehen über unsere eigene Geschichte, verehrter Herr Kollege Brauksiepe, nicht stillschweigend hinweg. Wir setzen uns damit intensiv auseinander.
(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Ja, das wissen wir!)
Das unterscheidet uns voneinander.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Antrag der Grünen wird auf die schnell steigende Zahl von Menschen hingewiesen, die trotz Arbeit ihren Lebensunterhalt nicht finanzieren können. Wir haben - das muss man hier einmal betonen - die absurde Situation, dass es eine Anzahl von Unternehmen in unserem Land gibt, die die Löhne ihrer Mitarbeiter mit dem Hinweis senken, dass sie sich das restliche Geld doch vom Staat holen können. Ich denke, diese Situation ist nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gerd Andres [SPD])
Uns von den Linken wird gern vorgeworfen, wir könnten nicht rechnen und wüssten nicht, wie man Geld zusammenzählt. Darum möchte ich hier, obwohl ich nicht kleinkariert bin, auf eine sehr ärgerliche Geschichte eingehen. Ich hatte die Bundesregierung gefragt, wieviel Geld der Bund im Jahr 2007 für die Aufstocker gezahlt hat. Vor einigen Monaten wurde mir erst die Zahl von 8 Milliarden Euro pro Jahr genannt, dann waren es plötzlich 13 Milliarden Euro.
(Andrea Nahles [SPD]: 1,3 Milliarden!)
Ich muss Ihnen sagen: Wenn das Ministerium, das dafür verantwortlich ist, sich um 50 Prozent irrt und uns von Kollegen aus der SPD vorgeworfen wird, wir könnten nicht rechnen, dann ist das für mich keine Kleinigkeit. Dann sage ich das auch in aller Öffentlichkeit.
(Beifall bei der LINKEN - Andrea Nahles [SPD]: Das ist eine peinliche Geschichte für Sie, nicht für uns!)
Ungefähr 9 Milliarden Euro werden im Jahr für Aufstocker ausgegeben. Auch das ist keine Kleinigkeit. Um das für die Zuhörer einmal im Vergleich darzustellen: So viel gibt der Bund in einem Jahr für Wissenschaft und Forschung aus. Um die Situation zu verbessern, gibt es ein Mittel, das uns allen bekannt ist: den gesetzlichen Mindestlohn. Es ist an der Zeit, den gesetzlichen Mindestlohn endlich einzuführen, nicht mit Unterschriftenlisten dafür durch Landtagswahlkämpfe zu ziehen, sondern hier im Deutschen Bundestag, wo er beschlossen werden kann, dafür die Hand zu heben und abzustimmen
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
und nicht zu behauten, dass diejenigen, die ordnungsgemäße Anträge in den Deutschen Bundestag zu dieser Frage einbringen, Populisten seien. Die Populisten sind die, die mit Unterschriftenlisten in die Wahlkämpfe ziehen, dann aber im Bundestag Anträge auf Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes ablehnen,
(Iris Gleicke [SPD]: Schwachsinn! - Weiterer Zuruf von der SPD: Wenn es doch nur so einfach wäre!)
obwohl es hier im Plenum eine strukturelle Mehrheit für den Mindestlohn gibt.
(Beifall bei der LINKEN)
Frau Präsidentin, ich bin sofort fertig. - Über die Kinderarmut haben wir heute Nachmittag schon gesprochen; darauf kann ich nicht mehr eingehen.
(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das ist wahr!)
Wir müssen die grundlegenden Ursachen beseitigen, die dazu führen, dass Menschen nicht von ihrer Arbeit leben können. Was wir brauchen, sind gute Arbeit und sichere Arbeitsverhältnisse. Wir müssen die Gesetze im Bundestag so gestalten, dass sich die Menschen darauf verlassen können.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)