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Solidarische Pflegeversicherung

Rede von Tamara Mazzi,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich noch in der Schule unterrichtet habe, hatte ich eine Kollegin. Sie kam fast immer auf den letzten Drücker zum Unterricht und verschwand nach dem Klingeln oft sofort wieder. Oft war sie müde, oft war sie erschöpft, nicht weil sie faul war oder ihr Beruf ihr keinen Spaß gemacht hätte, sondern weil sie zu Hause noch eine zweite, größere Aufgabe hatte: die Pflege ihrer Mutter. Sie kochte für sie, sie wusch sie, sie verabreichte ihr die Medikamente, sie kümmerte sich um alles – Tag für Tag, Wochenende für Wochenende. Freizeit gab es für sie nicht. Mit dieser Aufgabe war sie allein. Und mit dieser Aufgabe wurde sie alleingelassen.

Wenn ich mir den Einzelplan für das Gesundheitswesen anschaue, muss ich oft an diese Kollegin denken; denn hier offenbart sich erneut die Schieflage unseres Systems. Es fehlen grundlegende Investitionen dort, wo Menschen täglich um Würde und Lebensqualität kämpfen: in der Pflege. Es hilft nichts, die Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren zu lesen, da die Situation auch damals schon katastrophal war. Was wir hier erleben, ist ein systematisches Versagen. Mehr als 5 Millionen Menschen sind pflegebedürftig, Tendenz steigend. Gleichzeitig verlassen täglich Hunderte von Fachkräften frustriert und ausgebrannt ihren Beruf.

(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Diese Entwicklung ist kein Schicksal, sie ist das direkte Resultat Ihrer politischen Entscheidungen, die Profite über Menschen stellt.

(Beifall bei Abgeordneten der Linken)

Ihr Haushalt setzt diese verfehlte Logik fort. Anstatt endlich den Mut für grundlegende Reformen aufzubringen, werden wieder einmal Symptome kuriert.

Nein. Später gerne, aber nicht jetzt. – Pflege wird weiterhin als Kostenfaktor behandelt, nicht als gesellschaftlicher Grundpfeiler. Auch 2026 soll die Pflegeversicherung durch ein Darlehen von 1,5 Milliarden Euro stabilisiert werden. Stabilisieren – das klingt, als würde man etwas Kaputtes mit Gaffa-Tape notdürftig zusammenkleben. Warum nicht endlich richtig reparieren, statt immer nur provisorisch zu flicken? Die Finanzierungslücke wird dadurch aufgeschoben, und strukturelle Probleme werden weiterhin ignoriert. Diese Regierung scheut davor zurück, nachhaltige Lösungen zu bieten und sich endlich mit den Reichen anzulegen.

Hier mal ein paar Ideen, die für die Mehrheit der Menschen wirklich etwas ändern würden, statt diese Misere weiter auf die lange Bank zu schieben: Wir brauchen eine echte Pflegegarantie. Das heißt: volle Finanzierung ohne Eigenanteile, die die Menschen in die Armut treiben.

(Beifall bei der Linken)

Das bedeutet: Beschäftigte, die von ihrer Arbeit gut leben können, ohne im Burn-out zu landen. Und wir brauchen eine solidarische Pflegeversicherung, in die alle mit allen Einkommen einzahlen. Es kann nicht sein, dass Besserverdiener geschont werden, während Menschen, die hart arbeiten, durch Pflegekosten verarmen.

Besonders skandalös ist auch die anhaltende Benachteiligung pflegender Angehöriger. Überwiegend sind es Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit aufgeben oder reduzieren, um Familienmitglieder zu betreuen. Diese unbezahlte Arbeit hält das System am Laufen, wird von der Politik aber komplett ignoriert. Wo bleibt die Lohnersatzleistung für Pflegende, unabhängig vom Pflegegrad? Wo bleiben die Rentenansprüche, die nicht nur symbolisch sind?

Die Bundesregierung redet von Entbürokratisierung, aber schafft immer wieder neue Hürden; sie verspricht Verbesserungen, will aber gleichzeitig Leistungen kürzen. Dieses Vorgehen ist zynisch gegenüber allen Betroffenen. Wir sagen: Es muss endlich Schluss sein mit der Profitorientierung im Pflegesektor. Internationale Konzerne bereichern sich an der Not der Menschen, während Qualität und Arbeitsbedingungen leiden. Pflege gehört in kommunale und gemeinnützige Trägerschaft.

Jeder und jede von uns kann morgen auf Unterstützung angewiesen sein, ob durch Unfall, Krankheit oder Alter. Pflegebedürftigkeit kann jeden treffen, und es wird auch fast alle von uns treffen. Deshalb ist eine menschenwürdige Pflege kein Wunschtraum, sondern eine Frage der Gerechtigkeit. Doch dieser Haushaltsplan wird die Ungerechtigkeit nur verschlimmern. Er setzt die Politik der kleinen Schritte fort, während die Probleme täglich größer werden. Das ist verantwortungslos gegenüber Millionen Pflegebedürftigen, ihren Familien und den Beschäftigten, die längst am Limit sind.

Wir wissen: Es geht anders. Andere europäische Länder machen es vor, wie solidarische Pflegesysteme funktionieren. Auch Deutschland könnte das leisten; das Geld ist da. Was fehlt, ist nicht das Geld, sondern der politische Wille, Solidarität über Profite zu stellen.

Ich denke noch heute oft an meine Kollegin, an ihre Müdigkeit und ihre Last, die sie alleine getragen hat. Ich wünsche mir, dass wir dafür sorgen, dass niemand mehr mit dieser Aufgabe alleingelassen wird.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)