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Foto: Rico Prauss

Unternehmensstrafrecht einführen

Rede von Dietmar Bartsch,

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Heute diskutieren wir den Haushalt der Justizministerin für das kommende Jahr; er ist „klein und fein“, wie Sie zu Recht sagen. Mit diesem werden Weichen gestellt.

Rechtspolitische Weichen werden aber auch heute Nachmittag gestellt, wenn es erneut um die Wahlen der Richterinnen und Richter zum Bundesverfassungsgericht geht.

(Stephan Brandner [AfD]: Da haben Sie recht!)

Dass es einen zweiten Anlauf braucht, ist ein Tiefpunkt, ein Tiefpunkt für die regierungstragenden Fraktionen, ein Tiefpunkt insbesondere für die Union,

(Stephan Brandner [AfD]: Auch da haben Sie recht!)

die vor einer rechten Kampagne – dann habe ich nicht mehr recht, Herr Brandner –

(Stephan Brandner [AfD]: Da haben Sie nicht recht, genau! Das war eine Kampagne der Vernunft, Herr Bartsch! Keine rechte Kampagne!)

in den sozialen Medien eingeknickt ist.

Meine Damen und Herren, ich will hier die Gelegenheit nutzen, Frau Brosius-Gersdorf noch mal ausdrücklich zu danken für ihre Kandidatur

(Beifall bei der Linken, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und vor allen Dingen für ihre besonnene öffentliche Reaktion auf etwas, das sie überhaupt nicht zu verantworten hat;

(Tobias Matthias Peterka [AfD]: Sie hat nur Angst vorm Plagiatsjäger gehabt! Nur Angst gehabt!)

dieses Debakel haben andere zu verantworten. Sie hat Stil bewiesen, anders als Teile der Koalition. Sie wäre keine Belastung, sie wäre eine Bereicherung für das Bundesverfassungsgericht gewesen.

(Stephan Brandner [AfD]: Kann man so und so sehen!)

Ein solcher Vorgang, meine Damen und Herren, darf sich nicht wiederholen.

(Beifall bei der Linken – Dr. Christoph Birghan [AfD]: Doch! Muss es! – Stephan Brandner [AfD]: Ganz demokratische Wahlen sind das, Herr Bartsch! Es gibt keinen Anspruch, gewählt zu werden, erzählt man uns immer!)

Wir haben uns im vergangenen Winter – noch in der alten Legislaturperiode – auf Maßnahmen verständigt, um das Bundesverfassungsgericht besser vor politischen Einflüssen zu schützen. Wir sollten uns auch über Ideen und Maßnahmen verständigen, um die Wahl von Bundesverfassungsrichterinnen und -verfassungsrichtern vor Vorgängen wie in den letzten Wochen zu schützen.

Meine Damen und Herren, Justiz und Gerichte müssen in dieser Legislaturperiode einen anderen Stellenwert erhalten; so weit besteht Konsens. Wir haben heute Morgen über den Etat des Bundesinnenministers geredet und den Zuwachs bei Bundespolizei, beim Bundesamt für Verfassungsschutz und, und, und – wofür auch immer. Einen solchen Personalaufwuchs braucht es bundesweit vor allem in der Justiz. Ich weiß, dass die Länder hier Verantwortung tragen; aber der Bund trägt eine Mitverantwortung. Hier geht es um den Schutz von Institutionen; hier geht es darum, dass das Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger gesichert wird. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass der Rechtsstaat in unserem Land funktioniert. Und, Frau Ministerin, wir werden jeden Schritt unterstützen, durch den Frauen in diesem Land besser geschützt werden.

Fast 1 Million Fälle – fast 1 Million Fälle! – liegen unbearbeitet auf den Schreibtischen der Justiz, und der Berg wächst jedes Jahr weiter. Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen 460 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte – in einem Bundesland.

(Stephan Brandner [AfD]: Vielleicht machen die auch nur das Falsche!)

Die Überlastungsquote liegt laut Richterbund bei 141 Prozent. Meine Damen und Herren, stellen Sie den Ländern Mittel aus dem Sondervermögen bereit!

(Zuruf von der AfD: Sonderschulden!)

Das wäre dringend notwendig. Sie in der Union reden immer gerne von Law and Order; aber wenn es um die Ausstattung der Justiz geht, dann lassen Sie die Bürgerinnen und Bürger und die Länder im Stich.

(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Das ist doch Unfug! Das ist doch Quatsch!)

Das finde ich inakzeptabel.

(Beifall bei der Linken)

Es fehlt aber nicht nur an Personal. Es fehlt auch, hier und da zumindest, an gesetzlichen Grundlagen. Die Ministerin hat heute angekündigt – das unterstützen wir sehr –, dass Frauen besser geschützt werden sollen. Ich begrüße ihre Ankündigung. Wir haben das mehrfach gefordert.

Und beseitigen Sie einen weiteren eklatanten Mangel! 21 von 27 EU-Mitgliedstaaten verfügen über ein Unternehmensstrafrecht – Deutschland nicht. Damit nimmt Deutschland eine unrühmliche Sonderrolle ein. Zahlreiche Skandale deutscher Unternehmer konnten strafrechtlich nicht konsequent aufgearbeitet werden; ich will nur an den Dieselskandal erinnern. Zahlreiche Organisationen fordern seit Jahren, dass Unternehmen in Gänze zur Verantwortung gezogen werden können. Der Deutsche Richterbund hat eine Debatte darüber in der Vergangenheit begrüßt, ebenso wie der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Zwar sieht § 30 des deutschen Ordnungswidrigkeitengesetzes die Möglichkeit vor, gegenüber einer juristischen Person eine Geldbuße zu verhängen,

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Aha!)

soweit Pflichten verletzt worden sind, aber diese Regelung ist schon deswegen nicht ausreichend, weil die maximale Geldbuße viel zu niedrig angesetzt ist.

Kein Wort dazu im Koalitionsvertrag! Ich wünsche mir von der Ministerin, dass sie die Unternehmensverantwortung im In- und Ausland auf die Tagesordnung setzt. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen geschützt werden. Es ist doch absurd, dass in Deutschland Schwarzfahren ins Gefängnis führen, Milliardenbetrug im Konzern oder am Kunden aber folgenlos bleiben kann.

Entschuldigung, Herr Präsident.

Danke schön.

(Beifall bei der Linken)