Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Westerwelle, ich muss ehrlich sagen: Ich habe das neue außenpolitische Konzept mit Spannung und natürlich einer gewissen Skepsis erwartet. Jetzt lese ich das Papier und stelle fest, dass die Skepsis leider berechtigt war. Ich möchte das an fünf Punkten zeigen. Das sind die Punkte Frieden, Nahrungsmittelsicherheit, Menschenrechte, gute Arbeitsbedingungen und Abrüstung.
Fangen wir mit dem Frieden an. Da schreiben Sie zum Beispiel, dass die neuen Gestaltungsmächte einen wichtigen Beitrag zur Vorbeugung von Konflikten leisten können. Das ist natürlich richtig. Aber welches konkrete Beispiel nennen Sie dafür in dieser Hochglanzbroschüre? - Die militärische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Südafrika. Warum, Herr Westerwelle, fällt Ihnen beim Thema Konfliktlösung immer nur die Bundeswehr ein?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde, ein Außenminister, dem beim Thema Konflikt immer nur Militär einfällt, der hat seinen Job komplett verfehlt.
Zweiter Punkt: die Nahrungsmittelsicherheit. In dem Papier ist sehr viel von Hungerbekämpfung die Rede. All das ist wunderbar. Aber an einer anderen Stelle fordern Sie den ungehinderten Zugang zu Ackerland für sich und die Gestaltungsmächte. Heißt das einen ungehinderten Zugang zu landwirtschaftlicher Nutzfläche auch in allen anderen Ländern, also weltweit? Heißt das denn Nahrungsmittelsicherheit nur für die Starken und Reichen? So werden Sie den Hunger in der Welt nicht bekämpfen, Herr Westerwelle.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dritter Punkt: die Menschenrechte. An dem gleichen Tag, an dem Sie das hier veröffentlichten - darin steht gefühlte 500 Mal das Wort Menschenrechte -, empfingen Sie hier in Berlin den kasachischen Präsidenten Nasarbajew und schlossen mit ihm einen Rohstoffvertrag ab.
(Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Ja, genau!)
Falls Sie es vergessen haben, Herr Westerwelle: Nasarbajew ist der Mann, der gerade mit 80 Prozent der Stimmen in Kasachstan gewählt worden ist, und alle Wahlbeobachter gehen davon aus: Die Wahl war gefälscht. Nasarbajew, das ist genau der Mann, der im Dezember einen Streik von Ölarbeitern blutig zusammengeschossen hat. Aber Nasarbajew ist eben auch der Mann, in dessen Land es Öl, Gold und viele andere Rohstoffe gibt. Deswegen gab es hier für ihn einen Fototermin mit der Kanzlerin und einen Fototermin im Schloss Bellevue, damit er weiter exklusiv an Deutschland liefert. Das sind die traurigen Realitäten eines Konzepts, das aus sehr vielen schönen Worten, aber wenig Substanz besteht.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vierter Punkt: gute Arbeitsbedingungen. In dem Papier wird von dem Ziel gesprochen, weltweit menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu gestalten. Das ist ein sehr schönes Ziel. Ich habe Ihnen eine Tafel Schokolade mitgebracht, ein nachträgliches Geschenk zu Ihrem runden Geburtstag. Das hier ist eine fair gehandelte Bioschokolade.
(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Die haben Sie hoffentlich nicht seit meinem Geburtstag in der Tasche!)
- Nein, sie ist relativ frisch. Diese habe ich nicht seit Dezember in der Tasche. Aber ich habe Ihren Geburtstag im Kopf, weil auch ich im letzten Jahr 50 Jahre alt geworden bin.
(Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Das sieht man Ihnen gar nicht an!)
Da haben wir etwas gemeinsam. - Wissen Sie eigentlich, wenn Sie über menschenwürdige Arbeitsbedingungen reden, wie viel ein Kakaobauer in Ghana verdient, wenn er nicht vom fairen Handel profitiert? -
(Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Erst einmal her mit der Schokolade!)
Einen halben Euro am Tag. Wissen Sie eigentlich, dass in der Elfenbeinküste 2 Millionen Kinder in der Kakaoernte arbeiten? Diese Kinder helfen nicht ihren Eltern einmal bei der Ernte, sondern das ist verbotene Kinderarbeit. Wissen Sie, dass es in Westafrika und vielen Ländern noch Sklavenarbeit in der Kakaoernte gibt?
Um das zu ändern, um hier menschenwürdige Bedingungen zu schaffen, brauchen Sie keine Hochglanzbroschüre. Dafür brauchen Sie auch nicht auf die UNO, die ILO oder andere Regierungen zu warten. Das könnten Sie ganz einfach mit einem Gesetz in Deutschland regeln, indem Sie einen Herkunftsnachweis für den Kakao verlangen. Wenn auf der Rückseite einer Tafel Schokolade immer stehen müsste, aus welcher Provinz, aus welchem Land der Kakao kommt, dann wird kein einziger deutscher Produzent mehr Kakao aus Kinder- oder Sklavenarbeit kaufen. Deswegen haben Sie die Verantwortung hier in Deutschland, für menschenwürdige Bedingungen anderswo auf der Welt zu sorgen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn ich also all die politisch korrekten und hohlen Phrasen aus diesem Papier herausstreiche, dann bleibt von Ihrem außenpolitischen Konzept sehr wenig übrig. Es bleibt vielleicht ein Konzept für eine knallharte Außen- und Wirtschaftspolitik übrig. Das, Herr Westerwelle, finde ich ein Armutszeugnis.
(Beifall bei der LINKEN)
Fünfter und letzter Punkt: die Abrüstung. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte; denn eines muss man bedenken: Jede einzelne Waffe, die Sie an ein anderes Land verkaufen, rüstet dieses Land auf und nicht ab. Ich finde es sehr bemerkenswert, dass auf diesen ganzen 68 Seiten nicht ein einziges Mal das Wort Abrüstung vorkommt. Das muss man erst einmal schaffen. Bei einem außenpolitischen Konzept nicht über Abrüstung zu reden, muss man erst mal schaffen. Das ist natürlich konsequent, wenn man nur an Wirtschaftspolitik denkt. Das ist aber auch grundfalsch.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ‑ Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Der Minister redet über Abrüstungspolitik! Sie hätten in München zuhören sollen!)
Trotzdem wünsche ich Ihnen guten Appetit beim Verzehr der fair gehandelten Schokolade!
(Abg. Jan van Aken (DIE LINKE) überreicht Außenminister Dr. Guido Westerwelle eine Tafel Schokolade ‑ Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ist das Zartbitter oder was? - Gegenruf des Abg. Jan van Aken (DIE LINKE): 85 Prozent Kakao! - Beifall bei der LINKEN)